Wenn es in Debatten um die Weltbevölkerung und ihr Wachstum geht, kommt sehr bald der Begriff "Überbevölkerung" ins Spiel. Das ist alles andere als neu, denn seit Beginn der Moderne wird der Diskurs um die richtige Balance zwischen der Bevölkerung und den bestehenden Ressourcen der Erde geführt. Eine neue Qualität erhielt dieser Diskurs nach dem Zweiten Weltkrieg. Seither streiten Regierungen, die Vereinten Nationen, unterschiedliche NGOs, die Kirche, Völkerrechtler und Frauenorganisationen, inwieweit das Bevölkerungswachstum ein Problem ist und falls ja, wie man dem begegnet. Geburtenkontrollen sind dabei eine vorgeschlagene, aber umstrittene Lösung. Der Historiker Dr. Roman Birke von der Universität Jena hat in seiner Studie den Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum, Geburtenkontrolle und Menschenrechten untersucht. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Zwei unterschiedliche Zugänge zu Recht"
L.I.S.A.: Herr Dr. Birke, im Rahmen Ihres Dissertationsprojekts ist nun Ihr Buch erschienen, das einem historischen Thema mit hoher Aktualität gewidmet ist: Geburtenkontrolle als Menschenrecht, so der Titel. Sie untersuchen darin den globalen Diskurs über die Überbevölkerung seit den 1940er Jahren. Bevor wir zu einigen Einzelheiten kommen, wie kamen Sie zu diesem Thema? Welche Vorüberlegungen gingen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung voraus?
Dr. Birke: Bei Recherchen vor mehreren Jahren bin ich zufällig auf eine Resolution der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1968 gestoßen. Darin wurde die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln als Menschenrecht bezeichnet. Gleichzeitig argumentierte die Resolution, dass das globale Bevölkerungswachstum ein Problem sei und Menschenrechte gefährde – etwa die Rechte auf Nahrung, Bildung oder Arbeit. Ich fand das interessant, weil darin zwei unterschiedliche Zugänge zu Recht zum Ausdruck kommen: Die Garantie von Rechten für das Individuum einerseits, in dem Fall das Recht auf Verhütung. Und der Schutz kollektiver Rechte andererseits, also der Schutz der Gesellschaft vor zu vielen Geburten. Die Resolution habe ich 2013 entdeckt und zu diesem Zeitpunkt gab es einen Aufschwung an historischer Forschung sowohl über Menschenrechte als auch über Geburtenkontrolle. Aber die beiden Forschungsfelder haben sich gegenseitig nicht wahrgenommen, weshalb nicht erklärt werden konnte, wieso das Bevölkerungswachstum als Problem für Menschenrechte beschrieben wurde. Ich habe deshalb versucht zu verstehen, ab wann und in welcher Form historische Akteure begonnen haben, das Anliegen globaler Geburtenkontrolle in einer Sprache der Menschenrechte zu rahmen. Wie die widerstrebenden Zugänge zu Rechtsfragen ausgehandelt wurden. Und, ob der internationale Erfolg dieser bis heute existierenden Programme zumindest teilweise dadurch erklärt werden kann, dass sie mit einer Verteidigung von Menschenrechten verknüpft wurden.