L.I.S.A.: Herr Dr. Solterbeck, Sie haben sich für Ihre Dissertation den westfälischen Adel des 18. Jahrhunderts zum Untersuchungsgegenstand gewählt. Was hat sie an der historischen Beschäftigung mit Adel fasziniert?
Dr. Solterbeck: Die Fremdheit, die Andersartigkeit des Adels hat mich besonders fasziniert. Die ständische Gesellschaft funktionierte völlig anders als unsere heutige. Unsere Gesellschaft ist egalitär aufgebaut, es gibt Gesetze gegen Diskriminierung und es gibt regelmäßig einen Aufschrei, wenn vermutet wird, dass Prominente, Politiker oder Besserverdienende vor Gericht oder anderswo besser als andere behandelt werden. Die Egalität ist – zum Glück – fester Teil unseres Selbstverständnisses und unseres Denkens. Das war in der vormodernen, ständischen Gesellschaft fundamental anders. Die Gesellschaft war hierarchisch aufgebaut, es gab überall und zwischen allen Rangunterschiede und -ordnungen, die über das Medium Ehre hergestellt wurden. Der Adel stellte die Spitze dieser Hierarchie dar, er war der am deutlichsten sichtbare Kristallisationspunkt der ständischen Gesellschaft. Sich mit dem Adel, seinem Ehrbewusstsein und seinen Rangkämpfen zu beschäftigen, ist ein ungemein spannendes, weil dem eigenen Denken so fremdes Untersuchungsvorhaben.
Das gilt umso mehr für Adelsfamilien, die mit einem Konkurs zu kämpfen hatten, denn der bedrohte das adlige Ehrbedürfnis auf mehrere Weise: Ein Konkurs war ehrenrührig, weil er mit dem Bruch von Zahlungsversprechen, Wortbruch also, einherging und diesen öffentlich machte. Ein Konkurs bedrohte den Güterbesitz, an dem aber viele ständische Ehrenrechte und Zugehörigkeiten hingen. Und ein Konkurs bedrohte vor allem die finanzielle Unabhängigkeit, die zum demonstrativen Statuskonsum und für die adlige Lebensweise notwendig waren. Es ist vor allem dieses Spannungsverhältnis zwischen der Ehrbedürftigkeit des Adels und der Ehrenrührigkeit eines Konkurses, das mich fasziniert hat.
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