Versteht man in Deutschland keinen Spaß mehr? An dieser Frage entzündete sich in der vergangenen Woche kurzzeitig eine erregte Debatte über das sogenannte Blackfacing. Was war geschehen? Ein weißer TV-Moderator einer Unterhaltungssendung gab sich als schwarzer Südafrikaner aus, indem er sein Gesicht schwarz geschminkt hatte und sich eine breitere Nase sowie dickere Lippen verpasste. In den Sozialen Netzwerken hagelte an dieser Blackface-Praxis Kritik, Sendung und Moderator wurde Rassismus vorgeworfen. Mit einem offenen Brief an die Sendeanstalt und einer öffentlichen Stellungnahme haben der Historiker Prof. Dr. Norbert Finzsch sowie Tahir Della vom Bundesvorstand des Vereins Initiative Schwarze Menschen in Deutschland gegen das Blackfacing protestiert. Wir haben sie dazu interviewt.
"Eine angeblich angeborene Musikalität und Begabung zum Tanzen"
L.I.S.A.: Herr Della, Herr Finzsch, Sie haben in der vergangenen Woche einen Offenen Protestbrief beziehungsweise eine Stellungnahme unter anderem an die Programmdirektion des Ersten Deutschen Fernsehens geschrieben. Hintergrund ist, dass in der ARD-Unterhaltungssendung „Verstehen Sie Spaß“ vom vergangenen Samstag der Moderator als Südafrikaner aufgetreten ist, und zwar als schwarzer Südafrikaner. Was ist dabei das Problem, das Sie als „Blackfacing“ bezeichnen? Was ist überhaupt unter „Blackfacing“ zu verstehen?
Finzsch: Unter Blackface verstehen HistorikerInnen eine Form des Make-up und der Verkleidung von Weißen, um eine schwarze oder afro-amerikanische Person zu repräsentieren. Die Praxis verbreitete sich in den Vereinigten Staaten rasch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und führte zu einer Verbreitung rassifizierter Stereotype auch außerhalb der Regionen, in denen die Sklaverei praktiziert wurde. Zu diesen Stereotypen gehört das Bild des „armen, aber glücklichen Schwarzen auf der Plantage“ oder das Klischee des halbzivilisierten kulturellen Hochstaplers, der nur so tut, als ob er den Werte- und Verhaltenskanon des Westens übernommen habe. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich die Blackface Minstrel Show als nationale Kunstform etabliert, die bestimmte festgelegte Versatzstücke und Personen aufwies. Figuren, die typischerweise in diesen Minstrel Shows auftauchten waren Bones, Tambo, ein Interlocutor, deren Charakterzüge ebenso stereotyp ausfielen wie ihre Namen.
Die weißen Schauspieler, die diese Charaktere verkörperten, sprachen eine übertriebene Form der afro-amerikanischen Mundart. Ihr Makeup und ihre Darstellung in den Programmheften verliehen ihnen riesige Augen, sehr breiten Nasen und dicken Lippen, die immer lächelten. Sie trugen in der Regel viel zu große Schuhe (wie Zirkusclowns) und ernährten sich angeblich von Opossums oder Waschbären. Minstrel-Charaktere wurden oft in animalistischen Begriffen beschrieben mit “Wolle” anstelle von Haaren, “blöken” anstellen von Sprechen und ihre Kinder wurden als „dunkle Welpen“ bezeichnet. Zu den Stereotypen gehörte eine angeblich angeborene Musikalität und Begabung zum Tanzen. Bruder Tambo spielte das Tamburin und Bruder Bones die Knochenkastagneten. Beide Charaktere, die Sklaven oder ehemalige Sklaven darstellen sollten, waren ignorant und konnten sich nicht ausdrücken, weshalb ihnen in allen Aufführungen etwas Schlimmes passierte: Sie wurden betrogen, verletzt oder überfahren.
Ihre angebliche Dummheit und mangelnde Kultur wurde durch den Interlocutor noch unterstrichen, der sich bemühte aristokratisches Englisch zu sprechen und ein umfassenderes Vokabular benutzte. Der rassistische Witz entstand durch die Missverständnisse von Tambo und Bones in der Unterhaltung mit dem Interlocutor.
Das Publikum, das sich diese Produktionen ansah, bestand mehrheitlich aus der weißen männlichen Arbeiterklasse. Viele von ihnen waren Iren oder andere Einwanderergruppen. Ausgehend von den USA verbreitete sich die Minstrel Show in Großbritannien und auch in Deutschland.
Die in diesen Shows reproduzierten Stereotype spielten nicht nur eine Rolle in der Vertiefung und Verbreitung rassistischer Bilder, Haltungen und Wahrnehmungen. Sie koexistierten mit der weit verbreiteten Praxis des Lynchens, das auch im Norden und Westen der USA praktiziert wurde. Blackfacing ist sozusagen die „komische“ Seite des Lynchens, das überall dort eingesetzt wurde, wo African Americans diese Stereotype entlarvten, indem sie ökonomisch erfolgreich waren oder besonderes Bildungskapital anhäufen konnten.
Blackface und Minstrel Shows setzten sich auch im 20. Jahrhundert fort. Ironischerweise waren es die “modernen Medien” Radio und später Fernsehen, die diese Praxis fortsetzten. Die Praxis wurde so populär, dass auch immer mehr Amateure diese Shows inszenierten, weshalb in den 1920er Jahren eine Reihe von einschlägigen Anleitungen herauskam. Blackface wurde mit dem Beginn der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren unpopulär. Die Aneignung, Ausbeutung und Assimilation schwarzer Kultur in den USA wurde damit aber nicht beendet.
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Ernstlich: Da zieht man aus medialen Aufführungen nebst Alltagsbeoachtung einen schicken neuen Begriff und schafft sich dann die gesellschaftliche Gegenwart und Wirklichkeit dazu, hier insbesondere den "strukturell" rassistischen und als solchen seit Kaisers Zeiten lernunfähigen weißen Bürger. Natürlich kann nur ein Wissenschaftler (jeden Geschlechts) unterscheiden zwischen Vordergrund und Hintergrund, zwischen allerorten aufgeführter "Schwarzmalelrei" und individuellem und/oder gesamtgesellschaftlichem politisch-anthropologischem Wissen und Urteilen. So kommen Mißvergnügen an einander und Mißtrauen in die Welt.
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Auf die rassistische Verwendung von blackfacing nachdrücklich hinzuweisen, bleibt deshalb ein Desiderat. Das Interview macht dies deutlich, die generalisierende Konsequenz ist allerdings meines Erachtens intellektuell unredlich...