Am 5. April des Jahres ist der Historiker Prof. Dr. Axel Schildt im Alter von 67 Jahren gestorben. Sein Name ist insbesondere mit der Erforschung der Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts verbunden, aber auch mit der Mediengeschichte des vergangenen Jahrhunderts sowie mit der Sozial- und Kulturgeschichte der Bundesrepublik. Von 2002 bis 2017 leitete er die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und war Professor für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg. Wir haben Prof. Dr. Detlef Siegfried von der Universität Kopenhagen, einen seiner engsten Weggefährten, um einen Blick zurück auf den Wissenschaftler sowie den Menschen Axel Schildt gebeten.
"Ein produktiver Arbeiter, der das Leben in vollen Zügen genoss"
L.I.S.A.: Herr Professor Siegfried, vor kurzem ist der renommierte Historiker Prof. Dr. Axel Schildt im Alter von 67 Jahren gestorben. Sie gehören zu den Historikern, die eng mit ihm zusammengearbeitet haben. Bevor wir auf Axel Schildt als Wissenschaftler zu sprechen kommen – wie erinnern Sie sich an den Menschen Axel Schildt?
Prof. Siegfried: Als Mensch kennzeichnete Axel Schildt erstens, dass er selbstbewusst war, ohne sich für etwas Besonderes zu halten. Obwohl er es vielleicht gerade deshalb war, wenn man seine Position als Lehrstuhlinhaber und Direktor eines Forschungsinstituts in Rechnung stellt. Denn unprätentiöses Verhalten oder gar Selbstironie, die ihn ebenfalls kennzeichnete, sind in gehobenen Positionen der Wissenschaft nicht besonders häufig anzutreffen. Überhaupt nahm er die Leute durch seinen Witz für sich ein, der die mitunter scharfen inhaltlichen Aussagen in der Form etwas abmildern konnte, ohne ihnen ihre Eindeutigkeit zu nehmen. Dadurch war er ein gefragter Gesprächspartner, ob nun auf wissenschaftlichen Konferenzen oder in der öffentlichen Debatte. Zweitens war er großzügig, womit ich nicht in erster Linie Materielles meine, sondern habituelle und intellektuelle Toleranz. Er hatte Verständnis für Menschliches ohnehin, ich würde sagen nahezu grenzenlos, aber auch politisch für ein breites Spektrum an Positionen. Einfach, weil er sich für alles interessierte, was nicht bedeutete, dass er sich nicht auch beißend über politische Peinlichkeiten jeglicher Richtung lustig machen konnte.
Eines seiner Spezialgebiete war die Geschichte des Konservatismus, was vielleicht auch ein bisschen aus seiner katholischen Sozialisation rührte, aber sicherlich vor allem aus intellektueller Neugier – und nicht verwechselt werden sollte mit politischer Indifferenz. Es war nicht ironisch gemeint, wenn er sagte, leider hätten in der Geschichte die Rechten meist die klügeren Köpfe gehabt. Schon als Schüler war Axel Schildt links und blieb es sein Leben lang. Sicherlich änderte er manche Positionen, aber eine totale Kehrtwendung, wie sie viele vollzogen, kam für ihn nicht in Frage. Die Persistenz seiner Haltung gründete in politischen Überzeugungen, aber sie war auch eine Sache des Herzens. Was uns neben anderem wirklich essenziell verband, war die doppelte Erfahrung des Aktivismus in der kommunistischen Bewegung und des Bruches mit ihren ideologischen Verengungen und organisatorischen Formen – eine Prägung, die für uns und für ein paar Freunde eine andauernde Quelle der Reflexion und daher mehr oder weniger direkt auch wissenschaftlich produktiv war. Weit über politische Geradlinigkeit hinaus war er loyal zu seinen Freunden und Mitarbeitern. Gehörte man zu diesem Kreis, dann konnte man auf seine Unterstützung bauen. Immer. Es sei denn, man verließ den Schildtschen Verfassungsbogen, der nach links hin weit offen war, aber eine klare Grenze nach rechts hatte – dort, wo man heute AfD-Positionen ansiedeln muss.
Und wenn Sie nach dem Menschen fragen, dann muss etwas Drittes ergänzt werden, auf dem viele seiner Eigenschaften fußten – seine Geselligkeit, die Gelassenheit, die Lebensfreude. Axel konnte genießen. Er liebte es, gut zu essen und zu trinken, er liebte Musik – nicht Jazz (zu elitär), bedingt Klassik, sondern vor allem Rock und Folk aus seinen formativen Jahren –, er besuchte Bob-Dylan-, Paul-Simon- und Neil-Young-Konzerte, ging ins Theater und begeisterte sich für Fußball. Dies alles in der Regel gemeinsam mit seiner Frau Gabriele Kandzora, in der er auch intellektuell eine kongeniale Partnerin auf Augenhöhe hatte, und nicht selten mit der gemeinsamen Tochter Julia, die er sehr liebte (natürlich trug er das Neil-Young-T-Shirt, das sie ihm bei einem Konzert gekauft hatte). Highbrow oder Populär – diese Unterscheidung spielte in seinen kulturellen Neigungen keine Rolle, auch weil er keinen Distinktionsbedarf hatte. An all dem konnte er sich intensiv erfreuen – und dies neben seiner Arbeit als Forscher, Institutsdirektor und Hochschullehrer. Darin war er für mich wirklich ein Vorbild: ein produktiver Arbeiter, der das Leben in vollen Zügen genoss, ja, für den zwischen beiden Elementen eigentlich gar kein Widerspruch bestand.