Der Dr. Bockenheimer Denkmalbrunnen am Oppenheimer Platz in Sachsenhausen
Im Juni 2013 erschien die Biografie des innovativen Frankfurter Chirurgen Geheimer Sanitätsrat Dr. med. Jacob Hermann Bockenheimer (1837–1908) im Selbstverlag seines Enkels Johann-Philipp Bockenheimer. Dieser Beitrag enthält Auszüge daraus, die lokalgeschichtlich besonders interessieren: Die Geschichte der Klinik in der Gutzkowstraße und des Denkmalbrunnens am Oppenheimer Platz. Die chirurgische Privatklinik Dr. Bockenheimer entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Frankfurter Allgemeinkrankenhaus. Für die Armen der Stadt war sie eine wichtige Hilfe, weil sich "Unbemittelte" täglich in ihrer Poliklinik (»Ambulatorium«) unentgeltlich behandeln lassen konnten. Dafür setzten die dankbaren Sachsenhäuser Bockenheimer ein Denkmal — den Denkmalbrunnen am Oppenheimer Platz, nahe dem ehemaligen Standort der Klinik. Dessen Aufstellung und Unterhaltung verlief recht dramatisch.
Die Dr. Bockenheimer´sche Klinik in der Gutzkowstraße in Sachsenhausen (1880–1908)
Unterstützt durch die Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt arbeitete der "StadtteilHistoriker" Johann-Philipp Bockenheimer 2011/12 zum Thema "Ein Frankfurter Arzt und seine Zeit" (siehe Link). Daraus entstand eine Biografie, die im Juni 2013 unter dem Titel "Eine Sachsenhäuser Geschichte" erschien. Das Buch geht Werk und Lebensspuren dieses außergewöhnlichen Arztes nach und beleuchtet die Entwicklungen in der Stadt und ihrer Zeit — das Frankfurt des späten 19. Jahrhunderts. Es ist beim Selbstverlag des Autors und in der Buchhandlung Carolus in Frankfurt erhältlich (129 S., 99 Abb.).
Für Frankfurter sind zwei Aspekte des Buches lokalgeschichtlich besonders interessant: Was hatte es mit der Klinik in der Gutzkowstraße auf sich, was mit dem Denkmalbrunnen am Oppenheimer Platz. Hier dazu einige Auszüge aus dem Buch.
Die Dr. Bockenheimer´sche Klinik in der Gutzkowstraße in Sachsenhausen (1880-1908)
Der Chirurg Dr. med. Jacob Hermann Bockenheimer ließ sich 1863 in Frankfurt als Arzt und Geburtshelfer nieder und gründete 1866 in Sachsenhausen eine kleine chirurgische Privatklinik. Von Beginn an bot er täglich von 11-12 Uhr "freie Konsultation und Behandlung für Unbemittelte" an. Das hielt er bis 1908 durch, auch, nachdem die nach seinen Plänen 1880 in der Gutzkowstraße eingerichtete Klinik längst zu einem Allgemeinkrankenhaus mit 150 Betten geworden war. Jacob Hermann Bockenheimer war der erste Chirurg, der in Frankfurt die "antiseptische Methode" im Operationssaal praktizierte und erfolgreich Operationen bei geöffneter Bauchhöhle ausführte. Er erfand neue Operationstechniken und Operationsbestecke. Jacob Hermann Bockenheimer war auch ein sehr erfolgreicher Hausarzt und wurde zum Frankfurter Original. Über ihn finden sich viele Anekdoten in Baberadt´s Frankfurter Anekdoten-Büchlein. Wohnung und Praxis hatte er in der Hochstraße 51 nahe der heutigen Alten Oper.
Seine erste chirurgische Klinik in Sachsenhausen zog im August 1870 aus der Elisabethenstraße in ein von ihm selber modern konzipiertes Klinikgebäude mit 25 Betten am Mühlberg um. Während des Krieges 1870/71 stellte er die Klinik dem Militär zur Verfügung und behandelte dort 100 verwundete Offiziere außergewöhnlich erfolgreich. Das Klinikgebäude in der Mühlbruchstraße musste 1873 an die Königliche Eisenbahndirektion verkauft werden (Expropriation), da es der Trasse der neuen Bebraer Eisenbahnlinie im Wege stand. Jacob Hermann Bockenheimer mietete ein neu erbautes vierstöckiges Haus mit Garten am Offenbacher Fußweg 16 und bezog es im Januar 1874. Obwohl dieses Privatgebäude von Anfang an nur als Provisorium gedacht war, kam trotz steigenden Bedarfs ein Neubau der Klinik erst 1879 nach dem Ankauf umfangreichen Geländes an Gutzkowstraße und Stegstraße in Gang. Mit großer Entschlossenheit trieb Jacob Hermann Bockenheimer den Neubau eines hochmodernen Klinikgebäudes in der Gutzkowstraße 53 voran.
Frankfurt zählte im Jahr 1880 zwar 136.831 Einwohner, verfügte aber noch nicht über ein allgemeines städtisches Krankenhaus. Neben den Stiftungshospitälern wie dem Heilig-Geist-Hospital und dem Bürgerhospital bestritten Privatkliniken die Krankenpflege. Erst 1884 nahm das von der »Commission für geschlossene Armenpflege« verwaltete Städtische Krankenhaus Sachsenhausen seinen Betrieb auf. Dadurch sank die Zahl der auf städtische Kosten in die Klinik Dr. Bockenheimer eingewiesenen Patienten, die Zahl der Privatpatienten stieg jedoch. Bis 1910 erhöhte sich die Frankfurter Einwohnerschaft, vor allem durch die Eingemeindungen, auf 414.000, und das Städtische Krankenhaus Sachsenhausen an der Gartenstraße wuchs mit. Als Jacob Hermann Bockenheimer 1879 sein neues Klinikgebäude plante, wurde das städtische Gelände rund um den Oppenheimer Platz für die Bebauung neu parzelliert und an Investoren verkauft. Die Straßenzüge waren zwar geplant, aber noch nicht angelegt. Der Niederräder Fußweg zwischen Schweizer Platz und Alter Friedhof wurde im Zuge dieses Ausbaus in Gutzkowstraße umbenannt.
Auch in den folgenden Jahrzehnten des Betriebs seiner Privatklinik hielt Jacob Hermann Bockenheimer an dem Grundsatz fest, dass »jedermann und Kranke jeder Art« in seinem Ambulatorium unentgeltlich Hilfe und Behandlung fanden. Er war als stadtbekannter und beliebter Hausarzt vermögend geworden und in der Lage, seine Klinik zu bezuschussen. Die Jahresberichte in den "Statistischen Mitteilungen" seiner Klinik weisen aber auch aus, dass er für Klinik und Ambulatorium erhebliche Mittel von wohlhabenden Spendern einwerben konnte. Bis zur Jahrhundertwende blühte in Frankfurt ein großzügiges bürgerliches Mäzenatentum trotz der Weltwirtschaftskrise von 1873 (Gründerkrise) und der folgenden langen Wirtschaftsstagnation.
Jacob Hermann Bockenheimer berichtet 1881 über Anlage und Ausstattung des neuen Klinikgebäudes mit allen Details. Man spürt, dass er mit Sorgfalt und Begeisterung die Erfahrungen mit dem Klinikgebäude in der Mühlbruchstraße umgesetzt hatte:
“Das jetzige Gebäude der Klinik (siehe Plan, Tafel No.19) liegt in dem westlichen Theile von Sachsenhausen, südlich von der Gutzkowstrasse und östlich von der Stegstrasse. Die Umgebung des Gebäudes ist noch nicht bebaut, in der Nähe befindet sich ein grosser, gärtnerisch angelegter, freier Platz, der Oppenheimerplatz, welcher nicht bebaut werden soll. Südlich von der Klinik bis zum Bebraer Bahnhof sind Gemüsegärten, und es dürfte wohl noch längere Zeit verstreichen, bis dieses Terrain der Bauspeculation verfallen wird. Das Gesammtterrain mit Einschluss der bebauten Fläche beträgt etwas über 30.500 Quadratfuss, das Gebäude annähernd 6.000 Quadratfuss, so dass für den Garten etwas mehr als 24.500 Quadratfuss verbleiben. Die beiden Strassen an der Klinik sind durch den städtischen Canal canalisirt. Zur Trockenhaltung des Hauses führt um das ganze Gebäude ein Luftcanal, dessen Boden von der Mauer des Hauses noch ein kleines Gefälle hat. Unter dem vorderen nördlichen Theile des Hauses ist der Keller angelegt, der übrige Theil ist nicht unterkellert, doch ist zur vollständigen Trockenlegung im Souterrain zunächst über dem Boden eine Backsteinschichte, auf welche eine Cementlagerung mit Asphaltlage folgt. In dieser Asphaltlage ruhen die Riemenparquetböden in den Zimmerräumen; in den übrigen Räumen ist die Cementschichte verstärkt. In dem Souterrain, welches ausser dem Haupteingange noch zwei Seiteneingänge hat, von denen einer in die Küche führt, finden sich ein Consultationszimmer für die ambulatorische Klinik, welche täglich seit Gründung der Anstalt im Jahre 1866 von 12-1 Uhr abgehalten wird, dazu ein Wartezimmer, ferner Wirthschaftsräume, Küche, Waschküche, sowie das Sectionszimmer. Ausser diesen Räumen sind noch kleinere Abtheilungen, die zur Aufbewahrung von Haushaltungs-Utensilien dienen. Das Souterrain ist 12 Fuss hoch und liegt 10 Fuss über und 2 Fuss unter dem Boden.
Der erste Stock, auch als Hochparterre zu bezeichnen, liegt somit 11 Fuss (ein Fuss Balkenlage) über dem Erdboden. Hier finden sich nun die zwei grösseren Krankensäle mit je 14 Betten, ein Separationszimmer und zwei Extrazimmer mit je einem Bett. In der Mitte dieses Stockwerkes liegt der Operationssaal; derselbe ist durch den Vorbau des Hauses von drei Seiten gut erleuchtet und hinreichend geräumig. Dieses Stockwerk dient für die Männerabtheilung, während der zweite Stock für die Frauen- und Kinderabtheilung bestimmt ist. Durch eine Theilung der grossen Krankensäle entstanden in dem zweiten Stocke vier grössere Zimmer, von denen drei für die weiblichen Patienten eingerichtet sind, das andere dagegen für eine Kinderstation mit sechs kleinen Betten hergerichtet ist. Ueber dem Operationssaal liegt die Hauscapelle. Fünf kleinere Zimmer auf der einen Seite des Dachstockes dienen zur Isolirung und Separirung. Symmetrisch angelegt ist auf beiden Seiten von dem Stiegenhaus zunächst ein Bad sowohl im ersten als im zweiten Stockwerke. Hierauf folgt der Ausgang zu der Veranda auf jeder Seite und hieran schliesst sich ebenfalls auf jeder Seite ein Doppelcloset mit Vorraum an. In den beiden Badecabinetten jeden Stockwerkes ist mit der Feuerung eine kleine Kücheneinrichtung verbunden, um einzelne Speisen und Getränke bereiten und warm erhalten zu können.
