Welchen Einfluss hatten die öffentlichen Wahlkampfauftritte Adolf Hitlers auf den Erfolg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP)? Diese Frage stellten sich Prof. Dr. Peter Selb (Universität Konstanz) und Dr. Simon Munzert (Hertie School of Governance). Sie analysierten die Wahlstatistiken aus 1.000 Landkreisen und Bezirken sowie aus 3.864 Kommunen und kamen zu einem überraschenden Ergebnis: Der Einfluss von Hitlers Auftritten war marginal. Im Interview haben wir mit dem Professor für Umfrageforschung am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz, Peter Selb, über die Studie gesprochen.
"Das wichtigste Wahlkampfinstrument der Nationalsozialisten"
L.I.S.A.: Herr Prof. Selb, Sie haben in Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Simon Munzert eine Studie zum Einfluss der Auftritte Hitlers auf die Wahlerfolge der NSDAP veröffentlicht. Bevor wir zu den inhaltlichen Fragen kommen: Woher rührt Ihr Interesse an dieser Thematik?
Prof. Selb: Die Frage nach den Gründen des Aufstiegs der Nationalsozialisten hat sich vermutlich jeder in Deutschland schon einmal gestellt. Das war wohl auch eines der Motive, die mich seinerzeit zu einem Studium der neueren Geschichte und der Politik bewogen haben. Unter der Vielzahl der angebotenen Erklärungen wie z.B. die wirtschaftliche Depression, die Niederlage im ersten Weltkrieg oder die schwachen demokratischen Institutionen der Weimarer Republik schien mir damals die charismatische Führerschaft schon wenig glaubhaft. Allerdings wusste ich da noch nicht, wie sich diese Erklärung mit wissenschaftlichen Methoden überprüfen ließe.
L.I.S.A. Was ist die Quellengrundlage Ihrer Untersuchung? Wie lassen sich heute überhaupt Aussagen über vergangene Wahlerfolge und politische Einflussnahmen treffen?
Prof. Selb: Öffentliche Veranstaltungen und insbesondere Hitlers Reden waren damals das wichtigste Wahlkampfinstrument der Nationalsozialisten. Der Zugang zum Rundfunk war beschränkt, die Zeitungslandschaft war regional und parteipolitisch zersplittert und den Nazis gegenüber überwiegend kritisch eingestellt. Die Verbreitung der eigenen Parteiorgane war begrenzt. Fernsehen gab es noch nicht. Als Datengrundlage nutzen wir vor allem eine mehrbändige Edition des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, die sämtliche Reden Hitlers von 1925 bis zur Reichskamzlerschaft im Januar 1933 beinhaltet. Wir haben daraus insgesamt 455 öffentliche Reden geokodiert und diese mit Wahldaten auf Kreis- und Gemeindeebene zusammengeführt, die der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter in einem großangelegten Projekt gesammelt und digitalisiert hat. Daneben haben wir aus unterschiedlichen Quellen weitere Strukturdaten zusammengetragen.
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