Paulinis: Welches Ereignis hat Sie beruflich besonders geprägt, beeindruckt, oder zweifeln lassen?
Jens Amendt: Na ja, der Kontakt mit in Verwesung befindlichen Leichen erlaubt einen schon ganz anderen Blick auf das Leben und Sterben eines Menschen, vor allem dann, wenn man an einem häuslichen Fund- oder Tatort ist. Hier ist das Leben in Form der persönlichen Einrichtung, der Bilder der Familie etc. noch sehr präsent, gleichzeitig liegt dann da ein verwesender toter Körper. Der Begriff der „sterblichen Hülle“ gewinnt da eine ganz neue Bedeutung – es wird einem klar, dass der Körper nur das „Vehikel“ ist für unsere Persönlichkeit, Seele, Charakter, wie immer wir das in uns drin nennen wollen. Es ist natürlich auch tieftraurig, denn diese Menschen, mit deren Leichen ich zu tun habe, sind oft gewaltsam zu Tode gekommen. Und sie werden ganz plötzlich aus einem sozialen Umfeld herausgerissen, lassen lebende Menschen, Angehörige, Freund zurück… Man macht sich gerade am Anfang Gedanken drüber, denn es sind sehr viele unterschiedliche Eindrücke, die auf einen einstürzen und beschäftigen.
Paulinis: Bischof Paulinus wurde von Kaiser Constantius aufgrund seiner religiösen Überzeugung und der Verteidigung seines Glaubensbruders Athanasius nach Phrygien in Kleinasien verbannt.
Für welche Überzeugung stehen Sie so sehr ein, dass Sie sich notfalls auch verbannen lassen würden?
Jens Amendt: Kommt auf die Art der Verbannung an. Muss ich nur umziehen? Darf ich arbeiten und auch faullenzen, Bücher lesen, ins Kino gehen, usw.? Wird dort meine Sprache gesprochen bzw. eine, die ich verstehe? Spricht da überhaupt jemand, bin ich also am Ende ganz alleine auf der berühmten einsamen Insel? Ist das mehr eine öde Einöde und permanent schlechtes Wetter, ist das so eine Art Gefängnis? Die Menschen, die im 3. Reich rechtzeitig ins Exil konnten, waren nicht immer alle froh, dass sie es geschafft haben. Sie hatten ihre Heimat und ihre Sprache verloren. Aber eine menschenfeindliche, rassistische, antisemitische Politik und im schlimmsten Fall Regierung, das sind Sachen, gegen die man sich engagieren muss; und Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, eine funktionierende Zivilgesellschaft: Dafür lohnt es, sich einzusetzen und gegebenenfalls die Konsequenzen zu tragen, also in die Verbannung zu gehen.
Paulinis: Welche drei Dinge würden Sie mit in die Verbannung nehmen?
Jens Amendt: Meine Familie, ist aber vielleicht egoistisch und gemein, die Familie hat eventuell andere Pläne. Dann halt: Eine Kiste mit Büchern und Musik, meine Joggingschuhe und eine Katze.
Paulinis: Die religiösen Auseinandersetzungen zur Zeit des Paulinus drehten sich um die Frage, ob Christus gottgleich oder nur gottähnlich sei. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Jens Amendt: So ein Quatsch. Mir ist es vollkommen egal, ob er gottgleich oder gottähnlich war/ist. Ich gehe erstmal überhaupt davon aus, dass es ihn gegeben hat und dass sein Leben aufregend und seine Botschaft inspirierend ist. Daran kann man sich, auch kritisch, abarbeiten – an seinen Ideen. Der Rest, auch, ob es überhaupt den EINEN Gott gibt (ich tendiere zum Agnostizismus), dem er ähnlich sein kann: ist nicht wichtig (für mich). Vielleicht bin ein zu kleines Licht für diese Frage.