Die Gründung eines Ministeriums für Entwicklungspolitik hatte in seiner Entstehungsgeschichte weniger mit der Unterstützung von hilfsbedürftigen Ländern zu tun als mit dem Schmieden einer Regierungskoalition. Der jüngst verstorbene Walter Scheel von der FDP musste unter Bundeskanzler Konrad Adenauer von der Union mit einem Minsterposten versorgt werden. Wie aus dieser Logik ein neues Ressort entstehen konnte, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), und welchen Stempel ihm Walter Scheel als sein erster Chef aufgedrückt hat, dazu haben wir der Historikerin Bettina Fettich-Biernath von der Universität Erlangen-Nürnberg unsere Fragen gestellt. Sie hat im Rahmen ihres Dissertationsprojekt die Geschichte der zivilen und militärischen Entwicklungshilfe der Bundesrepublik an Afrika von 1956 bis 1974 untersucht.
"Fünf Jahre an der Spitze des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit"
L.I.S.A.: Frau Fettich-Biernath, Sie haben sich im Laufe Ihres nun fast abgeschlossenen Dissertationsprojekts mit der Entwicklungspolitik der Bundesrepublik in Afrika bis 1974 beschäftigt. Wir haben darüber bei L.I.S.A. vor gut einem Jahr mit Ihnen ein Interview geführt. In der letzten Woche ist der frühere Bundespräsident Walter Scheel gestorben. Woran sich heute die wenigsten erinnern: Walter Scheel war von 1961 - 1966 erster Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, also innerhalb des Zeitraums, den Sie in Ihrer Arbeit untersucht haben. Bevor wir auf seine Tätigkeit als Entwicklungshilfeminister eingehen, spielte diese Funktion in den von Ihnen wahrgenommenen Nachrufen eine Rolle?
Fettich-Biernath: Alle legten großen Wert darauf, ein ausgewogenes und reflektiertes Bild von Walter Scheel zu zeichnen. Thematisch konzentrierte sich die Auseinandersetzung mit seiner Biografie während der letzten Tage auf Scheel als einer der Väter der Neuen Ostpolitik, als überzeugter Europäer und Liberaler, als Kanzlermacher und volksnaher Bundespräsident. Was die fünf Jahre an der Spitze des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) betrifft, fand durchaus Beachtung, dass mit Walter Scheel nun der letzte Politiker gestorben ist, der unter Bundeskanzler Konrad Adenauer als Minister gearbeitet hatte. Die gesichteten Nachrufe beschränken sich aber auf die Eckdaten dieser ersten Station, die Scheels Karriere in Bundeskabinetten einläutete. Das BMZ selbst reagierte vergleichsweise spät in den sozialen Medien – und mit einem dennoch eher allgemein gehaltenen Statement.
Generell fällt auf, dass die Nachrufe Walter Scheel als vielschichtige Persönlichkeit schildern, bei der Schubladen-Charakterisierungen nicht tragen. Das zeigt sich allein am Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“, das Scheel 1973 als Bundesaußenminister aufnahm. Kein audiovisueller Nachruf ließ es sich nehmen, dessen Klänge einzuspielen. Zugleich problematisieren die Berichte, dass die Erinnerung an „Mister Bundesrepublik“ auf solche publikumswirksamen Auftritte reduziert werden könnte. Ein Sowohl als auch seiner Person gibt den Spannungsbogen vor: Frohnatur, Bonvivant, Lebemann, Hasardeur einerseits; Machtpolitiker, Stratege, begnadeter Redner, Verhandlungsmeister andererseits. Es ist bezeichnend, dass die FAZ, ZEIT online oder auch die Berliner Zeitung für ihre Porträts denselben Titel wählten: „Der Unterschätzte“.