Blau ist für Jungen und Rosa für Mädchen, Jungs spielen mit Autos, Mädchen mit Puppen, Jungs sind wild, Mädchen sind brav - diese Aufzählung von angeblich geschlechtsspezifischen Normen in Kleidung, Interessen und Verhaltensweisen ließe sich mühelos fortsetzen. Abgesehen davon, dass sich viele dieser Annahmen historisch betrachtet als zu kurz gedacht erweisen - so galt einst Blau als die weibliche Farbe und Rosa als die männliche -, sind die Zuschreibungen nicht naturgegeben, sondern gemacht beziehungsweise gewollt. Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Kerstin Böhm der Universität Hildesheim hat in ihrer Dissertationsarbeit die Konstruktion von Geschlechtlichkeit mit Blick auf die Jugendliteratur untersucht und ihre Ergebnisse zuletzt veröffentlicht. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Jugendliteratur ist auch ein Sozialisationsmedium"
L.I.S.A.: Frau Dr. Böhm, Sie haben sich in Ihrer Dissertationsarbeit mit Geschlechterrepräsentation und Geschlechterverhältnissen in der Kinder- und Jugendliteratur beschäftigt. Erschienen ist Ihre Arbeit unter dem Titel „Archaisierung und Pinkifizierung“. Bevor wir auf die Studie genauer eingehen – wie sind Sie auf das Thema gekommen? Welcher Beobachtung und Ausgangsfrage gehen Sie dabei nach?
Dr. Böhm: Aufgrund meines eigenen Lehramtsstudiums, meiner Arbeit in der Lehrer_innenausbildung an der Universität Hildesheim und meines Schwerpunktes für Lesedidaktik stellt die Kinder- und Jugendliteratur eine durchgängig präsente Thematik für mich dar. Die Frage, welche Texte für Schüler_innen lesenswert und leseförderlich sind, ist somit eine immerwährende für mich gewesen. Durch meinen Doktorvater, Prof. Dr. Toni Tholen, wurde meine Perspektive auf die Männlichkeitenforschung gelenkt. Diese Fokussierung und die parallel zu beobachtende verstärkte Ausrichtung von Leseförderinitiativen und Verlagen auf die Gruppe "der Jungen", zu der auch eine mediale Ausweitung des Leseangebots gehört, brachten mich dazu, die in diesen Kontexten empfohlenen Texte einer näheren Betrachtung im Hinblick auf die Inszenierung von Geschlecht zu unterziehen.
Eine der Ausgangsfragen war dabei, wie spezifisch an ein Geschlecht adressierte Texte selber Geschlecht inszenieren. Eine drängende Frage, da Kinder- und Jugendliteratur nicht nur Medium der Leseförderung ist, sondern ihr als Sozialisationsmedium eine besondere Bedeutung bei der Bereitstellung von Identifikationsmöglichkeiten zukommt. Zu beobachten ist zum einen, dass je nach geschlechtlich markierter Zielgruppe andere Strategien der Inszenierung von Geschlecht verwendet werden. Zum anderen ist auffällig, dass gerade sehr populäre und kommerziell erfolgreiche Texte der Kinder- und Jugendliteratur in sogenannte Medienverbünde implementiert sind. Somit stellte sich die Frage, wie diese geschlechtlich markierten und Geschlecht markierenden Strategien in den jeweiligen Medien eingesetzt werden.