L.I.S.A.: Im Anschluss an die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten setzte auch hierzulande eine Diskussion über die Gründe für dessen Sieg beziehungsweise für die Niederlage der Kandidatin der Demokratischen Partei, Hillary Clinton, ein. Eine der Kernfragen lautet bis heute: Wie konnte es einem Kandidaten der konservativen Republikaner gelingen, ausgerechnet beim Arbeitermilieu der USA zu punkten, obwohl die finanziell schwächeren Bevölkerungsteile traditionell eher das klassische Wählerreservoir der Demokraten bilden? Erklärt ihr Buch in diesem Zusammenhang etwas - ähnlich wie das Buch des französischen Soziologen Didier Eribon „Rückkehr nach Reims“, der aus biographischer Perspektive erzählt, wie aus kommunistischen Wählern Anhänger des Front National wurden?
Baron: In meinem Buch gibt es ein ganzes Kapitel mit dem speziellen Zuschnitt auf die Flüchtlingsproblematik und den Aufstieg der AfD. Darin beschreibe ich, wie es der herrschenden Politik gelingt, den „weißen“ und den migrantischen Teil der deutschen Arbeiterklasse aufeinander zu hetzen. Die AfD wird vor allem von der sogenannten Mittelschicht unterstützt. Die meisten einfachen Arbeiter und „Abgehängten“ gehen dagegen gar nicht mehr zur Wahl. Dieses fehlende Wählerpotenzial ist natürlich ein Grund, warum die AfD so stark ist, und deshalb müssten die Linken gerade die Nichtwähler für sich gewinnen.
Richtig ist natürlich auch, dass unter den „Abgehängten“ ebenso wie in allen anderen Gesellschaftsteilen sich immer mehr zu den Rechten hingezogen fühlen. Und wenn man sich die Frage stellt, warum weiße Arbeiter die AfD wählen, dann trägt auch die Linke eine erhebliche Mitschuld. Zum einen, weil sie in den vergangenen Jahrzehnten identitätspolitische Themen wie Minderheitenrechte und Geschlechteridentitäten systematisch gegen die Klassenfrage ausgespielt hat. Wer in Armut lebt, fühlt sich von Linken nicht mehr angesprochen oder vertreten. Zum anderen verteufeln viele Linke jeden, der diffus gegen „das Fremde“ protestiert, anstatt mit diesen Menschen in Dialog zu treten. Rassisten Rassisten zu nennen, das ist die eine, die notwendige Sache. Eine andere und ablehnenswerte Sache ist es, Menschen zu entmenschlichen. Mittlerweile erscheint vielen Linken ausnahmslos jeder Pegida-Demonstrant als Nazi-Zombie. Das ist bequem für diese Linken, es verharmlost aber das im Kapitalismus strukturell angelegte Rassismus-Problem als kollektiver Charakterfehler eines ungebildeten Mobs.
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1. Zum Diskurskonzept: "Der Diskurs verleiht dem Text seine „Wahrheit“, und dieser Diskurs ist geleitet von machttechnisch etablierten Denkweisen und Ideologien, die wiederum festlegen, was wir überhaupt über die Welt wissen. Ein Text stellt dabei keinen Schlüssel zu einer dahinter liegenden Realität dar, sondern ist selbst als Material und Gegenstand der Erzeugung von Wissen und „Wahrheit“ zu verstehen." Das ist vollkommen richtig. Mir ist jedoch nicht klar, was jetzt der neue "Kniff" in Richtung Marxismus ist.
2. Zu den Wähler*innen der AfD: Bei den ganzen "Wahlanalysen" in den öffentlich-rechtlichen Medien wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl der Wähler*innen tatsächlich der Gruppe der Nichtwähler*innen angehören. Wie passt denn das mit dem Befund zu den vielen, nicht-wählen gehenden Arbeiter*innen zusammen?
Das sind wirklich ernstgemeinte Fragen und Anmerkungen, keine getarnte Kritik. Über Antworten würde ich mich freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
Jörn Eiben