Die Wasserversorgung geschieht durch die Frankfurter Quellwasserleitung. Durch einen in der Küche aufgestellten grossen Boilerofen mit directer und indirecter Feuerung werden sowohl sämmtliche Bäder als die verschiedenen Zapfstellen mit warmem Wasser versehen. Die Heizung geschieht in den Krankensälen durch WURMʼsche Oefen, welche von dem Corridor geheizt werden. Diese Oefen besorgen zugleich die Ventilation. Ein Zuführungscanal führt die frische Luft unter den Ofen, welche erwärmt durch ein Gitter in dem mittleren Theile des Ofens wieder ausströmt. Ausser diesem Zuführungscanal ist ein Schacht an dem unteren Theile des Ofens angebracht, welcher von dem Fussboden die Zimmerluft aufsaugt und durch den Ofen in die Schornsteine abführt. Für die Ventilation ist an der Decke des Zimmers noch ein Einlass in den Mantel der Kamine, jedes Schornsteinrohr ist mit einem eigenen Canale (Mantel) umgeben. Sodann finden sich in jedem Krankenzimmer sowie in dem Operations-Saal Etagencanäle zum directen Einströmen frischer Luft. Auch an den oberen Fenstern kann Lüftung durch Klappvorrichtung erfolgen. In allen Krankensälen ist der Fussboden aus Riemenparquet hergestellt. Zur Erleichterung des Verkehrs sind sämmtliche Stockwerke mit Sprachröhren und elektrischen Schellen verbunden. Von allen Zimmern geht eine elektrische Leitung nach den Centralapparaten auf den Corridoren. Von dem Souterrain führt nach allen drei Stockwerken ein Speisezug, ebenso auf der südlichen Seite eine Lauftreppe, an deren Antritt sich der Ausgang nach dem Garten öffnet.”
(AS1, S. 374 ff)
Im Jahr 1880 wurde der neue Klinikbau an der Ecke Gutzkowstraße / Stegstraße, teilweise von der Stadt Frankfurt veranlasst (FB1, S. 166), fertig gestellt. Mit dem Ausbau von Straßen und mit Neuparzellierungen änderten sich später auf diesem Areal auch die Hausnummern. Die Klinik befand sich auf den Parzellen, auf denen heute die Gebäude Gutzkowstraße 45, 47 und 49 sowie Stegstraße 59 und 61 stehen. Sie war in einem parkartigen Garten gelegen und genügte allen Anforderungen an eine moderne chirurgische Klinik. August Marx berichtet dazu in seinen Erinnerungen »Aus meiner Gass« (ISG S6b-63) folgendes: "Rittlinger war »Balwierer« und Heilgehilfe und als solcher Assistent des bekannten Arztes Dr. Bockenheimer von der Hochstrasse. Bockenheimer hatte in Sachsenhausen am Oppenheimerplatz in der Gutzkowstrasse eine grosse Privatklinik. Mit seinem Sohn, dem späteren Professor Dr. Phillip Bockenheimer, der mein Schulkamerad in der Wöhlerschule war, habe ich manch schöne Stunden in dem grossen Garten der Bockenheimerʼschen Klinik hindurch gespielt." (ISG S6b-63, S. 54f)
Zur Finanzierung des Klinikbaus hatte Jacob Hermann Bockenheimer Geld auf die damals noch übliche Weise aufgenommen, als Darlehen nicht von einer Bank, sondern von einer der großen Stiftungen. Das Pflegamt des Frankfurter Waisenhauses in der Niddastraße 40 gewährte ihm 1880 ein Darlehen von M 100.000, für das auf das Grundstück der Klinik eine entsprechende Hypothek eingetragen und zu 4,5 % verzinst wurde. (vgl. ISG, Transscriptionsbuch Bezirk 32, 1879 Nr. 609 und 1880 Nr. 508)
Die Schwestern der Armen Dienstmägde Christi zu Dernbach hatten während des Krieges 1870/71 die verwundeten Offiziere in der Klinik Dr. Bockenheimer gepflegt. Nach dem Krieg endete dieses Engagement und erst zögerlich erklärten sich die Dernbacher Schwestern später wieder bereit, in der Privatklinik von Dr. Bockenheimer die Pflege zu übernehmen und schließlich die gesamte Verwaltung.
Nachdem das neue Klinikgebäude in der Gutzkowstraße am 15. Oktober 1880 fertig gestellt war und vom 25. bis 27. Oktober Gönnern und Freunden zur Besichtigung offenstand, wurde am 9. November auch die Hauskapelle durch eine Messfeier, zelebriert von Stadtpfarrer Münzenberger, eingeweiht. Zwischen August und Dezember 1882 wurde dem Klinikgebäude ein Seitenflügel angebaut. Bis in die 1890er Jahre lag die ganze Buchführung und Verwaltung der Klinik in den Händen der Schwestern und erstreckte sich auf folgende Gebiete, wie die Chronik der Schwestern aufführt (MDA-PD):
“1. Über die Einnahmen und Ausgaben, Geschenke mitinbegriffen. Nach Bestimmung des Herrn Sanitätsrates unterstand Casse- und Haushaltungsbuch der Controle des Hr. von Banquier Seckel in Frankfurt.
2. Über die in der Anstalt gepflegten Kranken, den Forderungen der Behörde an Krankenhäuser entsprechend. Das Krankenbuch wurde vom Herrn Sanitätsrate nachgesehen u. vervollständigt.
3. Über die Personalien der Kranken behufs Anfertigung von Totenscheinen u. Nachfragen der Polizey.
4. Über die von ansteckenden Krankheiten befallenen Patienten behufs Anzeige beim Polizei-Präsidium.
5. Alle vierzehn Tage müssen Berichte an das Armen-Amt gemacht werden über Zu- und Abgang der städtischen Kranken und allmonatlich eine Liste für den Stadtarzt Sanitätsrat Spiehs in Frankfurt.
6. Allmonatlich muß Abrechnung mit der Eisenbahn-Direktion gemacht werden, controliert durch den Eisenbahn-Arzt Dr. Küppers; auch Abrechnung und Bericht anʼs Polizei- Präsidium in Bezug auf die Kranken der Ortskasse für den Landkreis Francfurt a/M.
7. Das Königl. statistische Büreau in Berlin verlangt am Ende eines jeden Jahres den von den Krankenhäusern insgesamt verlangten Nachweis über die Verhältnisse der Anstalt.
Seit dem Jahre 1890 ungefähr ist der Assistenz-Arzt der Anstalt mit der Führung des Krankenbuches und den dazu gehörigen Schreibereien beauftragt; alles andre besorgen die Schwestern nach wie vor.” (a.a.O.)
Am 21. März 1890 stellt Jacob Hermann Bockenheimer an den Magistrat der Stadt Frankfurt den Antrag, ihm für eine Klinikerweiterung drei Grundstücke zu verkaufen, die im Süden an die Parzellen seiner Klinik in der Gutzkowstraße angrenzten. Es setzten lange Verhandlungen in Magistrat und Stadtverordnetenversammlung mit umfangreichem Schriftverkehr ein, der beim ISG in der Magistratsakte 1065 erhalten ist. Am 26. August 1890 beschließt der Magistrat den Verkauf, nachdem der Bezirksausschuss in Wiesbaden seine Genehmigung erteilt hat. Die Grundstücke werden auf Jacob Hermann Bockenheimer und seine Ehefrau (!) eingetragen. Für den Verkauf mussten sie einwilligen, einen Teil des Grundstücks “kostenfrei zu Straßenzwecken” an die Stadt abzutreten. Der Beschluss zum Verkauf wurde im Protokoll der Magistratssitzung so festgehalten:
“Es wird der Beschluß des Bezirksausschusses in Wiesbaden, No 2167 vom 19. August 1890, durch welchen zur käuflichen Überlassung des der Stadt Frankfurt a/M gehörigen, in der Sachsenhäuser Gemarkung gelegenen Grundstücks Gew. XVI. No 218 E, 218 EI und 218 EII im Gesamtflächengehalte von 24.079 Quadratwerkfuß an den Sanitätsrath Dr. Jacob Hermann Bockenheimer nebst Ehefrau hierselbst zum Preise von 35.118 Mk 50 Pfg die Genehmigung ertheilt worden, der Stadtkämmerei zum Vollzug des Verkaufsgeschäftes überwiesen.” (ISG, MA 1065)
Über die Dr. Bockenheimer´sche Privatklinik schreibt Wilhelm Kallmorgen in seinem großartigen Werk »Siebenhundert Jahre Heilkunde in Frankfurt am Main«:
“Die Anstalt in der Gutzkowstraße war mit allen sanitären Einrichtungen versehen; aber so geräumig sie auch war, noch zweimal mußte die Klinik erweitert werden. Zuletzt war Platz für 150 Patienten. Die Anstalt war nun längst keine Chirurgische Klinik mehr, sondern ein vollgültiges Krankenhaus. Nach einer 1906 erschienenen Statistik sind seit der Eröffnung der Klinik 135.600 Fälle dort behandelt worden und über 200.000 Operationen ausgeführt worden. Während der Ferienzeit war sie der Sammelpunkt der studierenden Mediziner Frankfurts.” (WK, S. 105)
1892 wurde ein zweiter Seitenflügel angebaut. Trotzdem musste bereits 1896 eine Baracke für 30 Patienten errichtet werden, so dass die Klinik dann, wie von Kallmorgen erwähnt, über insgesamt 150 Betten verfügte. Damit hatte sie sich zu einem der größten Krankenhäuser Frankfurts entwickelt. In Bockenheimers »Ambulatorium« erhielt weiterhin jedermann zwischen 12 und 1 Uhr unentgeltlich ärztliche Beratung und Behandlung, auch chirurgische, jährlich meist 3.000 bis 4.000 Fälle. Hinzu kamen »auswärtige Kranke«, die sich mit »Bädern« oder mit der »Electrisiermaschine« behandeln ließen, wie die Dernbacher Chronik berichtet. Dadurch wurde Jacob Hermann Bockenheimer zu einer Zeit, in der Krankenkassen noch unzureichend ausgebaut waren, ein Helfer für zehntausende Arme.
