L.I.S.A.: Im Zusammenhang mit dem Begriff Arbeit im 20. Jahrhundert fällt immer wieder der Name Ford bzw. das Konzept des Fordismus oder inzwischen Post-Fordismus. Was genau ist darunter zu verstehen?
Dr. Uhl: Es ist wichtig, den Fordismus nicht auf das eine Element zu reduzieren, das einem vermutlich zuerst durch den Kopf gehen dürfte: das Fließband. Ab 1913 wurden bei Ford Automobile am Fließband produziert, damit einher gingen aber weitere Neuerungen. Die klassische Definition des Fordismus von David Hounshell betont neben dem Fließband die stark mechanisierte Produktion, eine Hochlohnpolitik, Massenproduktion bei niedrigen Preisen und das neue Phänomen des Massenkonsums.
Das kulturelle Gedächtnis vom Fordismus ist vermutlich sehr stark von den Bildern in Chaplins Film „Modern Times“ geprägt. Diese Vorstellung von reduzierten monotonen Arbeitsabläufen ist zwar durchaus treffend. Allerdings muss davor gewarnt werden, den Fordismus generell mit einer Dequalifizierung der Arbeit zu verbinden. Vielmehr fand eine Polarisierung der Qualifikation statt: Während die zumeist männlichen Facharbeiter verstärkt qualifizierte Kontroll- und Reparaturarbeiten übernahmen, wurde die ungelernte Arbeit vor allem von Frauen und Migranten getragen. Ein wesentlicher Bestandteil des Fordismus ist zudem die Vorstellung, aber auch die verbreitete Erfahrung der Industriearbeit als Beruf. Die Arbeitskräftefluktuation ging stark zurück, und viele Arbeitende konnten mit einigem Recht erwarten, während ihrer Lebensarbeitszeit trotz fortgesetztem technologischen Wandels einer erlernten Tätigkeit in einem einzigen Betrieb nachgehen zu können. Sogar ein begrenzter interner Aufstieg war keine Seltenheit.
Hier setzt die sozialwissenschaftliche Diagnose des Endes des Fordismus bzw. des Beginns einer neuen Epoche des Post-Fordismus an: Die Arbeitsplatzsicherheit sei am Verschwinden, stattdessen sei Flexibilität zum neuen Paradigma geworden. Ein weiteres Merkmal des Post-Fordismus wird immer wieder genannt: An die Stelle von Fremdkontrolle trete immer stärker die Selbstkontrolle am Arbeitsplatz. In der Geschichtswissenschaft wird zudem betont, dass die Automatisierung die fordistische Produktion verdrängt habe. Der Historiker Rüdiger Hachtmann hat zurecht eingewandt, dass wir es zum einen mit einer Zentrierung des Blickes auf die deutsche Entwicklung zu tun haben. Dabei wird die Fortexistenz des Fordismus in weiten Teilen der Welt und auch in Osteuropa übersehen. Außerdem ist auch der Blick auf Deutschland häufig ein verzerrter: Es werden vor allem Großbetriebe untersucht. Deren kleinere Zulieferer, die von der Forschung nicht angemessen berücksichtigt werden, haben hingegen auch in Deutschland sehr häufig die fordistischen Produktionsmethoden beibehalten.
Meine Untersuchungen zeigen zusätzlich, dass vermeintlich post-fordistische Praktiken des Selbstmanagements sehr wohl bereits ab den 1920er Jahren in tayloristischen und fordistischen Kontexten nicht nur diskutiert, sondern auch in Betrieben angewandt worden sind. So wie der Fordismus von Beginn an zur Automatisierung tendierte, so lässt sich auch die Subjektivierung der Arbeit, lassen sich also Formen des Selbstmanagements als Teil des fordistischen Projektes begreifen. Um es zuzuspitzen: Es erscheint fraglich, ob überhaupt ein Bruch stattgefunden hat, der die Rede vom Post-Fordismus rechtfertigen würde.