Es ist Fastenzeit und da geht es auch ums Nicht-Essen. Doch der Fokus des vorliegenden Sammelbandes der Herausgeber Norman Aselmeyer und Veronika Settele ist ein anderer. Er dreht sich nicht um ein wiederkehrendes Ritual, das dazu aufruft, sich für einen bestimmten Zeitraum mit dem Essen zurückzuhalten, sondern um eine breite Analyse der Geschichte des Nicht-Essens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Insgesamt elf Autorinnen und Autoren diskutieren, wie sich Gesellschaften und Kulturen der Moderne entlang des Verzichts, der Vermeidung und der Verweigerung von Essen erforschen lassen. Wir haben den beiden Herausgebern des HZ-Beiheftes dazu unsere Fragen gestellt.
"Ausschließlich negative Codewörter: Low carb, no sugar, slow food"
L.I.S.A.: Herr Aselmeyer, Frau Settele, gemeinsam haben Sie einen Band zur Geschichte des Nicht-Essens herausgegeben. Bevor wir zu einigen Einzelheiten kommen, wie sind Sie auf das Thema gestoßen? Welche Überlegungen gingen dem voraus?
Aselmeyer/Settele: Im Grunde begann unser Interesse gegenwartsdiagnostisch. Wir haben uns gefragt, wann es wohl anfing, dass in unserer Gesellschaft nicht mehr Mangel und Hunger als größte Gesundheitsgefahr wahrgenommen wurden, sondern der Mensch selbst zu seiner eigenen Gesundheitsbedrohung wurde, indem er „falsch“ aß. So ließ sich dann für uns auch die Allgegenwart von Ernährungstrends erklären, die den Verzicht oder die Vermeidung von bestimmten Lebensmitteln oder Inhaltsstoffen zum Kern haben. Die heutigen Ernährungsratschläge funktionieren nach bestimmten, ausschließlich negativen, Codewörtern: Low carb, no sugar, slow food sind die momentan wohl bekanntesten Bewegungen, die allesamt die Gesundheitsgefahren des Essens einhegen sollen. Schnell fiel uns aber auf, dass hinter diesen Trends etwas Größeres steht: nämlich Ausdrucksmechanismen der Moderne und längerfristige soziale Wandlungen.