Bemerkenswert ist die Zahl, die Stadtarzt Spieß für die unentgeltliche Behandlung von “Patienten jeder Art” in der täglich abgehaltenen ambulatorischen Klinik der Dr. Bockenheimer´schen Klinik angibt. So habe die Zahl der hier im Jahr 1887 behandelten Kranken ungefähr 3.000 betragen. Für das Ambulatorium der Allgemeinen Poliklinik in der Neue Kräme gibt Spieß an: “Freie Behandlung erhalten nur Unbemittelte, welchen im Bedürfnisfalle auch Medizin, Verbände, Brillen u. s. w. unentgeltlich verabreicht werden. Die Zahl der hier im abgelaufenen Jahre Behandelten beträgt ungefähr 2.500.” (AS2, S. 289) Die unentgeltliche Behandlung von Kranken war also in der Privatklinik von Jacob Hermann Bockenheimer weitergehend und umfangreicher als die in der städtischen Poliklinik.
Die Statistischen Mitteilungen der Klinik von 1886 berichten von drei Struma-Operationen (Vergrößerung der Schilddrüse), zwei Patientinnen gingen gesund nach Hause. Wegen Pleuraempyem (Vereiterung des Rippenfells) resezierte Jacob Hermann Bockenheimer bei einem vierjährigen Jungen eine Rippe. Der Eingriff konnte das Kind leider nicht am Leben erhalten. Im folgenden Jahr versuchte Jacob Hermann Bockenheimer fünf vaginale Uterusexstirpationen. Vier Operierte starben jedoch bald, da ein Karzinom schon zu weit vorangeschritten war. Die Zahl der Patienten stieg in diesem Jahr von 3.500 auf 3.882. 1888 wurden 4.500 Patienten in der Klinik behandelt, von denen 1.043 stationär versorgt werden mussten. Bei einem 60-jährigen Patienten legte Jacob Hermann Bockenheimer wegen eines Rektum-Karzinoms einen künstlichen After an. Von den wegen Diphtherie tracheotomierten Kindern starb in diesen Jahren noch die Hälfte. Krankheitsgeschichten, Operationsmethoden und die Zahl der Todesfälle beleuchten, wie unzulänglich die medizinischen Möglichkeiten damals noch waren.
Für 1891 beschreibt Jacob Hermann Bockenheimer neben anderen besonderen Fällen den folgenden ausführlich, einen Fall, wie er sich in der heutigen Zeit bei uns nicht mehr entwickeln könnte
“Auch eine Geschwulstbildung im Nacken bei einem 59 Jahre alten Manne war wegen des etwas ungewöhnlichen Sitzes und wegen der ungewöhnlichen Ausdehnung von Interesse. (s. Tab. II nach einer Photographie angefertigt.) Schon seit längerer Zeit hatten sich am Halse und im Nacken sowie auf dem Rücken grössere Geschwülste gebildet, von denen die im Nacken in der letzten Zeit sich bedeutend vergrössert hatten. Die Geschwülste fühlten sich lappig aber dabei fest und derb an, konnten aber als Lipombildungen durch die microscopische Untersuchung festgestellt werden. Durch die Geschwulstmassen am Hinterkopf waren die Bewegungen des Kopfes sowie auch die des Halses im höchsten Grade erschwert und gehindert; auch war das Aussehen des Mannes durch die beiden, hinter den Ohren höckerartig hervortretenden Geschwülste sehr entstellt (vergl. die Abbildung). Durch zwei Operationen wurden die zum Theil zwischen den Nacken- und Halsmuskeln aufsitzenden Geschwülste entfernt. Die Entfernung bot wegen der innigen festen Verwachsung sowie durch die zahlreichen Blutgefässe grössere Schwierigkeiten, doch gelang die Exstirpation, ohne dass ein grösserer Blutverlust eingetreten wäre. Wundverlauf gut. Patient wurde am 26. Januar 91 aufgenommen und konnte am 21.2. 91 geheilt entlassen werden.” (SM, 1891)
In den Statistischen Mitteilungen Jahrgang 1891 berichtet Jacob Hermann Bockenheimer auch über die Behandlung eines Patienten, der einen für die damalige Zeit recht typischen Arbeitsunfall erlitten hatte:
“Eine sehr schwere Verletzung erlitt sodann ein 36 Jahre alter Braumeister, der von einem in den Schacht führenden Zuge [Aufzug] noch vor dessen Hinablassen sich entfernen wollte, da der Zug aber bereits im Gange war, sein Ziel verfehlte und zwischen die Balken und die Wände des Schachtes gerieth. Bei Aufnahme in die Klinik constatirten wir Impression und Fractur des Oberkiefers, mehrfache Fractur des Unterkiefers mit Verlust der meisten Zähne, einer Fractur des Sternums, eine Fracturirung der zweiten rechten und zweiten linken Rippe, eine Fractur der linken Clavicula, dabei Contusionen und Wunden an verschiedenen Körperstellen besonders am Kopf und im Gesicht und an der Zunge. Durch Anlegung der Interalveolarnaht suchten wir den Unterkiefer zu stützen und zu befestigen, dennoch war das Schlucken fast unmöglich, die Ernährung in Folge dessen sehr schwierig, ebenso war durch die Verletzung des Sternums und der beiden zweiten Rippen die Respiration sehr erschwert. Im weiteren Verlaufe mussten mehrfach nekrotische Knochenstücke aus dem Ober- und Unterkiefer entfernt werden, doch trat eine vollkommene Heilung ein und Patient konnte am 64. Tage nach seiner Aufnahme allerdings mit einem grösseren Defect im Oberkiefer und dem schon erwähnten Verlust der Zähne, entlassen werden, um auf seinen Wunsch die Behandlung zu Hause noch fortzusetzen.” (SM, 1891)
Über den Ton im Umgang mit seinen Assistenzärzten geben Schlussbemerkungen des »Directors der Klinik« in den meisten Jahresberichten Auskunft. Hier die Bemerkung am Ende des Heftes der Statistischen Mitteilungen für das Jahr 1891:
“Seit Januar 1891 hat Herr Dr. med. Weber die Freundlichkeit, die Assistentenstelle zu versehen; hülfreiche Unterstützung gewährten uns ausserdem die Herren DDr. Labes, Fritz, Cuno und Willemer. Allen sei hiermit unser bester Dank ausgesprochen. Auch Herrn Assistenz-Wundarzt Rittlinger und Herrn Schmidt danken wir für ihre uneigennützige Unterstützung.” (a.a.O.)
In jedem Jahresbericht findet sich am Ende auch ein Dank an Förderer der Klinik und Spender. Leider waren die Verzeichnisse der »zugewiesenen Gaben und Geschenke« kein fester Bestandteil des Berichtsheftes, sondern eine Beilage und sind nicht mehr erhalten:
“Besten Dank sagen wir sodann allen Freunden und Gönnern der Klinik für die uns während des Jahres zugewiesenen Gaben und Geschenke, deren Verzeichniss wir beilegen. - Frankfurt a. M., im Juni 1892. Dr. Bockenheimer.” (SM, 1891)
In dem Vorwort der Festschrift zum 30-jährigen Bestehen der Klinik schrieb sein Sohn Prof. Dr. Philipp Bockenheimer 1896 über Förderer in der Frühphase der Klinik:
“Auch der nächste Jahrgang gab zur Annahme eines steten Wachsthums der Anstalt berechtigte Hoffnung, was zur Folge hatte, dass schon jetzt der Gedanke rege ward, eine Anstalt nach eigenen Plänen in grösserem Masstabe herstellen zu lassen. Standen doch dem Unternehmen bereits eine beträchtliche Anzahl Gönner und Freunde zur Seite, deren Unterstützung es ermöglichte, eine grosse Anzahl unbemittelter Kranken theils durch Consultation theils durch Aufnahme und Verpflegung in der Klinik oder Verabreichung von Arzneimitteln hilfreich zu unterstützen.” (PB1, S. 6)
Wie sehr Jacob Hermann Bockenheimer die Ausbildung des Ärztenachwuchses am Herzen lag, belegen folgende Sätze aus seinem Bericht in den Statistischen Mitteilungen Jahrgang 1892:
“Aber auch von der seit Gründung der Klinik bestehenden Begünstigung, wonach den Studierenden der Medizin in den letzten Semestern ihres Studiums gestattet ist, die Klinik zu besuchen, der ambulatorischen Klinik, den Visiten auf der stationären Klinik und den Operationen beizuwohnen, haben auch in diesem Jahr eine größere Anzahl Studierender Gebrauch gemacht und die meisten, welche den Vorteil genossen, haben diese Vergünstigung, die ihnen Gelegenheit gab, sich mit den praktischen Verhältnissen vertraut zu machen, außer den schwierigeren Fällen auch die leichteren alltäglich vorkommenden kennenzulernen, sich in der Untersuchung der Kranken und in der Diagnostik zu üben, den Verlauf der Krankheit zu verfolgen, bei Operationen direkt Hilfe zu leisten und bei Anlegung von Verbänden tätig zu sein, wohl auch zu schätzen gewußt”. (SM, 1892)
In seinen letzten Lebensjahren lebte Jacob Hermann Bockenheimer wegen einer Herzerkrankung sehr zurückgezogen, führte aber Praxis und Klinik weiter. An seinem 70. Geburtstag, am 25. Dezember 1907, versammelten sich morgens seine Söhne, viele Freunde, alle in Frankfurt anwesenden früheren Assistenten und Vertreter der Stadt in der Klinik, um ihre Glückwünsche darzubringen. Der Frankfurter Generalanzeiger berichtete am 24. Dezember in einem ausführlichen Artikel zu diesem kommenden Ereignis. Über die Geburtstagsfeier in der Klinik schrieb der Frankfurter Generalanzeiger am 27. Dezember:
“Mit einigen Ausnahmen hatten sich alle früheren Assistenten um ihren Meister versammelt. Nachdem Herr Geh. Rat Bockenheimer in schlichten Worten den Vertretern des Aerztlichen Vereins gedankt hatte, stattete der Sohn Prof. Bockenheimer - Berlin - in treffenden Worten im Namen der Familie den Erschienenen den Dank ab und betonte das Verdienst der Assistenten und barmherzigen Schwestern, die während 34 Jahren in selbstloser, unermüdlicher Tätigkeit sich um die Verwaltung der Klinik und die Pflege der Patienten hervorragende Verdienste erworben haben. Er hob auch besonders hervor, daß das Fortkommen der Klinik und das Weiterbestehen unter den heutigen schwierigen Verhältnissen nicht zum mindesten dem kollegialen Verhalten der Frankfurter Aerzteschaft zu danken ist. Geh. Rat Bockenheimer ließ es sich nicht nehmen, in gewohnter Frische seine Assistenten und Gäste zu einer gemeinschaftlichen Visite der Patienten aufzufordern, wobei er besonders interessante Fälle in seiner originellen Art vorstellte. - Zum Schluß der Feier wurde den Gästen eine Gedenkschrift überreicht, in der neben der Chronik der Klinik eine statistische Zusammenstellung der während des 40jährigen Bestehens behandelten Krankheitsfälle gegeben ist.”(ISG, S2 403)
Den zweiten Weihnachtsfeiertag 1907 verbrachte Jacob Hermann Bockenheimer im Kreis seiner Familie, hatte aber schwere Angina pectoris Anfälle. Trotz seines schlechten Gesundheitszustandes ging er seiner Arbeit in Praxis und Klinik mit eiserner Disziplin weiter nach. Wie schwer krank er war, geht daraus hervor, dass seine Tochter Gertrude ihn bei den Visiten in der Stadt begleiten musste. Wenn das Telefon klingelte und er zu einer Konsultation gerufen wurde, hielt ihn alles Zureden nicht zu Hause. Seine Kinder hängten deshalb abends den Telefonhörer aus, damit der Vater wenigstens nachts nicht gestört wurde. (vgl. SE, S. 29)
»Die Chronik der Klinik« zu ihrem vierzigjährigen Bestehen (PB2) führt in ihrer letzten Statistik die Zahl der in 40 Jahren in der Klinik ausgeführten Operationen auf, die die Vielseitigkeit des Chirurgen Jacob Hermann Bockenheimer zeigt.
