Die Corona-Pandemie kennt keine Grenzen. Weder macht das Virus vor Schlagbäumen halt, noch lässt es sich von Wachtposten stoppen. Vielmehr breitet sich Corona scheinbar mühelos von Kontinent zu Kontinent aus, von Land zu Land. Es ist ein globales Phänomen, von dem man meinen könnte, dass ihm deswegen auch nur global beizukommen sei. Tatsächlich reagieren derzeit zwar auch internationale Akteure wie beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation (WHO), aber die bestimmenden und entscheidenden sind die nationalen. Und zwar jeder Nationalstaat für sich. Was lehrt uns demzufolge die Coronakrise über Globalisierung, internationale Zusammenarbeit und Solidarität? Diese Frage stellten Jürgen Zimmerer und Georgios Chatzoudis in ihrem gemeinsamen CoronaLogBuch ihren Gästen Ulrike Guérot und Matthias Krämer.
"Normalität darf ja nicht heißen, den Planeten vor die Wand zu fahren"
Zimmerer: Geschlossene Grenzen, nationale Alleingänge: Was lehrt uns die Coronakrise über Globalisierung, internationale Zusammenarbeit und Solidarität? Trump stellt Zahlungen an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein, Italien fühlt sich von Deutschland im Stich gelassen. Was werden die Folgen der Coronakrise sein?
Chatzoudis: Zunächst zeigt uns die Coronakrise, wie globalisiert wir längst sind. Corona ist eine Globalisierungskrankheit.
Zimmerer: Was bedeutet Globalisierungskrankheit? Was meinen Sie damit?
Chatzoudis: Wir haben es mit einer Verbreitung zu tun, die ohne die Globalisierung vieler Lebensbereiche nie so weit und so schnell verlaufen wäre. Das Problem ist ein globales. Die Frage ist nun: Wer ist der Doktor? Das Globale oder das Lokale?
Krämer: Wir sitzen alle in einem Boot. Weltweit. Sind voneinander abhängig, ob es um die Ausbreitung von Infektionskrankheiten geht oder um wirtschaftliche Entwicklungen.
Guérot: Ja, aber einige haben mehr Ressourcen, um durchzukommen, als andere. Die Auswirkungen auf die emerging countries werden enorm sein. In diesem Zusammenhang hat der Philosoph Markus Gabriel von der Universität Bonn einen tollen Artikel geschrieben, in dem zu lesen ist: Wir brauchen eine neue Metaphysik: Das System ist von einem Virus befallen.
Chatzoudis: Das Bild gefällt mir!
Zimmerer: Was soll eine neue Metaphysik bedeuten?
Guérot: Zu verstehen, dass es vorher "keine Normalität" gab, sondern wir schon zuvor in einem letalen System lebten. Darum jetzt keine "Rückkehr" zur Normalität, sondern strukturelle Änderungen: Klima schützen, weniger Flugreisen, lokale Landwirtschaft etc.
Zimmerer: Wieso gab es keine Normalität? Es gab sie, eben nur eine nicht-nachhaltige "Normalität"? Was bedeutet da eigentlich "Normalität?
Guérot: So kann man es auch nennen. Ich kenne das Buch von Ingolfur Blühdorn über Nicht-Nachhaltigkeit. Aber Nicht-Nachhaltigkeit darf eben nicht normal sein bzw. werden.
Zimmerer: Ich sprach gestern im SWR2 davon, dass der Slogan "Zurück zur Normalität" eine Dystopie bezeichnen würde. Etwas, das unser Untergang wäre und wir nicht wollen könnten.
Guérot: Der von mir eben angesprochene Artikel von Gabriel stellt die Frage des "system change", soll heißen: Raus aus dem Neo-Kapitalismus! Die Frage ist zumindest berechtigt. Normalität darf ja nicht heißen, den Planeten vor die Wand zu fahren. Ob es gelingt, ist eine andere Frage.
Krämer: Die Wirtschaftsordnung des 20. Jahrhunderts ist aber eine Wachstumsordnung. Wie kommen wir da raus?
