L.I.S.A.: Welches Deutschlandbild haben die Auslandskorrespondenten in den Jahren 1933 bis 1945 gezeichnet? Ist es das Bild, das wir heute von NS-Deutschland haben? Haben Franzosen anders berichtet als Engländer oder Amerikaner? Und wie verhielt es sich zum Deutschlandbild, das vor allem Joseph Goebbels bemüht war zu zeichnen?
Dr. Domeier: Dies sind wichtige Fragen meiner Forschung. Die heutige Vorstellung der breiten Öffentlichkeit vom nationalsozialistischen Deutschland ist weitgehend von der NS-Propaganda bestimmt. Wir sind, wenn man es zugespitzt sagen will, späte Opfer des Goebbels'schen Propaganda-Apparates. Nehmen Sie das Bild, das in den meisten aktuellen Fernsehdokumentationen dargestellt wird: Trommelwirbel, Blitzkriege, alte Männer, die sich daran erinnern, wie sie als kleine Schräubchen in einem angeblich perfekten Mechanismus funktioniert haben.
Die Wirklichkeit des NS-Staates war weitaus vielschichtiger, denn sie war vor allem durch Gegenläufigkeiten und Machtkämpfe gekennzeichnet. Und genau darüber erfuhren die Zeitgenossen – außerhalb Deutschlands – auch beinahe alles, so meine These. Jeder Franzose konnte bis 1939, jede Amerikanerin bis 1941 und jeder Schweizer sogar bis 1945 die meisten Ereignisse, Entwicklungen und Widersprüche des Dritten Reiches in seiner morgendlichen Zeitung mitvollziehen. Kurzum: Wir hängen heute immer noch dem Propagandabild des Dritten Reiches an den Lippen, das für die Menschen im Binnenraum der Diktatur per Presseanweisungen gezeichnet wurde. Die Medienwirklichkeit im Rest der Welt war aber eine ganz andere, und sie harrt immer noch der Erforschung.
Die zentrale Figur aber, die für die Information der Weltöffentlichkeit über die Vorgänge in NS-Deutschland sorgte, das war der Auslandskorrespondent, bzw. die Auslandskorrespondentin. Das Berlin der 1930er Jahre war auch das Arbeitsfeld für die ersten hauptberuflichen Korrespondentinnen, etwa die Französin Stéphane Roussel, die ihre beeindruckende Karriere nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bonner Republik fortsetzte.
Natürlich sind dabei große Unterschiede feststellbar. Es gab auch amerikanische, britische und französische Journalisten, die Sympathien für Antisemitismus und Nationalsozialismus hegten. Umgekehrt waren die Korrespondenten aus dem faschistischen Italien in den ersten Jahren des NS-Regimes besonders kritische Journalisten. Generell galt jedoch: Die amerikanische Presse besaß die größte Narrenfreiheit, das Regime traute sich an sie, im Gegensatz etwa zu Briten und Franzosen, kaum heran. Wer die amerikanische Presse las, konnte sich keinen Illusionen über den "schönen Schein des Dritten Reiches" hingeben, wie ihn die Propagandisten um Goebbels immer wieder neu zu erzeugen versuchten.
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Warum geht es immer noch durch, dass Journalisten sich darauf berufen können und es als General-Absolution betrachten, dass sie damals gleichgeschaltet wurden?
Während sie dies gleichzeitig allen anderen Zeitgenossen geradezu kategorisch verweigern.
Und haben sie diese Gleichschaltung den Konsumenten auch erzählt?
Schon ein Blick in Wikipedia zeigt, dass diese einfache Erklärung der "Gleichschaltung" für viele Medien einfach nicht stimmt.
Siehe Georg von Holtzbrinck, Hugenberg etc.
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Im übrigen weiß ich selbst als langjähriger Autor bei Wikipedia - und anders als Wissenschaftler, die überhaupt nicht neutral, sondern nur objektiv sein sollen - haben wir uns wirklich Neutralität zu Ziel gesetzt. Und selbst mit besten Absichten ist das kaum zu schaffen. Denn Jeder Mensch ist durch verschiedenste Aspekte geprägt, angefangen von der Erziehung bis hin zu aktuellen politischen Entwicklungen. Und damit sind wir wieder am Beginn: keine Relativierungen des Holocausts. Auch nicht durch die Blume. Man kann manchmal richtig die Freude sehen, wenn mal ein ausländischer Forscher mit dem Wasser auf die Mühlen der sich so unterdrückt fühlenden kommt, wie sehr das die "geschundene deutsche Seele" erleichtert. "War ja nicht alles schlecht damals...".
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