L.I.S.A.: Wer waren die Teilnehmer der Konferenz und wie groß waren ihre Handlungsspielräume?
Dr. Musch: Die britische und US-amerikanische Seite entsandten jeweils drei Delegierte nach Bermuda. Die US-amerikanische Seite bestand aus dem New Yorker Kongressabgeordneten Sol Bloom, dem damaligen Präsidenten der Princeton University Harold Dodds und Senator Scott Lucas, also öffentlichen Figuren aus der ersten Reihe. Auf britischer Seite mit Osbert Peake, George Hall und Richard Law standen hingegen erfahrene Beamte aus den Ministerien, die erst in der Nachkriegszeit in die erste Reihe der britischen Politik rückten. Eine Schieflage, die sich durchaus in den Protokollen ausdrückt. Das Setting in einem idyllisch gelegenen Hotel etwas außerhalb der Hauptstadt Hamilton, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, mit so einer relativ kleinen Gruppe an Personen, kreierte zudem eine besondere Situation. Obwohl beide Delegationen mit klaren Instruktionen und Liste an dos and don’ts nach Bermuda gekommen waren, entspann sich eine relative freie und durchaus lebhafte Diskussion über Migrations- und Siedlungsoptionen – besonders in den Weiten des Britischen Empires –, die aber zumeist wenig Chancen auf Umsetzung hatten. Die Protokolle der Verhandlungen mit diesen Gedankenspielen und Überlegungen sind eine faszinierende Lektüre.
Allerdings waren trotz der Freiheiten, die die Delegierten sich bei den Diskussionen nahmen, die Handlungsspielräume eng gesteckt. Schon vor Beginn der Konferenz wurde zwischen den USA und Großbritannien vereinbart, den Begriff "jüdische Flüchtlinge" zu vermeiden. Dies geschah zum einem aus der Angst, der Nazi-Propaganda in die Hände zu spielen, zum deren liebsten Topoi es gehörte, den Krieg als Kampf gegen das “Weltjudentum” zu deuten. Daher wollte die britische Regierung die Debatte auf eine allgemeinere Ebene heben. Zudem war die britische Seite bestrebt, eine direkte Verbindung zwischen den Verhandlungen in Bermuda und den jüdischen Flüchtlingen zu vermeiden, da die jüdische Einwanderung in das damals britisch regierte Mandatsgebiet Palästina ein heikles Thema war und lehnte den Zusammenhang zwischen der Frage der jüdischen Flüchtlinge und der Einwanderung in das Mandatsgebiet Palästina strikt ab. Jüdische Organisationen forderten aber genau dies: eine höhere Quote für Einwanderungsvisa nach Palästina oder sogar eine Öffnung der Grenzen, um die Migration jüdischer Flüchtlinge zu erleichtern.
Als Knackpunkt erwies sich zudem die Frage, ob man Deutschland um Verhandlungen über die Ausreise der Juden und Jüdinnen aus dem nationalsozialistischen Einflussbereich ersuchen sollte und ob man bereit wäre dafür zu zahlen, also letztendlich die jüdische Bevölkerung Europas freizukaufen. Sowohl die britische als auch die US-amerikanische Seite hatten beide bereits im Vorlauf der Konferenz intern festgelegt, dass sowohl Verhandlungen mit Hitler als auch Devisenzahlungen an Deutschland off the table waren. Damit verengte sich aber auch der Fokus der Konferenz, denn nun konnte nur noch über jene Flüchtlinge gesprochen werden, die bereits aus dem nationalsozialistischen Einflussbereich geflohen waren und nun in neutralen Ländern auf die Weiterreise in alliierte Länder hofften. Damit schrumpfte die Zahl der Flüchtlinge, die von den Verhandlungen betroffen waren, von potenziell mehreren Millionen auf wenige Zehntausende. Als die Verhandlungen am 29. April 1943 zum Abschluss kamen, blieben die Ergebnisse vorerst geheim. Allerdings waren sich die Beobachter der Verhandlungen einig: was auch immer hinter den verschlossenen Türen ausgehandelt und als dreizehn “recommendations” nach London und Washington empfohlen wurde, war kein großer Wurf und kein umfassendes Rettungsprogramm für das europäische Judentum.