L.I.S.A.: Verschiedene Akteure spielten eine Rolle im Ringen um die politische Macht in Italien und die Deutungshoheit über den PCI, neben den USA und der Sowjetunion auch der Vatikan. Wie viel Einfluss konnten externe Akteure tatsächlich ausüben? Welche Auswirkungen hatte die Einflussnahme?
Dr. Dörr: Auffällig ist in der Analyse der Beziehungen eurokommunistischer Politiker des PCI, dass zwar Mitte bis Ende der 1970er Jahre zahlreiche Wissenschaftler, Politiker und Medienvertreter über sie schrieben und sprachen, aber nur die Wenigsten tatsächlich in Kontakt mit ihnen traten. Das Wissen über den italienischen Eurokommunismus basierte in den meisten Fällen, so auch größtenteils im Fall der US-Regierungen, auf indirekt gewonnenen Informationen. Häufig wurden Gespräche über den PCI mit als vertrauenswürdig eingestuften Politikern der Democrazia Cristiana und weiterer Parteien geführt. Hinzu kam die Auswertung von offenen Quellen wie Publikationen, Flugblättern, Programmen, Statuten und Presse des PCI. Direkte Gespräche mit PCI-Vertretern wurden mit wenigen Ausnahmen aus politischen Gründen abgelehnt. Als das spätere italienische Staatsoberhaupt Giorgio Napolitano, seinerzeit Parlamentsabgeordneter und Mitglied der PCI-Führung, 1975 auf Einladung einiger US-Universitäten, u.a. der Harvard University, in die USA einreisen wollte, um dort über das Konzept des Eurokommunismus zu sprechen, wurde ihm von der US-Regierung sogar das Visum verweigert. Der direkte Einfluss der US-Regierung auf den PCI blieb daher begrenzt. Indirekt konnte die Regierung großen Einfluss ausüben, indem beispielsweise in massive Korruptionsskandale verstrickte Spitzenpolitiker der Democrazia Cristiana gestützt wurden, so beispielsweise während des Lockheed-Skandals, oder im Extremfall auch im Vorfeld von Wahlen vor einer kommunistischen Regierungsbeteiligung gewarnt wurde.
Auch gab es einen Austausch zwischen dem Vatikan und der US-Regierung über den italienischen Eurokommunismus. Der Vatikan hatte mit dem unter Papst Johannes XXIII. eröffneten Zweiten Vatikanischen Konzil und der anschließend eingeleiteten vatikanischen Ostpolitik die Voraussetzungen für eine Öffnung gegenüber dem PCI gelegt und dadurch auch einen Dialog zwischen der Democrazia Cristiana und den Kommunisten ermöglicht. Als eine Regierungsbeteiligung 1976 realistisch wurde, warnte der Vatikan allerdings vor den Kommunisten.
Gänzlich anders verlief die Beziehung der deutschen Sozialdemokratie zum PCI. Bereits 1967 wurden inoffizielle Kontakte zwischen beiden Parteien etabliert, die bis zur Auflösung des PCI 1991 Bestand hatten. Durch die direkten Gespräche mit der Führung des PCI war die SPD gut über das politische Konzept der italienischen Kommunisten informiert und konnte die unterschiedlichen Eurokommunismen in Italien, Frankreich, Spanien und anderen Staaten besser analysieren als beispielsweise die US-Regierung. Auch ideologische Transfers sind dabei nicht zu unterschätzen. Mitte der 1970er Jahre zeigten Protagonisten des italienischen Eurokommunismus wie Giorgio Napolitano bereits große Sympathien für die westeuropäische Sozialdemokratie. Die Quellen belegen, dass die SPD den PCI in seiner Transition weg vom Sowjetkommunismus hin zur Sozialdemokratie unterstützte und förderte. Im italienischen Fall führte die Annäherung tatsächlich mit zu einem Wandel. Die Aufnahme der größten Nachfolgepartei des PCI in die Sozialistische Internationale 1992 war die logische Folge dieser Entwicklung.
Andere Akteure hatten einen schwächeren, aber auch nicht zu unterschätzenden Einfluss. In der Bundesrepublik übermittelten beispielsweise CDU und CSU ihre Ablehnung einer potenziellen christdemokratisch-kommunistischen Koalition in die Parteizentrale der italienischen Schwesterpartei. Die jugoslawischen und rumänischen Partei- und Staatschefs Tito und Ceaușescu verbündeten sich zeitweise mit dem italienischen Eurokommunismus aufgrund dessen ausgeprägter Sowjetkritik. Auch die chinesische Regierung unterstützte den PCI deswegen. In der Hochphase Mitte der 1970er Jahre kam es zu zahlreichen Konsultationen mit anderen eurokommunistisch gesinnten Parteien, die wiederum eigene Konzepte einbrachten usw. Alle diese Akteure übten einen Einfluss auf den PCI und die Entwicklung des Eurokommunismus aus, der keinesfalls überwertet werden sollte, aber benannt werden muss.