Guérot: Alle Theorien liegen auf dem Tisch: Décroissance, also die wachstumskritische Bewegung, die Suffizienz-Theorie, also die Kritik an der Konsum- und Überflussgesellschaft, die Modern Monetary Theory, nach der Schulden durch Gelddrucken getilgt werden, oder einfach die Republik im Sinne von Gemeinwohlökonomie - altes europäisches Denken. Soll heißen: Besitz statt Eigentum. Wert statt Preis etc. Katholische Soziallehre, Genossenschaftswesen - das ist alles altes europäisches Denken.
Zimmerer: Das Problem ist nur, darauf hört keiner.
Guérot: Doch! Man wird zunehmend gehört. Die ganzen Sozialwissenschaften sind voll davon und die jungen Leute saugen es auf.
Zimmerer: Außerhalb des Elfenbeinturms und der "jungen Wilden" aber weniger. Die Industrie fordert stattdessen Subventionen für Autos etc. Machen wir uns doch nichts vor: Alle wollen den "Exit zur Normalität".
Guérot: Deswegen meine ich ja: Seit gestern scheinen prominente Leute wenigstens den Diskurs darüber zu ändern, um sich dem entgegenzustellen. Ob das reicht, ist eine zweite Frage. Aber immerhin wird jetzt anders diskutiert als vor zwei Wochen.
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Ach, wenn sie doch außer roasaroter Gefühligkeit doch auch noch zumindest rudimentärste Fakten im Programm hätte. Dann würde sie auch wissen, dass die Italiener bei 100 Milliarden Nettoaufnahme gerade mal 1,7 Milliarden mehr an Zinsen als Deutschland zahlen müsste. Viel Geld, aber im großen Rad der Billionen die berühmten Peants.
Die Lösung wäre einfach - die EU zahlt die 1,7 Mrd. Zinsdifferenz. Aber Frau Guerot will ja dass das deutsche Volk stattdessen direkt die Haftung für Billionen von Altschulden (der Eliten in Rom) übernimmt und damit zukünftige Generationen in den Schuldenturm führt.
Es ist die selbe traurige Geschichte wir in der Flüchtlingskrise: das böse Deutschland, dass nur 2 Millionen aufgenommen hat und das gute Italien, dass doch 350 000 aufgenommen hat (und diese auch noch mies wier niemand sonst behandelt, auf dass sie ja nach Deutschland abhauen)
Immerhin klappt bei den Italienern die Propaganda ... zumindest bei den eher naiven Gemütern der progressiven Deutschen.
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Das Haushaltsvermögen der Italiener ist mit 125 000 € mehr als doppelt so hoch der Deutschen (47 000). Und nun, gemach, gemach, wird Frau Guerot antworten, dass dies mit der höheren Eigenheimquote in Italien zu tun hat.
RICHTIG! Trotzdem stelle ich eine Frage, die diese gesamte Argumentation auseinanderfliegen läßt.
Warum soll der Deutsche dem Italiener mit einer Eigentumswohnung in Rom für 500.000 € den Lebensunterhalt bezahlen? Ein Deutscher, der veilleicht 1400 netto im Monat hat? Ist es wirklich nicht zumutbar, dass dieser Italiener seine Wohnung verkauft?
Warum - wenn wir schon dabei sind - rufen die Italiener nach unbegrenzter deutscher Haftung, wenn sie doch erstmal ihre eigenen Reichen mit einer Vermögenssteuer belasten könnten?
Warum wehren sie sich gegen den ESM, der am Ende ja nur eine Angleichung der Renten etc. fordert?
Genau, Frau Guerot. Schweigen im (südeuropäischen) Walde. Der Grund ist einfach: das Geschrei der Südländer nach Solidarität ist der Schrei nach deutschem, niederländischen und finnischem Geld, um die eigenen Eliten ja nicht antasten zu müssen.
Kleiner Tip am Ende: gehen sie nach Corona mal durch Paris und versuchen sie in einem der Edelrestaurants 60 € + pro Gericht einen Platz zu bekommen. Das werden sie nicht so einfach schaffen. Das Problem ist, dass all diese Länder das Geld haben, aber leider nur ihre Eliten pampern. So viel zur Solidarität.