L.I.S.A.: Sicherlich verfolgte nicht nur Schliemann selbst ein Interesse an den Ausgrabungen und deren Inszenierung, blickt man etwa auf die lange Liste seiner Unterstützer und Förderer. Welche Akteure hatten ein Interesse an der medialen Inszenierung von wissenschaftlichen Entdeckungen und archäologischen Ausgrabungen wie dem Schatz des Priamos? Wie würden Sie das Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Nationalstaat Ende des 19. Jahrhundert beschreiben?
Dr. Samida: Mit der aufstrebenden Massenpresse ab Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Ausdifferenzierung publizistischer Formen, gerade auch in der Tagespresse. Neben politischen und Wirtschaftsnachrichten findet sich nun vermehrt auch Unterhaltendes wie Buchbesprechungen, Theaterkritiken, Reiseberichte oder literarische Artikel. Das Feuilleton begann sich als eigenständiger Bestandteil zu etablieren; zunehmend gab es Menschen, die genau in diesem Bereich ihr Auskommen suchten. Einer dieser Feuilletonisten war z. B. August Woldt. Er war Herausgeber einer Zusammenstellung populärwissenschaftlicher und politischer Artikel, die mehr oder weniger wöchentlich erschien und an 250–300 Zeitungen im In- und Ausland verschickt wurde. Schliemann stand mit ihm in Kontakt und hatte in ihm ein durchaus wohlwollendes Sprachrohr. Für Woldt wiederum waren Schliemann und seine Familie von Interesse, da er die Beiträge gut absetzen konnte, schließlich waren die Schliemanns – so würden wir heute wohl sagen – Celebrities.
Aber natürlich sind auch Verleger, Herausgeber und Redakteure von Tages- und Wochenzeitungen sowie Illustrierten Zeitungen und Familienblättern zu erwähnen; sie hatten ebenfalls großes Interesse für archäologische Themen und natürlich an Schliemanns Ausgrabungen. Zu nennen wäre hier Ernst Keil, der Verleger der Gartenlaube, die genrebildend für die Familienzeitschriften war und sich als Unterhaltungsmedium begriff. Keil nahm bereits 1870 mit Schliemann Kontakt auf und erbat einen bebilderten Beitrag für seinen zahlreichen Leserinnen und Lesern.
Waren Schliemanns Ausgrabungen Privatunternehmungen, gab es damals aber natürlich auch staatlich geförderte Forschung. Hier sind besonders die Ausgrabungen im antiken Olympia oder in Pergamon zu erwähnen – Orte, die bis zu Beginn der deutschen Untersuchungen kaum erforscht waren. Sie galten daher als ideale Ausgrabungsplätze für das aufstrebende Deutsche Kaiserreich, das sich in Konkurrenz zum Britischen Empire sah. Die kostspieligen Ausgrabungsprojekte standen allerdings unter Legitimations- und Erfolgsdruck, war der wissenschaftliche und kulturelle Wert nicht für jede und jeden auf den ersten Blick ersichtlich. Es muss daher nicht verwundern, dass man versuchte, die Ausgrabungsergebnisse „unters Volk“ zu bringen. Die Olympia-Ausgräber hielten z. B. die deutsche Öffentlichkeit über die Presse regelmäßig über den Stand des nationalen Prestigeprojektes auf dem Laufenden. Wissenschaftspopularisierung wurde hier durchaus professionell betrieben.