Die Devise des diesjährigen Kunsthistorikertages in Göttingen stellt das Objekt in den Mittelpunkt der kunsthistorischen Forschung. Besonders faszinierend sind dabei die Objekte, die lange Zeit unbeachtet in den Depots oder Kellern lagen und auf ihre Renaissance warten.
Solche Wiederentdeckungen prägen sich unweigerlich ins Gedächtnis ein und machen den Kunsthistorikertag zu einer Entdeckungsreise. Zwei Beispiele aus der Fülle der besprochenen Themen können stellvertretend für den Fundus an Objekten, die es noch zu erforschen gilt, stehen.
Der Püsterich von Sondershausen, besprochen von Joanna Olchawa, sieht skurril und ein bisschen wie ein kleiner Pfiffikus aus. Die Bronzeplastik gleicht einem phantastischen und zugleich menschlichem Wesen, welches in der Wissenschaft mit einem „monstrum“ bzw. Pygmäen verglichen wird. Aus seinem ursprünglichen Kontext gerissen streitet die kunsthistorische Wissenschaft über die originäre Funktion der Figur. Olchawa plädiert dafür, den Püsterich als Dampfbehältnis zum Badevergnügen zu interpretierten. Dafür wird die Bronzefigur über einem Feuer erhitzt. Der zuvor angebrachte Korken im Mund des Püsterichs schießt durch den Druck im Inneren heraus und der Püsterich pustet buchstäblich Dampfwolken aus seinem Mund, wodurch sich wohl auch der Name der Plastik erklären ließe.
Die damaligen Schöpfer versetzen den heutigen Betrachter mit der gestalterischen Umsetzung dieses einfachen mechanischen Apparatus in Staunen. Zugleich scheint der Püsterich in seiner ursprünglichen Funktion und Anbringung nicht greifbar. Die kleine korpulente, lustig pfeifende Figur lässt somit viel Raum für Interpretation und Überraschungen.
Eine ganz und gar neueObjektgruppe erforscht Alexandra Axtmann. Sie untersucht Pergamentschnitt-Einlegebilder, welche in der Wissenschaft zuvor nicht Gegenstand (oder Objekt) der kunsthistorischen Analyse waren. Die dünnen Pergamentblätter sind mit christlichen Symbolen und Szenen dekoriert und mit einem filigranen Schnittmuster gestaltet. Sie wurden meist in private Gebets- und Andachtsbücher des 14. und 15. Jahrhunderts zwischen die Seiten gelegt. Da sie meist als Konvolut auftreten, geht Axtmann davon aus, dass die Einlegebilder gesammelt worden sind. Somit entwickelt sich das Gebetsbuch zum Sammelalbum. Sie versucht durch eine Systematisierung und Kategorisierung die Einlegebild zu bestimmen.
Jedoch befindet sie sich erst am Anfang ihrer Forschung zu diesen Objekten und würdigt somit eine Objektgruppe, die für die Kunstgeschichte noch erschlossen werden muss. Am Ende ihres Beitrags bittet sie die Zuhörenden um Hinweise oder Schnittblätter, die zufällig aus irgendwelchen Büchern, den Lesenden in die Hände fallen. Es überrascht doch immer wieder, welche Schätze sich bis heute neben Text und Miniaturmalerei zwischen Buchseiten finden können. Die Entdeckung der Kunstfertigkeit der Einlegebilder ist von unschätzbarem Wert und ist Inspiration für junge Forscher*innen.
Die zwei Beispielen können bei Weitem nicht die Fülle an Objekten abdecken, die während der Tagung besprochen und/oder neuentdeckt worden sind. Aber sie stehen stellvertretend für die Nischenobjekte, die bis heute noch darauf warten, vom Staub der Zeit befreit zu werden. Die Hinwendung der kunstgeschichtlichen Forschung zur Objektwissenschaft ermöglicht es vielleicht, den Blick junger Forscher*innen wie mich zu weiten und eben solche eigenartigen Dinge zu entdecken und sich nicht nur um Altbekanntes zu bemühen.
Denn das hat der 35. Kunsthistorikertag geschafft: Er hat die Neugier geweckt.