Anders als der Geburtstag ist Weihnachten ein Anlass für gegenseitiges Beschenkens. Man verschenkt und wird beschenkt. Das ist eine unausgesprochene und dennoch allgemein akzeptierte Regel in christlich geprägten Gesellschaften. Auch in anderen Kulturen und Netzwerken ist das Schenken als soziale Praxis geregelt. Welche Regeln dazu gehören, welche Ansprüche und Erwartungen mit dem Schenken verbunden sind, damit hat sich der Soziologe Prof. Dr. Boris Holzer von der Universität Konstanz beschäftigt. Wir haben ihm unsere Fragen gestellt.
"Am großzügigsten bedacht werden die Ehepartner"
L.I.S.A.: Herr Professor Holzer, als Soziologe erforschen Sie unter anderem soziale Netzwerke. Das Schenken ist eine soziale Praxis, die vor allem in christlich geprägten Gesellschaften im Weihnachtsfest tief verwurzelt ist. Wir schenken an Weihnachten bestimmten sozialen Gruppen etwas. Welchen vor allem und warum?
Prof. Holzer: Kleine (aber natürlich auch größere) Geschenke erhalten die Freundschaft, vor allem aber verleihen sie ihr symbolisch Ausdruck. Das Weihnachtsfest rückt enge persönliche und verwandtschaftliche Beziehungen in den Vordergrund, indem sie durch den Austausch von Geschenken bestätigt werden. Der Wert eines Geschenks, so ein wahrscheinlich nicht untypisches Ergebnis einer älteren Studie in einer amerikanischen Kleinstadt, orientiert sich an Skalierungsregeln, für die das Verwandtschaftsverhältnis ausschlaggebend ist: Am großzügigsten bedacht werden die Ehepartner, danach kommen die Kinder und dann die Geschwister, denen die angeheirateten Familienmitglieder in etwa gleichgestellt sind. Innerhalb der Verwandtschaft erwartet man eine gewisse Gegenseitigkeit, lediglich Kinder werden häufig beschenkt, ohne selbst etwas geben zu müssen. Auch Personal und Dienstleister werden häufig bedacht, ohne dass man erwarten müsste, beispielsweise vom Zeitungszusteller ein Gegengeschenk zu erhalten. Jede Beziehung hat eine eigene Logik und Geschichte, denen die Schenkenden mit ihrer Gabe Rechnung tragen. Bei Lebenspartnern, Verwandten und Freunden wird darauf Wert gelegt, dass das Geschenk einen Bezug zur Person des Beschenkten hat, bei anderen wird zumindest eine personalisierte Grußbotschaft hinzugefügt. Es kommen also mindestens zwei Motive in Frage: Persönliche und verwandtschaftliche Beziehungen zu bestätigen sowie eher unpersönlichen, aber dauerhaften Beziehungen eine persönliche Note zu verleihen.