L.I.S.A.: Theoretische und methodische Grundlage Ihrer Arbeit ist das Konzept Gender, bei dem Geschlechter als sozial konstruiert verstanden und darüber soziale Machtverhältnisse geschaffen und repräsentiert werden. Wie passt dieses Konzept zu Ihrer Untersuchung? Wo setzen Sie dabei an?
Dr. Böhm: Nimmt man die soziale Konstruiertheit der Geschlechter als Ausgangspunkt, lässt sich schon die Adressierung an geschlechtsspezifisch markierte Zielgruppen, die mittels der Genreeinteilung in Mädchen- und Jungenliteratur vollzogen wird, als artifiziell entlarven. Darüber hinaus wird durch die damit einhergehende Dekonstruktion der Binarität der Geschlechter das Denken in ‚Geschlechterverhältnissen‘ möglich, welches auf der Ebene der Texte durch die Analyse männlich-männlicher, weiblich-weiblicher und weiblich-männlicher Konfigurationen, wie Tholen es formuliert, fruchtbar gemacht werden kann.
L.I.S.A.: Was ist das spezifisch männliche Muster und was das spezifisch weibliche in der von Ihnen untersuchten Kinder- und Jugendliteratur? Was meinen in diesem Zusammenhang Ihre Leitbegriffe „Archaisierung“ und „Pinkifizierung“?
Dr. Böhm: Die Strategie der "Archaisierung" stellt das spezifisch männliche Muster dar. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass archaische Erzählmuster, insbesondere die Inszenierung männlicher Heldenfigurationen, revitalisiert werden. Dabei handelt es sich um Männlichkeitsmythen wie den Revolver- und Westernhelden, den sportlichen Helden oder den Krieger, die innerhalb der Narration in eine männliche Genealogie überführt werden, in die auch die männlich imaginierte Leserschaft einbezogen wird. Gemein ist diesen Mythen von Männlichkeit, dass sie Bilder hegemonialer Männlichkeit aktualisieren, während gleichzeitig Weiblichkeit sexualisiert wird.
Bei der "Pinkifizierung" handelt es sich um ein Muster, dass im Kontext des Gender Marketings Unmengen an rosagefärbten Produkten für eine weibliche Zielgruppe hervorgebracht hat. Auf Textebene lässt sich beobachten, dass zwei Motive bestimmend sind. Dabei handelt es sich zum einen um das Motiv der "schwärmerisch-romantischen, emotionalen Liebe" sowie das Motiv der "Ästhetisierung der Demut", welche beide auf antiquierte Bilder von Weiblichkeit rekurrieren und Muster der "emphasized femininity" fortschreiben, somit also auch dem Typus hegemonialer Männlichkeit zuarbeiten.