In Bolivien sind bislang über 1000 Stätten mit Felsbildern bekannt – ein Kulturerbe also, welches nicht nur durch seine Zahl beeindruckt, sondern vor allem Chancen bietet, die Vergangenheit auch mithilfe bildlicher Quellen in neue Kontexte zu setzen. Allein die Region Chiquitos im östlichen Bolivien weist mit ihren mehr als 80 Stätten eine hohe Dichte auf. Dieses Kulturerbe ist bedroht, denn nicht nur Vandalismus und Vernachlässigung stellen reale Probleme dar, sondern auch immer häufiger auftretende Naturkatastrophen, wie zuletzt ein großer Waldbrand im Jahr 2019 in Chiquitos verdeutlichte. Dem Schutz dieser Felsmalereien hat sich die Sociedad de Investigación del Arte Rupestre de Bolivia (SIARB) verschrieben, eine deutsch-bolivianische Gesellschaft zur Erforschung bolivianischer Felsbilder, die 1987 gegründet wurde. Mitbegründer der SIARB ist Matthias Strecker, der seit 2020 in einem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Projekt zusammen mit der Archäologin Pilar Lima und dem Konservator Freddy Taboada in einem größeren Team zahlreiche Felsmalereien in Roboré (Chiquitos, Department Santa Cruz) untersucht, und dabei auch den landschaftsarchäologischen Kontext mit einbezieht. Wir haben Herrn Strecker zu seiner Arbeit, den Felsbildern sowie Chancen und Hürden kulturwissenschaftlicher Arbeit in Bolivien befragt.
"Felsbilder hatten vermutlich unterschiedliche Bedeutungen"
L.I.S.A.: Herr Strecker, Sie untersuchen seit vielen Jahren in einem internationalen Team aus Archäologen, Konservatoren und lokalen Ehrenamtlichen zahlreiche Felsbilder im bolivischen Roboré und konnten in den vergangenen Jahren viele Stätten analysieren, bei denen Felsbilder gefunden wurden. Mal ganz einfach gefragt: Warum fertigten Menschen Felsbilder an? Welche Rolle spielten sie im alltäglichen oder rituellen Leben derjenigen, die sie anfertigten?
Strecker: Da es sich überwiegend um vorspanische Darstellungen handelt und wir die Hersteller nicht mehr befragen können, ist die Antwort nicht einfach. Wir können aber Funde und ethnographische Daten aus anderen Gegenden Boliviens und der Nachbarländer berücksichtigen. Es gibt Stätten, die noch heute für die indianischen Anwohner rituelle Bedeutung haben und Teil der sakralen Landschaft sind, in der sich die spirituellen Mächte ausdrücken, die die Gemeinschaft seit alters her begleiten und beschützen. Felsbilder sind in diesem Zusammenhang nur ein Teil der Aktivitäten, die sich an diesen Orten abspielten; sie hatten vermutlich unterschiedliche Bedeutungen. An einigen Orten unseres Studiengebietes im Municipio Roboré haben wir Darstellungen von bewaffneten Männern gefunden, die offenbar in den Krieg zogen, ebenso einige Kampfszenen. Wir vermuten, dass sie sich vor oder nach einem Kampf mit einer anderen Gruppe hier trafen. Die Felsbilder stehen vermutlich in diesem Fall mit der erfolgreichen kriegerischen Kampagne in Beziehung.