L.I.S.A.: Wie haben die bereits etablierten Sportverbände auf die KDF-Aktivitäten reagiert? War das eine Konkurrenzsituation oder ergaben sich eher Synergien? Wie sah die Verflechtung mit den Kommunen aus?
Prof. Hachtmann: Zunächst zur letzten Frage: Die Verflechtungen mit den Kommunen waren eng. Sportplätze und Sporthallen wurden KDF für den Breitensport gegen eine geringe Gebühr oder ganz umsonst überlassen.
Die Frage danach, ob sich zwischen KDF etablierten Sportverbänden Konkurrenzsituationen oder eher Synergien ergaben, ist komplizierter zu beantworten. Wichtig ist zunächst, dass das kein „Entweder-Oder“ war, sondern eher ein „Sowohl-als-auch“. Man konkurrierte und kooperierte. Das war innerhalb des NS-Systems und gerade auch innerhalb des NS-Herrschaftssystems nichts Besonderes. Die neuere Forschung spricht in diesem Zusammenhang auch von „konkurrenzbasierter Kooperation“ oder „kooperativer Konkurrenz“, die oft nicht nur Synergieeffekte, sondern vor allem auch dynamisierende Effekte hatte. Ich kann das hier jetzt nicht ausführen, sondern muss dazu auf die Literatur und meine eigenen Überlegungen in diesem Zusammenhang verweisen.[2]
Innerhalb des Sports haben die etablierten Verbände KDF zweifellos als Konkurrenz empfunden. Das lag vor allem daran, dass sie fürchteten, KDF würde ihnen mit ihren sehr preiswerte Kursangeboten die Mitglieder wegnehmen. Tatsächlich war das nicht der Fall. Zwar sank die Zahl der Mitglieder im „Deutschen“ bzw. „Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen“ von 4,5 Millionen 1937 auf 3,7 Millionen 1939. Aber das ist darauf zurückzuführen, dass aufgrund von Vereinbarungen HJ und BDM die bis dahin im DRL organisierten Jugendlichen übernahm. Grundsätzlich hatten sich die Funktionsträger im Sport auf ein Drei-Säulen-Konzept geeinigt: Die etablierten Vereine sollten den Mannschafts-, Wettkampf- und Leistungssport übernehmen, die SA den paramilitärischen „Wehr“-Sport und KDF den Breitensport. Dennoch waren die Ängste vor dem KDF-Sport nicht unbegründet. Denn KDF und überhaupt die Arbeitsfront suchten ihre Befugnisse und ihre Aktivitäten ständig zu erweitern und auszubauen.
Nicht nur der KDF-Sport, der Sport überhaupt spiegelt also in gewisser Weise auf unterschiedlichen Ebenen zwei generelle, für das gesamte NS-System typische Tendenzen: Dass sich zum Einen neue, eigentlich „politische“ Organisationen wie DAF und KDF im Laufe der Zeit immer mehr staatliche und gesellschaftliche Infrastrukturaufgaben anmaßten, sowie gleichzeitig eine enge Verflechtung, die sich beim Sport auch auf der Ebene der Personen nachzeichnen lässt – eine „kooperative Konkurrenz“ also, die ebenfalls typisch ist für die „Neue Staatlichkeit“, die sich seit 1933 herausbildete. Auf anderen Ebenen wiederum, etwa beim Zusammenhang von Sport und Arbeit oder auch mit Blick auf die Feminisierung des Breitensports, entsprachen KDF und überhaupt die NS-Zeit generelleren Trends. Hier zeigt sich, wie auf vielen anderen Feldern auch: Nationalsozialismus und NS-Regime waren Teil der Moderne des 20. Jahrhunderts. Sie markieren (wie Zygmunt Baumann oder Detlev Peukert gezeigt haben[3]) die „Krankengeschichte“ der Moderne, deren „Pathologien“, besonders scharf.
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[1] Vgl. Rüdiger Hachtmann, Ein Kind der Ruhrindustrie? Die Geschichte des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Arbeitsphysiologie von 1913 bis 1949, in: Westfälische Forschungen 60/2010 - Themenschwerpunkt: Regionale Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, hg. von Wilfried Rudloff, S. 73-154, hier bes. S. 86 f., sowie Frank Becker, Rationalisierung – Körperkultur – Neuer Mensch. Arbeitsphysiologie und Sport in der Weimarer Republik, in: Theo Plesser/Hans-Ulrich Thamer (Hg.), Arbeit, Leistung und Ernährung. Vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie zum Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie und Leibniz-Institut für Arbeitsforschung in Dortmund, Stuttgart 2012, S. 149-170, bes. S. 154 ff., 168 f.;
[2] Vgl. vor allem Rüdiger Hachtmann, Elastisch, dynamisch und von katastrophaler Effizienz – Anmerkungen zur Neuen Staatlichkeit des Nationalsozialismus, in: Sven Reichardt/Wolfgang Seibel, (Hg.), Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt a.M./New York 2011, S. 29-73.
[3] Vgl. Rüdiger Hachtmann/Sven Reichardt, Detlev Peukert revisited: Überlegungen zu seiner historiographischen Einordnung, in: dies. (Hg.), Detlev Peukert und die NS-Forschung (= BGNS Bd. 31), Göttingen 2015, S. 9-38.