Von einer kleinen Kaderpartei um Mao Zedong zu einem Machtapparat mit über 90 Millionen Mitgliedern: Im Juli feiert die Kommunistische Partei Chinas den 100. Jahrestag ihrer Gründung. Mit ihrer Machtübernahme im Jahr 1949 hat sie Chinas schier unaufhaltsamen Weg zur Weltmacht eingeleitet und der chinesischen Nation neues Selbstbewusstsein eingehaucht, das durch Jahrzehnte des Kolonialismus und des Bürgerkriegs verloren gegeganen war. Heute tritt die Kommunstische Partei und damit ganz China selbstbewusster auf als jemals zuvor. Über dieses neue Selbstbewusstsein, den Umgang mit der eigenen Geschichte und die beispiellose Entwicklung Chinas in den letzten einhundert Jahren sprachen wir mit dem Sinologen Prof. Dr. Felix Wemheuer.
"Es geht nicht mehr darum, die Welt grundsätzlich zu verändern"
L.I.S.A.: Herr Prof. Dr. Wemheuer, als sich die Kommunistische Partei 1921 gründete hatte wohl kaum einer der anwesenden Delegierten damit gerechnet, dass ausgerechnet die chinesische einmal eine der am längsten bestehenden Kommunistischen Parteien der Welt sein würde. Viele Beobachterinnen und Beobachter stellen jedoch angesichts der wirtschaftspolitischen Ausrichtung Chinas immer wieder die Frage, inwieweit China überhaupt noch als kommunistisches Land gelten kann. Trägt die KP diesen Namen also noch zurecht? Wie hält sie den Spagat zwischen (Staats-)Kapitalismus und Kommunismus? Welche Rolle spielt dabei der chinesische Nationalismus und der gleichzeitige Verzicht auf den Export des Kommunismus in andere Länder und die Beschränkung auf wirtschaftliche Expansion?
Prof. Wemheuer: Wichtig ist erst ein Mal festzustellen, dass die Entwicklung Chinas seit der „Reform und Öffnung“ nach 1978 in keine Box der westlichen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften passt. Weder Neoliberale noch Linke konnten sich vorstellen, dass eine Kombination aus Staatskapitalismus und leninistischem Ein-Parteienstaat wirtschaftlich ein so erfolgreiches Modell sein kann. Von liberalen Beobachtern wurden Jahrzehnte behauptet, dass den Wirtschaftsreformen auch politische Reformen folgen müssten, sonst wäre es mit Wachstum und politischer Stabilität vorbei. Das ist nicht eingetreten.
Nach 1978 hat die Parteiführung um Deng Xiaoping das Land schrittweise für Weltmarkt und ausländisches Kapital geöffnet, privates Unternehmertum zugelassen, Preise freigegeben und große soziale Unterschiede hingenommen. 1998 leitete die Regierung eine große Privatisierungs- und Schließungswelle der Staatsindustrie ein. Dennoch hat der Staat die „Kommandohöhen der Wirtschaft“ (Lenin) nie aufgegeben. In Sektoren wie Finanzen oder Rohstoffe hält der Staat weiterhin strategische Aktienanteile bei wichtigen Unternehmen. Es gibt auch heute noch Fünf-Jahrespläne, die allerdings nicht den Unternehmen Produktionsquoten vorschreiben, sondern allgemeine industriepolitische Entwicklungsschwerpunkte festlegen. [1]
Nationalismus spielte natürlich auch schon 1921 eine wichtige Rolle, da die KPCh das Land von den ausländischen Kolonialmächten befreien wollte. Bis in die 1970er war ein anti-imperialistischer Nationalismus noch in die Agenda eines sozialistischen Internationalismus eingebunden. Heute will die Parteiführung, dass China eine globale Führungsrolle innerhalb des kapitalistischen Weltsystems erkämpft. Ich denke, es geht nicht mehr darum, die Welt grundsätzlich zu verändern.