Die europäische Geschichte ist seit dem Untergang Konstantinopels vor allem von einem Motiv bestimmt: Wer herrscht über Europas Mitte? So zumindest die These des irischen Historikers Prof. Dr. Brendan Simms, der an Universität Cambridge Geschichte der internationalen Beziehungen lehrt. Auf fast 900 Seiten versucht er diese Annahme in seinem Buch Kampf um Vorherrschaft. Eine Geschichte Europas 1453 bis heute zu begründen. Wir haben ihn dazu befragt.
"Dessen Einwohner waren sehr militärisch"
L.I.S.A.: Herr Professor Simms, Sie haben mit Ihrem Buch „Kampf um Vorherrschaft“ eine deutsche Geschichte Europas von 1453 bis heute geschrieben. Warum steht bei Ihnen Deutschland - abgesehen von geographischen Gesichtspunkten – thematisch und konzeptionell im Mittelpunkt der europäischen Geschichte? Könnte man etwas provokativ von einer germanozentrischen bzw. auf Deutschland fixierten Sichtweise sprechen?
Prof. Simms: Meine Sichtweise ist in der Tat 'germanozentrisch', weil dies auch der Sichtweise der damals Handelnden entspricht. Deutschland lag nicht immer, aber meistens im Mittelpunkt des geopolitischen Interesses. Und zwar deshalb, weil es geographisch in der Mitte Europas lag, und weil sich deshalb dort die strategischen Interessen überschnitten. Es war auch das bevölkerungsreichste Gebilde außerhalb Russlands. Es war wirtschaftlich stark, schon lange vor der Industrialisierung, zumindest im Westen und im Süden. Es wurde auch als ein Land wahrgenommen, dessen Einwohner sehr militärisch waren und als Söldner gepriesen wurden. Letzlich war Deutschland ein fragmentiertes land, welches als Vakuum die Aufmerksamkeit seiner stärkeren Nachbarn auf sich zog.