Am 21. Februar 1908 hinterlegte Jacob Hermann Bockenheimer bei Notar Justizrat Humser in Frankfurt sein Testament. Im Frühsommer des Jahres bemühte er sich vergeblich um einen Nachfolger für die Fortführung seiner Klinik. Er hatte ihre Einrichtungen, besonders den Operationsbereich, zwar immer auf den neuesten technischen Stand gebracht, sie war jedoch zunehmend ein von großzügigen Spendern abhängiger Zuschussbetrieb geworden, besonders wegen der unentgeltlichen Leistungen des Ambulatoriums. In den Magistratsakten der Stadt Frankfurt befindet sich folgende interne Notiz der »Anstalts-Deputation« des Magistrats vom 22.6.1908:
“K. Stern-Simon bietet die Dr. Bockenheimer ́sche Klinik zum Verkauf an; deshalben wurde für 24.6.08 zu einer Besprechung eingeladen. Am 10.7.08 sind die Vorgänge Dr. B. an die Kämmerei zu den dort befindlichen Akten abgegeben. Schuh.” (ISG, MA U 863)
Im Juli 1908 setzten bei Jacob Hermann Bockenheimer ganz allmählich Lähmungserscheinungen des rechten Beins ein, die Sinneswahrnehmungen wurden schwächer. Am 8. Juli 1908 wendet er sich in einem Schreiben an den Magistrat der Stadt Frankfurt. Er schreibt:
“Durch schwere Erkrankung bin ich genötigt, die Direction der von mir 42 J. lang geführten Klinik in kürzester Zeit niederzulegen. Eine Weiterführung der Klinik von Seiten der Familie Bockenheimer in der bisherigen Form als Familieneigentum ist ausgeschlossen. Unter diesen Umständen bin ich bereit, das Gesamtobject Gutzkowstraße 53, Stegstraße und Schwanthalerstraße insgesamt 75.000 Quadratfuß nebst Immobilien und Mobilien der Stadt zum Vorkaufsrecht bis zum 15.8.08 zum Preis von 1.200.000 Mk zu reservieren zu einer beliebigen späteren Verfügung. Falls eine bindende schriftliche Erklärung bis 15.8.08 nicht erfolgt ist, wird anderweitig über das Objekt verfügt werden. Die Verhandlungen bitte ich schriftlich mit meinem Sohn Universitätsprofessor Dr. Ph. Bockenheimer, den ich mit der Angelegenheit beauftragt habe, zu führen.” (ISG, MA U 863)
Die Kleine Presse berichtet am 30. Juli 1908 in einem besorgten Artikel über den geplanten Verkauf der Klinik.
Bei der Durchfahrung der Nordwand des Nachbargebäudes, Stegstraße 59, wegen der Verlegung einer neuen Frischwasserleitung, ergab sich im selben Jahr, dass die nördliche Begrenzungsmauer den gleichen Aufbau mit einem "Luftcanal" aufweist wie die freigelegte südliche auf dem Nachbargrundstück. Daraus und aus Unterlagen der Städtischen Baupolizei von 1910 (ISG) ist zu schließen, dass beide Gebäude, die eine gemeinsame Brandmauer haben, auf dem zum Teil erhaltenen Keller des Altbaus der Klinik gebaut wurden. Der Abstand der beiden mit "Luftcanal" versehenen Mauern im Norden und Süden deckt sich mit der Länge der Nordsüderstreckung des Klinikaltbaus. Die Fundstelle wird nach Mitteilung von Dr. Andrea Hampel (Denkmalamt Frankfurt) als SAC 51 in das Ortsarchiv aufgenommen und in den Fundberichten zur Archäologie in Frankfurt beschrieben.
Der Dr. Bockenheimer Denkmalbrunnen am Oppenheimer Platz in Sachsenhausen
Schon kurz nach Auflösung und Abriss der Klinik Dr. Bockenheimer in der Gutzkowstraße begann der »Bezirksverein Sachsenhausen« 1910 damit, Mittel zu sammeln, um an das Wirken des Chirurgen und Hausarztes Dr. Bockenheimer und an seine Klinik zu erinnern. Er wurde dabei vom »Ärztlichen Verein Frankfurt a. M.« und dem »Verein der assistierenden Chirurgen, Heilgehülfen und Masseure zu Frankfurt a. M.« unterstützt. In einem Spendenaufruf aus dieser Zeit heißt es:
“Wenn auch das von ihm geschaffene Werk in seiner äußeren Form nicht mehr vorhanden ist, so lebt es doch in dem Herzen seiner Mitbürger fort, und es ist aus deren Mitte der Wunsch rege geworden sein Gedächtnis durch ein schlichtes äußeres Zeichen im Stadtteil Sachsenhausen der Nachwelt zu erhalten. Der Bezirksverein Sachsenhausen hat es übernommen, das Zustandekommen dieses Werkes in die Wege zu leiten, und richtet an Alle, welche das Wirken Dr. Bockenheimers kennen und schätzen gelernt haben die Bitte, durch Spendung erforderlicher Mittel, bei welchen auch die kleinste Gabe willkommen ist, zu helfen den Gedanken in die Tat umzusetzen.” (AFB)
Wegen des Ausbruch des Ersten Weltkrieges und den nachfolgenden Wirren mit dem Höhepunkt der Hyperinflation 1923 musste das Vorhaben zunächst aufgegeben werden. Sicher auch aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation in der Weltwirtschaftskrise 1929-1932 dauerte es dann bis ins Jahr 1932, das Vorhaben zu vollenden. Es ist beeindruckend, wie schnell und selbstverständlich Personen des öffentlichen Lebens und Institutionen in der Stadt in diesen schwierigen Zeiten zusammenarbeiteten, um das Werk in die Tat umzusetzen.
Anfang 1928 wurde der Plan zur Schaffung eines Denkmals wieder aufgegriffen und bei den Mitgliedern des Bezirksvereins Sachsenhausen und des Ärztlichen Vereins Frankfurt sowie bei den Freunden des zu Ehrenden ein Beitrag aufgebracht, der mit Zinszuwachs für die Kosten des Denkmals ausreichte. Ein Arbeitsausschuss unter Vorsitz des Stadtverordneten Fritz Stoltze (Bezirksverein Sachsenhausen) nahm seine Arbeit auf. Besondere Förderung erfuhr das Werk seitens der Stadt Frankfurt durch Stadtrat Niemeyer und Gartenbaudirektor Bromme. Im Herbst des Jahres 1932 berichtete die Frankfurter Zeitung in ihrem Stadt-Blatt über die Gestaltung der Bronzefigur für den geplanten Denkmalbrunnen ausführlich aus dem Frankfurter Atelier des Bildhauers August Bischoff (1876-1965). Die Aufstellung des Denkmalbrunnens setzte der Bezirksverein Sachsenhausen mit seinem Schreiben vom 18. August 1932 an das Städtische Bauamt in Gang. Schon am 19. August 1932 stellte daraufhin Stadtbaumeister Steigleder folgenden Antrag an den Magistrat der Stadt Frankfurt:
“Wir beantragen, der Magistrat wolle beschließen:
1. Die Aufstellung des von dem Bezirksverein Sachsenhausen aus Spenden der Bürgerschaft und des Ärztlichen Vereins in Gestalt eines Brunnens geschaffenen Denkmals für den Geheimen Sanitätsrat Dr. Bockenheimer auf dem an die Garten-Strasse und Steg-Strasse angrenzenden Teil des Oppenheimer Platzes wird genehmigt.
2. Der Magistrat übernimmt das Denkmal namens der Stadtgemeinde nach dessen Enthüllung in Städtisches Eigentum, Obhut und pflegliche Unterhaltung.” (ISG, MA 7.891)
Weiterhin werden in diesem Antrag Vorschläge für die Finanzierung von Wasserzuleitung und Kanalanschluss für den geplanten Brunnen gemacht. Magistratsrat Ganss habe die mit der geplanten Aufstellung des Brunnens verbundenen Rechtsfragen geprüft, eine Mitwirkung der Stadtverordnetenversammlung sei nicht erforderlich. Über die näheren Umstände der Vorbereitung des Projekts durch einen Wettbewerb und mit städtischen Institutionen gibt das Schreiben im weiteren Text Auskunft:
"Das Denkmal in Gestalt eines Brunnens, von dessen Modell ein Lichtbild beigefügt ist, soll auf dem Oppenheimer Platz, Ecke Garten- und Steg-Strasse, in der Nähe der früheren Wirkungsstätte Dr. Bockenheimers Aufstellung finden. Der Entwurf des Denkmals stammt von dem Frankfurter Bildhauer August Bischoff und wurde in einem Wettbewerb unter Zustimmung der massgeblichen städtischen Stellen für die Ausführung bestimmt. Der für die Aufstellung des Denkmals in Aussicht genommene Platz ist unter Mitwirkung der zuständigen städtischen Amtsstellen ausgewählt worden.” (vgl. ISG, MA 7.891)
Im Sommer 1932 wurde in Sachsenhausen geplant, im Rahmen des von der Reichsregierung der Weimarer Republik für die Arbeitsbeschaffung aufgelegten »Notstandsprogramms« den Oppenheimer Platz umzugestalten. Er wurde damals von zwei Diagonalstraßen durchschnitten und diente dem Durchgangsverkehr. Wie das Stadt-Blatt der Frankfurter Zeitung am 19.10.1932 beklagte, hatte er “den Charakter als Schmuck- und Erholungsplatz vollständig verloren”. Der alte Baumbestand sollte erhalten bleiben, und der Platz sollte eine große Rasenfläche bekommen, die nur durch einen von der Launitzstraße in Richtung Stegstraße ziehenden schmalen Quergang unterbrochen wird. Der Ausgang nach der Danneckerstraße sollte durch einen großen halbkreisförmigen Kinderspielplatz ausgestaltet werden. Wegen dieser erst später umgesetzten Planung musste der vorgesehene Denkmalplatz aus der Mittelachse des Oppenheimer Platzes gerückt werden.
