Von älteren Generationen wird heutigen Studierenden immer wieder vorgeworfen, sie seien unpolitisch, ichbezogen und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Anders die sogenannte 68er-Generation, die verantwortungsbewusst für Prinzipien kämpfte und die eigene Zukunft hinten anstellte - so jedenfalls das Narrativ, das heute oftmals für einen Vergleich herangezogen wird. Wie das politische Potenzial der Studierenden in Vergangenheit und Gegenwart zu bewerten ist, hat Dr. Julian Schenke in seiner Dissertationsarbeit untersucht. Wir haben den Sozialwissenschaftler, der aktuell am Göttinger Institut für Demokratieforschung als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist, zu seiner Studie befragt und wollten unter anderem wissen, ob die 68er- und die Fridays-For-Future-Bewegung vergleichbar sind.
"Die Genese dieser konträren Auffassungen des Studiums"
L.I.S.A.: Herr Dr. Schenke, Ihre kürzlich publizierte Promotion trägt den Titel „Student und Demokratie. Das politische Potenzial deutscher Studierender in Geschichte und Gegenwart“. Geht Ihr Projekt auf ein persönliches Interesse zurück – waren Sie zu Studienzeiten selbst politisch aktiv?
Dr. Schenke: Tatsächlich ist meine Themenwahl von Anfang an von einem sehr persönlichen Interesse getragen gewesen. Allerdings wäre es etwas vermessen, in meinem Fall von politischem Aktivismus zu sprechen. Zwar habe ich in der Frühphase meines Studiums (genauer: 2009 und vor allem 2010) an den Demonstrationen zum "Bildungsstreik" teilgenommen, die es ja zu bundesweiter Aufmerksamkeit gebracht haben. Doch mein Interesse an gesellschaftlichen Zusammenhängen war von Anfang an stark theoretisch - oder wenn man so will: sozialwissenschaftlich - geprägt. Ich begann mein Studium mit dem Wunsch, ein Verständnis des gesellschaftlichen Ganzen zu erlangen, und damit auch an so etwas wie eine fundierte Grundlage für eine nicht-populistische und nicht-moralisierende Gesellschaftskritik zu kommen. Bei vielen meiner Kommilitonen stieß das auf Irritation und Unverständnis, was bei mir wiederum den Eindruck einer eher apathisch-konservativen Studierendenschaft weckte, die doch lieber Lerninhalte wiedergeben und Credits sammeln möchte als thematische Zusammenhänge ausdauernd zu studieren und zu diskutieren. Gleichzeitig erfuhr ich nämlich in selbstorganisierten Lesekreisen, dass es auch anders geht: Freiwillige extrakurrikulare Lektüre und Diskussion auf der Grundlage eines geteilten analytischen Interesses. (Aus einem dieser Kreise ging übrigens auch der Impuls hervor, einmal das Bewusstsein von Studierenden heute zu untersuchen.) Kurzum: Mein Dissertationsprojekt ist tatsächlich so etwas wie der Versuch, die Genese dieser konträren Auffassungen des Studiums aufzuarbeiten und mir damit auch einen Reim auf meine eigenen Erfahrungen zu machen.
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Kommentar
Was ganz interressant ist: im Westberlin 1968 gab es genau drei belegte Wasserwerfereinsätze! Drei! Das 68, was uns heute vorgegaukelt wird, gab es eigentlich gar nicht. Das waren 100 oder 200 Gestalten, der Rest war brav. Insofern ein gigantischer Marketingerfolg der 68er Generation.