Über die Grundsteinlegung zum Ehrenmal für Dr. Jacob Hermann Bockenheimer am 20. September 1932 auf dem Oppenheimer Platz wurde folgendes Protokoll angelegt:
“Infolge strömenden Regens verzögerte sich die infolge der Aufforderung des Architekten und Steinmetzen F. Hofmeister zur Vermeidung von Hemmungen in der Weiterführung der Bauarbeiten eilig auf 3 1/2 Uhr angesetzte Grundsteinlegung auf 5 Uhr. Anwesend waren:
- für die Familie Bockenheimer Fräulein Gertrud Bockenheimer;
- für den Bezirksverein Schriftführer Hugo Bardorff;
- für die Bauleitung der Schöpfer des Denkmals Bildhauer August Bischoff und Steinmetzmeister Fritz Hofmeister sowie zwei Werkleute.
Hugo Bardorff übergab die in den Grundstein zu versenkende Kapsel an Fräulein Bockenheimer. Die aus brüniertem Rotguss hergestellte Kapsel ist von Bildhauer Bischoff gefertigt. Sie ist in zylindrischer Form ausgeführt. Der kreisrunde Boden zeigt in Medaillonform das Bild der Klinik, der die Kapsel schliessende Deckel ebenfalls in Medaillonform das Bild von Dr. Bockenheimer nach einer von Bildhauer Petri hergestellten Denkmünze zum 70. Geburtstage des zu Ehrenden. Der von dem Vorsitzenden Stadtverordneten Ingenieur Friedrich Stoltze geprüfte Inhalt der Kapsel enthält folgende Einzelstücke:
1. Die Urkunde über Entstehung und Zweck des Ehrenmals. Sie ist auf Pergament in schwarzer gotischer Schrift ausgeführt, die Initialen in rot gehalten, die Anfangsbuchstaben des Namens und Vornamens in Gold angelegt, durch das Mitglied des Bezirksvereins Gustav Adelmann, Schifferstr. 88 in Frankfurt-Sachsenhausen wohnhaft, einem Meister graphischer Kunst.
2. Das Doktordiplom des Herrn Dr. Jacob Bockenheimer der Universität Würzburg.
3. Ein Jugendbildnis des Vorgenannten.
4. Das Band des Corps Hannovera in Göttingen.
5. Den Bauplan der Bockenheimerʼschen Klinik in der Gutzkowstrasse.
6. Das Bild, Strassenansicht der Klinik, in Postkartenform.
7. Ein Lichtbild einer von Dr. Bockenheimer im Kreise seiner Assistenzärzte und Operationsschwestern vorgenommenen Operation.
8. Das Wappen der Familie Bockenheimer in Siegelabdruck.
9. Die Todesanzeige von Dr. Bockenheimer vom 15. Oktober 1908.
10. Münzen aus drei Lebensabschnitten: Ein Heller aus dem Geburtsjahre 1837 der Freien Stadt Frankfurt, ein Thaler der Freien Stadt Frankfurt 1865, eine Scheidemünze aus der Inflation 1924, ein neues 50 Pfennigstück 1932, ein neues Pfennigstück 1932.
11. Jahresbericht des Bezirksvereins Sachsenhausen mit dem Rechenschaftsbericht über den Bestand des Ehrenmalfonds. Nachdem der Inhalt durch Herrn Stoltze in dessen Geschäftszimmer geprüft war, wurde die Kapsel geschlossen. Fräulein Gertrud Bockenheimer verleibte sie dem Grundstein ein mit den Worten: “Im Namen Gottes versenke ich diese Kapsel in den Grundstein. Edel sei der Mensch hilfreich und gut.” Für den Bezirksverein Sachsenhausen sprach im Sinne der Frankfurter Bürgerschaft Hugo Bardorff: “Hie gut Frankfurt allewege.” Bildhauer Bischoff und Steinmetzmeister Hofmeister bekundeten die Versenkung der Kapsel in den Grundstein, der dann durch die als Untersatz für das Denkmal dienende mächtige Platte aus Muschelkalk geschlossen wurde.
Zur Beurkundung dessen
(Unterschriften)
Gertrud Bockenheimer, August Bischoff, Fritz Hofmeister, Hugo Bardorff.
Am 20. September 1932.” (AFB)
Am 31. Juli 1908 schreibt Oberbürgermeister Adickes an Dr. Philipp Bockenheimer:
“Sehr verehrter Herr Professor, ich beehre mich, ergebenst mitzuteilen, daß das Schreiben Ihres H. Vaters vom 8. d. Mts., betr. den Verkauf der Liegenschaft Gutzkowstr. 53, der Anstalts-Deputation zum Bericht überwiesen ist. Aber schon jetzt kann ich Ihnen erklären, daß der Ankauf jener Grundstücke seitens der Stadt zum Preis von 1.200.000 Mk ausgeschlossen ist.” (ISG, MA U 863)
1902 wurde ein Gesetz „betreffend die Umlegung von Grundstücken in der Stadt Frankfurt“ beschlossen ("Lex Adickes") - ein Mittel zur Bereitstellung von Bauland, ohne durch Erwerb die Grundstückspreise zu steigern. Um diese Zeit verstärkte der Frankfurter Architekt, Investor und Bauunternehmer Johann Baptist Blattner den Bau von Mietshäusern in Sachsenhausen intensiv, er bebaute ab 1910 auch die ehemaligen Klinikgrundstücke. Diese Mietshäuser sind zum Teil noch heute erhaltenen. Welche Interessen bei dem Desinteresse der Stadt am Ankauf der Klinik im Spiel gewesen sind, lässt sich nach dem folgenden Schreiben des Architekten und Stadtverordneten Adam Dröll vom 3. August 1908 an Oberbürgermeister Adickes vermuten:
“Nach Zeitungs-Nachrichten & wie mir auch von glaubhafter Seite versichert wird, soll Herr Geh. Sanitätsrat Dr. Bockenheimer die Absicht haben, seine Klinik aufzulösen. Es wird sich fragen, ob es im öffentlichen Interesse liegt, die Anstalt als Krankenhaus zu erhalten, da dieselbe in unmittelbarer Nähe des Städt. Krankenhauses liegt. Im Falle einer endgültigen Auflösung der Anstalt gestatte ich mir darauf hinzuweisen, dass es jedenfalls im Städtischen Interesse liegt, das sehr grosse Terrain der Anstalt zu erwerben. Wie ich bereits in der Stadtverordneten-Versammlung erwähnt habe, wird Sachsenhausen durch Verlegung der Eisenbahn-Direction sehr viel verlieren & ist es der dringende Wunsch der Sachsenhäuser Bürgerschaft, Ersatz in irgend einer Weise zu erlangen, wofür ich sr. Zt. die Baugewerk- oder Maschinenbau-Schule vorgeschlagen habe.
Ich gestatte mir darauf hinzuweisen, dass sich in vorliegendem Fall die Gelegenheit bietet, einen genügend grossen Bauplatz für eine solche Anstalt zu bekommen & wäre ich Ihnen für Prüfung der Sache im Interesse der Sachsenhäuser Bürgerschaft dankbar.” (ISG, MA U 863)
Am 31. Juli nimmt die »Volksstimme« der Frankfurter Zeitung das Thema auf.
Das Protokoll der Magistratssitzung vom 14. August 1908, in der über den Ankauf der Dr. Bockenheimer´chen Klinik beraten wurde, weist folgende Passage aus:
“1. Der Magistrat lehnt den Erwerb der genannten Klinik ab.
2. Nachricht an die Anstalts-Deputation mit dem Auftrage, über Herstellung der in Aussicht genommenen Rekonvaleszenten-Anstalt in der Nähe des Stadtwaldes alsbald Vorlage zu machen.” (ISG, MA U 863)
Noch am gleichen Tag gibt Oberbürgermeister Adickes bei seiner Schreibstube einen Brief in Auftrag, der sich an den die Verhandlungen führenden Sohn von Jacob Herman Bockenheimer, Prof. Dr. Philipp Bockenheimer, der sich in Frankfurt aufhielt, richten soll:
“Mit Bezug auf die frühere Korrespondenz teilen wir ergebenst mit, daß wir nach Prüfung der Sachlage auf den Ankauf des Grundstücks Gutzkowstraße 53 nicht reflektieren.” (ISG, MA U 863)
Diese Entscheidung war der Kommission der Vereinigten Krankenkassen zu Frankfurt nicht bekannt, als sie sich am 25. August 1908 in einem Schreiben an den Magistrat der Stadt wendet, in dem es heißt:
“Wir Krankenkassen haben schon deshalb ein sehr großes Interesse an der Erhaltung dieser Anstalt, weil es in den letzten Jahren zur Zeit des hohen Krankenstandes gar nicht mehr möglich war, alle der Krankenhauspflege bedürftigen Patienten unterzubringen. Um wieviel fühlbarer aber müsste dieser Mangel erst dann zutage treten, wenn die Dr. Bockenheimersche Klinik mit ihren 100 Betten geschlossen wäre.”
Das Schreiben stellt dann fest, dass die Einrichtung der Klinik “nicht so ganz der Neuzeit entspreche”, empfiehlt sie aber der Weiterverwendung oder der Einrichtung einer “Rekonvalescentenanstalt”, besonders wegen “des dazugehörigen großen und schönen Gartens.” Die Kommission habe sich mit der Frage beschäftigt, die Klinik kassenseits anzukaufen und den Betrieb aufrecht zu erhalten. “Leider konnte diese Frage angesichts der schlechten Finanzlage der Frankfurter Krankenkassen keine Lösung finden.” (ISG, MA U 863)
Auch dieser Appell konnte den Entschluss der Stadt gegenüber dem verdienten, nun todkranken Bürger und Arzt nicht mehr beeinflussen. Noch am 8.11.1906 war zum Anlass des vierzigjährigen Jubiläums der Klinik Dr. Bockenheimer in der Kleinen Presse zu lesen gewesen:
“Seit dem Jahre 1866 werden von Dr. Bockenheimer, unter Mitwirkung seiner Assistenten, jährlich Jahresberichte herausgegeben, welche neben einer Statistik auch eine Reihe bedeutungsvoller wissenschaftlicher Abhandlungen enthalten. Aus der Klinik sind eine Reihe namhafter Aerzte hervorgegangen, welche in den Wegen ihres Lehrers wandeln. Möge es Dr. Bockenheimer noch lange vergönnt sein, seine segenbringende Tätigkeit zum Besten der leidenden Menschheit weiterzuführen.” (ISG, S2-1403)
Am 29. September 1908 wurde die Klinik geschlossen - für Jacob Hermann Bockenheimer gleichsam der Zusammenbruch seines Lebenswerks. Aus heutiger Sicht erscheint die damalige Entscheidung des Magistrats der Stadt nicht plausibel, war der älteste Teil des Klinikgebäudes zwar über 25 Jahre alt, jedoch war die Einrichtung der Klinik technisch und medizinisch im Wesentlichen auf dem neuesten Stand gehalten worden. Zum vierzigjährigen Bestehen der Klinik hatte die Frankfurter Kleine Presse im November 1906 geschrieben: “Der von F. und M. Lautenschläger in Berlin eingerichtete Operationssaal entspricht den modernsten Anforderungen an die Asepsis. Von anderen Einrichtungen sei noch die Anlegung einer Dampfwäscherei und einer Wasserdampf - Niederdruckheizung erwähnt.” (ISG, S2-1403)
Die 1887 gegründete Firma F&M Lautenschläger gilt noch heute als einer der renommiertesten Spezialisten für Sterilisations- und Desinfektionstechnik.
Am 16. Oktober 1908 informierte Dr. Philipp Bockenheimer den Magistrat der Stadt Frankfurt vom Ableben seines Vaters. Die Frankfurter Zeitung vom 16. Oktober 1908 brachte diese Meldung:
“Gestern Abend ist nach längerer Krankheit Geheimer Sanitätsrat Dr. Jacob Hermann Bockenheimer im 71. Lebensjahr gestorben. Mit ihm ist eine der markantesten Persönlichkeiten des Frankfurter Aerztestandes dahingegangen, ein Mann von hoher wissenschaftlicher Bildung, ein geschickter Chirurg und geschätzter Arzt. Er war ein kühner und erfolgreicher Operateur, den große Willenskraft und Ausdauer auszeichneten. Wie wenige Menschen verstand Dr. Bockenheimer seinen Körper zu stählen; das verlieh ihm die Fähigkeiten und Kraft, eine riesige ärztliche Arbeit zu leisten.” (a.a.O.)
Über die Gründe für das Scheitern des Ankaufs der Dr. Bockenheimer´schen Klinik durch die Stadt Frankfurt gab es im Frühjahr des Jahres 1909 eine durch Bürgermeister Grimm und den Stadtverordneten Graef ausgelöste Auseinandersetzung. Prof. Dr. Philipp Bockenheimer wandte sich am 22. März 1909 mit einer »faktischen Berichtigung« der Äußerungen des Bürgermeisters in der Stadtverordnetenversammlung an Bürgermeister Grimm.
Darin schreibt er:
“Die Klinik ist mit ihrem Gesamtinventar noch in vollem Betriebe zu Lebzeiten des Geh.-San.-Rats Dr. Bockenheimer für 1.200.000 M der Stadt angeboten worden. Fraglos wäre dieser Preis bei weiteren Verhandlungen natürlich noch um 1/3 herabgedrückt worden, so dass also der Ankauf des in vollem Betriebe befindlichen Krankenhauses für 3/4 Millionen Mark durchaus nicht zu teuer bezeichnet werden konnte. Eine weitere Verhandlung mit der Stadt wurde jedoch dadurch unmöglich gemacht, dass diesem Angebot ein Gegengebot der Stadt von 400.000 M (unter dem jetzt aufgenommenen Taxwert) entgegenstand, wobei gleich von Seiten der Stadt bemerkt wurde, dass nur auf die Ländereien Wert gelegt würde, während die ganzen Gebäude und speziell ihre Verwendbarkeit als Klinik, Rekonvalescentenheim, vollständig ausgeschlossen sei, und daher auch kein höheres Angebot gemacht werden könne. Unter diesen Umständen hat Herr Geheimrat Bockenheimer, der über dieses ganze Verhalten ihm gegenüber sehr entrüstet war, von jeden weiteren Verhandlungen mit der Stadt abgesehen. (...)
Trotz des eben skizzierten Verhaltens der Stadt gegenüber dem verstorbenen Geheimrat Dr. B. haben die Erben sich noch einmal an die Stadt gewandt und ihr das Vorverkaufsrecht angeboten zum Preise von M 7.- pro Quadratfuss, wobei die Gebäude nicht in Anrechnung gebracht werden sollten. (...)
Die Hinterbliebenen haben durchaus im Sinne ihres verstorbenen Vaters, der stets in der uneigennützigsten Weise seine Kraft und seine Mittel in den Dienst der Frankfurter Bürgerschaft gestellt hat, zu handeln versucht, indem sie auch nach dem Tode die Liegenschaften zu einem für die Stadt annehmbaren Preise anboten, möchten nun aber nicht in den Verdacht kommen, als ob sie durch eine enorm hohe Preisforderung der Stadt jede weiteren Verhandlungen unmöglich gemacht hätten.
Im übrigen erlaube ich mir Ihnen noch mitzuteilen, dass die noch sehr guten und für verschiedene Zwecke der Kommune verwendbaren Baulichkeiten niedergerissen werden, um eine Parzellierung des Terrains vorzunehmen, falls eine Einigung nicht doch noch zustande kommt.” (ISG, MA U 863)
Eine weitere Verhandlung kam nicht zustande, die Klinik wurde abgerissen, das Gelände neu parzelliert und verkauft. Von dem Erlös war auch die Hypothek von 1880 in Höhe von MK 100.000 zu tilgen, die noch auf dem Grundstück lag. Der genaue Zeitpunkt des Abrisses ließ sich nicht feststellen, da sich weder im Stadtarchiv, noch im Familienarchiv ein entsprechender Hinweis finden ließ und die Grundbuchakten von 1909/1910 nicht mehr erhalten sind. Ein eingrenzender Hinweis ist die Auskunft des Amtes für Bodenmanagement in Limburg, dass die Liegenschaft nach den dort vorliegenden Katasterunterlagen vom 11.8.1910 neu parzelliert war.
Über die Beisetzung des Geheimen Sanitätsrats Dr. Bockenheimer am 18. Oktober 1908 berichteten die Frankfurter Nachrichten vom 19.10.1908:
“Ein weit über die Grenzen Frankfurts hinaus bekannter Arzt wurde gestern schlicht und einfach, ganz wie es seinem Wesen und Charakter entsprach, zur ewigen Ruhe gebettet. Es waren die sterblichen Überreste Dr. Bockenheimers. Die Beerdigung erfolgte vom Trauerhause in der Bockenheimer Landstraße, von wo sich um 1/2 9 Uhr vormittags ein langer Trauerkondukt in Bewegung setzte. An dem mit Chrysanthemen geschmückten Grab auf dem Frankfurter Friedhof sprach Direktor Wolf von der Liebfrauenkirche und führte etwa folgendes im Anschluß an die Bibelworte: „Selig sind die Toten, die im Herrn sterben“ aus: Unter den großen Männern, die sich um die Vaterstadt verdient machten, nimmt Geh. Sanitätsrat Dr. Bockenheimer eine der hervorragendsten Stellen ein. Er wurde am Weihnachtsfeste 1837 als Sohn frommer katholischer Eltern geboren und widmete sich dem ärztlichen Beruf. 1864 ließ er sich als praktischer Arzt in Frankfurt nieder. Durch den Umfang seines Wissens und die neue Methode, deren er sich im Dienste bei den Kranken bediente, sowie durch seine Heilerfolge erlangte er einen großen Ruf. Nach 1866 gründete er die bekannte Dr. Bockenheimersche Klinik, in der Tausende liebevolle Pflege und Genesung fanden. Zur besonderen Freude der katholischen Gemeinde ließ er seine Patienten von katholischen Schwestern pflegen. Groß war die Teilnahme, die die Stadt an dem freudigen Ereignis seines 70. Geburtstags bekundete. Infolge Ueberanstrengung mußte er nach 42jähriger Tätigkeit die Klinik aufgeben. Das allerschmerzlichste, das ihn traf, war die Tatsache, daß die Klinik aufgelöst werden mußte. 18 Jahre lang hat der Verstorbene der katholischen Gemeindeverwaltung angehört.” (ISG, MA U 863)
Die »Statistischen Mitteilungen« enden beim Jahrgang 1908 mit bloßen Aufzählungen und mit einigen Tabellen, und damit endet auch die chirurgische Klinik Dr. Bockenheimer. In diesem letzten Bericht findet sich kein anerkennender Nachruf auf den Gründer und Chefarzt der Klinik, kein Wort des Dankes an die Assistenten, die Dernbacher Schwestern oder die Pfleger. Im Jahresbericht der Ärztlichen Vereinigung zu Frankfurt a/M für 1908 ist zwar in der tabellarischen Übersicht behandelter Erkrankungen noch die Dr. Bockenheimer ́sche Klinik ausgeworfen, aber es sind die dort behandelten Fälle nicht mehr eingetragen, obwohl die Klinik ja zweifellos bis September in vollem Betrieb war.
Die Frankfurter Blätter für Familiengeschichte (FB1) schrieben zum Tod von Jacob Hermann Bockenheimer:
“Unvergessen aber wird seine segensreiche und selbstlose Wirksamkeit zum Wohle der leidenden Menschheit bleiben, unvergessen wird er weiter leben in den Herzen seiner zahlreichen Verehrer, denen er nicht nur beruflicher ärztlicher Beistand in Krankheitsfällen war, sondern bei denen er als wahrer Freund und edler Mensch die Krankenstube betrat, schon durch den Zauber seiner Persönlichkeit Hoffnung und Zuversicht erweckte. - Requiescat in pace!”
Was blieb vom Klinikgebäude? Im April 2013 entstand im Hinterhof Gutzkowstraße 49 ein Problem: ein mächtiger Götterbaum hatte teilweise die Grenzwand zum westlichen Nachbarn eingedrückt und dahinter lag in dessen Hof ein Keller. Der Baum wurde gefällt, sein gewaltiger Stumpf abgefräst, und es wurden zwei Mauern freigelegt, auf die sich der Baum gesetzt hatte. Die eine Mauer ist aus Wechsellagen von Sandsteinblöcken (45x20x42 cm) und Backsteinen aufgebaut und verläuft parallel zur Stegstraße in 16 m Abstand zu ihr. Die zweite Mauer verläuft rechtwinklig dazu, parallel zur Gutzkowstraße in 21 m Abstand zu ihr. Ihre Besonderheit: Sie ist 42 cm breit und ebenfalls aus Wechsellagen von Sandsteinblöcken und Backsteinen aufgebaut. Sie ist mit einer stark erodierten flachen Betonschicht bedeckt, hat aber im Süden angrenzend einen 13 cm breiten "Luftcanal", über den im Süden mit Brückenziegeln eine Wand aus einlagigem Backsteinmauerwerk angeschlossen ist. Oberhalb der Krone dieser Mauer wurde zur Gutzkowstraße hin (N) eine Schicht schwarzen Gussasphalts sichtbar. Der Befund vor Ort stimmt erstaunlich mit dem Bericht von Jacob Hermann Bockenheimer über Anlage und Ausstattung des Altbaus der Klinik von 1881 überein. Die Maße des Altbaus der Klinik sind überliefert, die Veränderungen von Grundstücksgrenzen und Baufluchtlinien an beiden Straßen zwischen 1882 und heute sind nicht zweifelsfrei zu ermitteln. So war die Lage des ehemaligen Klinikgebäudes in Bezug zu den heutigen Gebäuden nicht präzise festzulegen. Der Abriss des Klinikgebäudes und die Neuparzellierung sind auf 1909/1910 einzugrenzen, aber nicht direkt belegt.
Der Dr. Bockenheimer Denkmalbrunnen konnte am 16. Oktober 1932 “unter großer Beteiligung der Sachsenhäuser, der Vertreter der Stadt Frankfurt und des Ärztlichen Vereins” auf dem Oppenheimer Platz nahe dem ehemaligen Standort der Klinik in der Gutzkowstraße feierlich enthüllt werden. Eine der vielen zeitgenössischen Beschreibungen des Denkmals lautet:
“Auf einem hohen Sockel aus Muschelkalk, der das Reliefportrait des Arztes und seinen Namen trägt, erhebt sich leicht überlebensgroß die Gestalt eines Jünglings als Sinnbild von Kraft und Gesundheit. Aus zwei Schalen, die die Figur in erhobenen Händen hält, ergießen sich sechs Wasserstrahlen in weitem Bogen in ein Becken. Die Steinmetzarbeiten zu dem Brunnen führte die Frankfurter Firma F. Hofmeister aus, den Bronzeguss die Sachsenhäuser Kunstgießerei Andreas Komo und Sohn.” (AFB)
Die folgende Meldung in der Frankfurter Zeitung vom 19. Oktober 1932 charakterisiert die schwierigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Zeit, in der es nach Krieg, Inflation und Weltwirtschaftskrise zur Errichtung des Denkmalbrunnens kam:
“Billiges Fleisch für Arbeitslose - Die Magistrats-Pressestelle teilt mit: Im Rahmen der Winterhilfe stellt die Reichsregierung auch in diesem Jahre Mittel zur Verfügung, durch die der hilfsbedürftigen Bevölkerung für die nächsten Wochen der Bezug von frischem Rind- oder Schweinefleisch ermöglicht werden soll. Die Verbilligung wird wie im Vorjahre auf Grund eines von der Reichsregierung herausgegebenen Bezugscheines gewährt und beträgt 20 Pfg. für das Pfund. Die Bezugscheine werden an Empfänger öffentlicher Unterstützung sowie an Zusatzrentenempfänger nach dem Reichsversorgungsgesetz durch das Städt. Versorgungsamt und an Empfänger von Arbeitslosen- und Krisenunterstützung durch das Arbeitsamt ausgegeben.”
Das deutsche Numismatikforum gibt zur Kaufkraft der Reichsmark folgende Auskunft:
“1932 betrug im Reichsdurchschnitt die Unterstützung eines beschäftigungslosen Arbeiters mit Frau und Kind genau 51 Reichsmark im Monat. Aber davon waren als Minimal-Miete 32 Mark aufzuwenden. Also blieben für die Ernährung von drei Menschen genau 19 RM. Das war zu wenig zum Leben und zuviel zum Sterben.”
(zit. n. www.numismatikforum.de - 2012)
Am 4. Oktober 1932 versandte der Bezirksverein Sachsenhausen sechs Einladungen zur Brunneneinweihungsfeier mit einem Schreiben an den Magistrat, das als Vorsitzender Stadtrat Friedrich Stoltze und als Schriftführer Bankvorsteher Oscar W. Schmidt gezeichnet hatten. (ISG, MA 7.891)
Der Frankfurter General-Anzeiger vom Montag, 17. Oktober 1932 berichtete ausführlich über die feierliche Einweihung des »Dr. Bockenheimer Brunnens«. Der Bericht ist hier um Photos aus dem Familienarchiv ergänzt:
“Seit gestern erhebt sich in Sachsenhausen am Oppenheimer Platz der mit dem Bildnis des großen Arztes Dr. Bockenheimer geschmückte Brunnen, der das Andenken an den populären Frankfurter wach erhalten soll. Eine große Zahl von Gästen hatte sich am Sonntagvormittag zur ENTHÜLLUNGSFEIER eingefunden. Die Kapelle LENZ leitete die Feier ein. Die fünf Altsachsenhäuser Gesangvereine “Liederverein”, “Hermannsverein”, “Kalbhennscher Männerchor”, “Bergquartett” und “Germania” sangen einen gemeinsamen Chor, worauf der Vorsitzende des Bezirksvereins Sachsenhausen, Stadtverordneter STOLTZE, die Gedenkrede hielt. Der Bezirksverein habe es als eine Ehrensache betrachtet, den Namen Bockenheimers im Gedächtnis der Nachwelt festzuhalten, und seit Jahren für das Denkmal gesammelt. Allen denen, die zu dem Gelingen beigetragen haben, dankte er, dem Bildhauer BISCHOF[F] für die Bildplakette, der Firma Hofmeister für die Steinhauerarbeit usw. Auch den Spendern von Gaben und den Vereinen, die die Feier verschönern halfen, widmete er Worte des Dankes.
Stadtrat NIEMEYER legte im Namen der Stadt Frankfurt einen Kranz nieder, und versicherte, daß die Stadt stets ihre schützende Hand über das Denkmal halten werde. Im Namen des Ärztlichen Vereins sprach Dr. med. KUTZ, der in warmen Worten auf Bockenheimer als Helfer der leidenden Menschheit, als Förderer der antiseptischen Operationsmethode, hinwies. Für die früheren Assistenten Dr. Bockenheimers ergriff Dr. HEIMANN, nach ihm der Vertreter des Korps “Hannovera” bndm des Cösener Verbandes das Wort.
Für den Bezirksverein und gleichzeitig für eine alte Patientin, die nicht an der Feier teilnehmen konnte, legte Hugo BARDORFF Kränze nieder, ferner Vertreter der Domschule, an der der Vater Dr. Bockenheimers Lehrer war, der Sachsenhäuser Vereine usw. Mehrere Enkelchen legten unter Aufsagen eines Gedichtes Blumen vor dem Denkmal nieder. Landgerichtsdirektor BOCKENHEIMER dankte im Namen der Familie für die Ehrung, die man seinem Vater habe zukommen lassen. Mit weiteren Chören unter Leitung des Dirigenten HILFRICH und Konzertstücken fand die Feier ihr Ende.”
Das folgende damals von Enkel Franz Alexander vorgetragene Gedicht und die Dankesrede scheinen eine fromm-feierliche Stimmung auszudrücken:
“Zum Ehrenfest von Grosspapa sind auch wir Enkelkinder da,
Und innig wir mit allen danken, dass er so gut war zu den Kranken
Und unermüdlich Tag und Nacht auf ihre Heilung war bedacht.
Als Treuegruss diesen Kranz wir spenden und heiss empor die Bitte senden:
Hilf, dass wir ähnlich werden Dir und allen dienen für und für!
Dann wird auch in der Zukunft Tagen Dein Wirken reiche Früchte tragen.”
Zum Abschluss der Einweihungsfeier dankte Dr. jur. Alexander Bockenheimer namens der Familie den Vereinen, Körperschaften und Personen, die an der “Errichtung des sinnvollen Ehrenmals, welches das Gedächtnis an unseren Vater, sein Wesen und Wirken festhalten soll”, mitgewirkt hatten. Er fuhr fort:
“Möge das Mal in Gottes Hut stehen und der Mit- und Nachwelt das religiöse Ziel predigen, welches auch das Leben des hier geehrten ausgezeichnet hat: Das religiöse Ziel der selbstlosen Hilfe an jedem Nächsten.”
In dem kleinen Stummfilm, den damals das Atelier FotoHaas aufnahm, erscheinen auch Uniformierte, wie Vorboten der unheilvollen Zeit, die bereits heraufzog: fünf Monate später wurde der verdiente Oberbürgermeister Ludwig Landmann von den Nationalsozialisten aus dem Amt gejagt. Nur vier Jahre später rationierte man in Frankfurt im Rahmen der Kriegsvorbereitungen des neuen “Reiches” die Butter dauerhaft.
Am 18.12.1937 wendet sich der damalige Schriftführer des ehemaligen Ausschusses zur Einrichtung des Dr. Bockenheimer Denkmalbrunnens, Oskar W. Schmidt, in einem Brief an den Frankfurter Oberbürgermeister Friedrich Krebs (NSDAP). Er erinnert an den hundertsten Geburtstag von Jacob Hermann Bockenheimer am 25. Dezember und schlägt eine Kranzniederlegung durch die Stadt an diesem Gedenktag vor.
Die Kranzniederlegung konnte stattfinden, nachdem ein Gutachten des Stadtgesundheitsamtes am 20.12.1937 festgestellt hatte:
“Die deutschblütige Abstammung Dr. Bockenheimers steht auch nach der Beurteilung von Archivrat Dr. Gerber damit ausser jedem Zweifel. Wir treten daher der Anregung des Verkehrs- und Wirtschaftsamtes bei, zur Ehrung von Dr. Bockenheimer an seinem Denkmal am 25.12.37 einen Kranz durch die Stadtgärtnerei niederlegen zu lassen. Ferner bringen wir in Vorschlag, auch durch Veröffentlichungen in der Frankfurter Presse dieses grossen Frankfurters aus Anlass des 100-jährigen Geburtstages zu gedenken.” (ISG, MA 7.891)
Am 21.5.1940 wendet sich der Reichsminister des Inneren wegen der geplanten “Metallspende des Deutschen Volkes” an die Regierungspräsidenten. Schon am 5. Juni 1940 ergeht ein Schreiben des Deutschen Gemeindetages in Berlin an “die deutschen Stadt- und Landkreise und die übrigen Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnern” mit folgender Information:
“Der Vorsitzende des Deutschen Gemeindetages und Leiter des Hauptamtes für Kommunalpolitik Reichsleiter Oberbürgermeister Fichler ist beauftragt worden, die Ablieferung öffentlicher Denkmäler an die Metallspende des deutschen Volkes zu leiten, da auf Wunsch des Führers die Gemeinden und Gemeindeverbände Träger der Ablieferung sein sollen. Reichsleiter Fichler erlässt in Ausführung dieses Auftrages nach Benehmen mit den beteiligten Reichsstellen folgende Richtsätze: (...)"
In den »Richtsätzen« wird unter anderem bestimmt:
“Die Metallspende des deutschen Volkes ist für die Rohstoffversorgung zur Durchführung des Krieges von entscheidender Bedeutung. Ihr werden auch die öffentlichen Denkmäler aus Bronze oder Kupfer zugeführt, soweit nicht ihr künstlerischer, politischer, geschichtlicher oder heimatlicher Wert auch für die kommenden Geschlechter wichtig ist.” (ISG, MA 3.869)
Am 30. Juli 1940 setzt die Stadt Frankfurt die Überprüfung auch des »Dr. Bockenheimer-Denkmals« mit dem amtlichen Meldebogen in Gang. Zu den Punkten des achtseitigen Meldebogens werden folgende Angaben gemacht:
“Geschätztes Gewicht 200 kg;
Stellungnahme der Gemeinde: Das Denkmal soll erhalten bleiben, weil es künstlerischen und heimatlichen Wert hat.
Nähere Begründung: Ehrenmal für den bedeutenden, nicht jüdischen Arzt und Operateur, Helfer für Zehntausende der Armen.”
Es folgen mit Zeichnung vom 5.8.1940 die Unterschrift des Oberbürgermeisters, vom 20.11.40 die des Oberpräsidenten (Verwaltung des Provinzialverbandes) in Vertretung des Landeshauptmanns nach Anhörung des zuständigen Denkmalpflegers mit dem Zusatz: “Das Denkmal ist als gute Leistung zu erhalten.” Im Februar 1941 schließt sich der Landeskulturverwalter des Gaus dem Votum an. Am 1. März 1941 schließlich ergeht der Beschluss des Oberbürgermeisters, das Denkmal zu erhalten, und wird auf dem Meldebogen abschließend vermerkt.
Die Bronzefigur des Denkmals musste dennoch 1942 zur Einschmelzung abgeliefert werden. Sie wurde demontiert und zusammen mit den Frankfurter Kirchenglocken nach Hamburg transportiert.
Am 2. Januar 1946, Frankfurt war inzwischen von den Amerikanern besetzt, wandte sich August Bischoff an Oberbürgermeister Blaun (CDU) und schrieb:
“Wie Sie wissen, hatte ich im Wettbewerb 1921/22 den Auftrag zur Errichtung eines Brunnens für Dr. Bockenheimer durch den damaligen Bezirksverein Sachsenhausen und Ärzteverein erhalten. Bei Kriegsausbruch hatte natürlich gerade dieses Denkmal daran glauben müssen, sodass die Bronzefigur eingeschmolzen wurde. In der vagen Hoffnung, dass dieselbe nach dem Krieg wieder aufgestellt würde, habe ich, als ich am 20.12.1943 ausgebombt wurde, das Gipsmodell mit nach Soden genommen. Jetzt habe ich mir mein Atelier einigermassen selbst wiederhergerichtet und die Figur dort aufgestellt. Glauben Sie, dass eine Wiederaufstellung noch einmal stattfinden kann? Ich wäre schlimmstenfalls bereit, den Bronzeguss auf meine Rechnung machen zu lassen. Es ist doch traurig zu sehen, wie das Denkmal des verdienstvollen Mannes, dessen Bruder in Amerika lebt, aussieht. Ich werde am 25.4. d.J. 70 Jahre und könnte eine Freude wieder mal gebrauchen. In der Hauptsache möchte ich aber den Sachsenhäusern ihren Bockenheimerbrunnen gönnen und es ist fraglich, ob nach meinem Tode die Wiederaufstellung sachgemäss vor sich gehen könnte.”
(ISG, MA 7.891)
Der Wink mit dem angeblichen »Bruder in Amerika« ist sicher den Zeitumständen und der Notwendigkeit geschuldet, für administrative Akte das Wohlwollen der Besatzungsmacht zu erlangen. Am 21. Januar 1946 antwortet der Oberbürgermeister:
“Ich danke für Ihr freundliches Anerbi[e]ten vom 2.1.1946. Die Wiedererrichtung eines Brunnens für Dr. Bockenheimer würde sicherlich in weiten Kreisen der Bevölkerung insbesondere in Sachsenhausen begrüsst werden. Es erscheint mir aber zur Zeit nicht möglich, die notwendige Bronze für das Denkmal zu beschaffen. Für die Stadtverwaltung bestehen keine Bezugsmöglichkeiten. Bevor über die Wiederaufstellung des Denkmals endgültig beschlossen wird, müßte deshalb die Frage der Bronzebeschaffung durch Sie geklärt werden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich über den Erfolg Ihrer diesbezüglichen Schritte unterrichten würden.” (ISG, MA 7.891)
Bischoff gelingt es auch nicht, genügend Bronze für den Neuguss zu beschaffen, aber er kann die erforderliche Menge Kupfer auftreiben. Nach der Währungsreform am 20.6.1948 kommt der Handel mit Waren und Rohstoffen wieder in Gang. So kann das Kulturamt der Stadt Frankfurt am 18.12.1948 dem Magistrat der Stadt Frankfurt empfehlen, für die Wiederaufstellung der Brunnenfigur sein Einverständnis zu geben. Als Begründung führt es an:
“Die Brunnenfigur, die seinerzeit mit den Frankfurter Glocken nach Hamburg gekommen ist, konnte dort nicht mehr aufgefunden werden. Bildhauer Bischoff, der Schöpfer der Jünglingsfigur, besitzt noch das Original-Gips-Modell und hat sich bereiterklärt, einen neuen Abguss in Auftrag zu geben und sich mit einem Betrag von DM 500.- an den Herstellungskosten zu beteiligen. Die restlichen Kosten von annähernd DM 2 000.- können aus Mitteln des Kulturamtes zur Verfügung gestellt werden. Hiernach besteht die Möglichkeit, der Sachsenhäuser Bevölkerung ihr liebgewordenes Brunnendenkmal wiederzugeben.” (ISG, MA 7.891)
Am 24. Januar 1949 ergeht der Beschluss des Magistrats, den »Dr. Bockenheimer Gedächtnisbrunnen« wieder herzustellen, was auch geschieht. Es ist, ähnlich wie 1932, beeindruckend, wie schnell und selbstverständlich Bürger Frankfurts und Institutionen der Stadt in schwierigen Zeiten zusammenarbeiteten, um dem Denkmal seine Brunnenfigur wieder zu geben. Frankfurt lag ja noch weitgehend in Trümmern, und die Abwertung durch die Währungsreform war erst ein halbes Jahr her. — Übrigens wurde der Jüngling, nun weniger prüde ohne Lendenschurz, 20 Jahre nach Kriegsende von sieben Pistolenkugeln an Bein und Hüfte links getroffen, die »Verwundung« konnte aber erst im Oktober 1976 vom Frankfurter Brunnendoktor Kurt Zobel »ausgeheilt« werden.
Am hundertsten Todestag von Jacob Hermann Bockenheimer fand um 11:00 Uhr eine öffentliche Gedenkfeier der Stadt Frankfurt mit Kranzniederlegung am Oppenheimer Platz statt. In Vertretung von Oberbürgermeisterin Dr. h.c. Petra Roth gab Stadträtin Dr. Manuela Rottmann einen Überblick über Leben und Wirken von Jacob Hermann Bockenheimer und legte einen Kranz nieder. Anschließend sprach Dr. Dagmar Wendler für den Kulturverein Harheim und ehrte den berühmten Sohn aus Harheimer Familie durch einen Kranz. Univ.-Prof. Dr. med. Heiko Denecke, Vorsitzender der Altherrenvereinigung Corps Hannovera Göttingen, der Jacob Hermann Bockenheimer 1859 beigetreten war, würdigte das geehrte frühere Mitglied seines Corps und überreichte der Familie Bockenheimer einen Gedenkteller der Hannovera. Die Frankfurter Brunnen- und Kerbegesellschaft Sachsenhausen veröffentlichte in ihrer Schrift zum Sachsenhäuser Brunnenfest 2008 einen Artikel über den Dr. Bockenheimer Brunnen am Oppenheimer Platz. Namens der Sachsenhäuser nahm sie mit einer Abordnung an der Gedenkfeier teil. Für die Familie Bockenheimer dankte Dr. Joachim Bockenheimer der Stadt und den Teilnehmern für die Ehrung seines Großvaters an diesem Tag. Die Freunde Frankfurts waren bei der Gedenkfeier durch Hans-Otto Schembs vertreten. Am Abend des Tages fand in Harheim eine feierliche Kranzniederlegung am Dr. Bockenheimer Denkmal am Bürgerhaus statt.
Biografie: Der innovative Frankfurter Chirurg Geheimer Sanitätsrat Dr. med. Jacob Hermann Bockenheimer (1837–1908)
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Quellenangaben
ISG — Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
ISG MA — Magistratsakte
ISG S — Sammelmappe
AFB — Archiv Familie Bockenheimer
AS1 — Alexander Spieß et al., Frankfurt am Main in seinen hygienischen Verhältnissen und Einrichtungen, redigirt von Dr. Alexander Spieß, Frankfurt 1881
AS2 — Stadtarzt Dr. Spieß et al., Die Hygienischen Einrichtungen von Frankfurt am Main, Frankfurt 1888
FB1 — Frankfurter Blätter für Familiengeschichte Jg.1 H. 11, 1908
MDA-PD — Mutterhaus Dernbach Archiv - Provinz Deutschland: Chronik Klinik Dr. Bockenheimer in Sachsenhausen (Frankfurt/M)
PB1 — Philipp Bockenheimer, Zur Erinnerung an das 30jährige Bestehen der Chirurgischen Klinik von Sanitäts-Rath Dr. med. Bockenheimer, Frankfurt 1896
PB2 — Philipp Bockenheimer, Gedenkschrift zur Erinnerung an das 40jährige
Bestehen der Dr. Bockenheimerschen Klinik Frankfurt a.M., Frankfurt 1907
SE — Stefan Elbers, Geh.San.-Rat Dr. med. Jacob Hermann Bockenheimer, Heft 5 Düsseldorfer Arbeiten zur Geschichte der Medizin, Düsseldorf 1938
SM — Statistische Mitteilungen aus der Chirurgischen Klinik von Dr. med. Bockenheimer, Frankfurt am Main, Jahrgang
WK — Wilhelm Kallmorgen, Siebenhundert Jahre Heilkunde in Frankfurt am Main, Frankfurt 1936
Der Quellennachweis wurde mit Sorgfalt geführt. Falls ein erforderlicher Nachweis vergessen wurde, bittet der Autor um Mitteilung.
© 2013, Dr. Johann-Philipp Bockenheimer, Linden (Hessen)