Der humanitäre Flüchtlingsschutz soll in erster Linie zur Sicherheit von Geflüchteten in Aufnahmeländern und -regionen beitragen. Dafür setzen humanitäre Organisationen Schutz- und Unterstützungsleistungen um. Diese Leistungen scheinen zunächst unabdingbar, da die Menschen vor vielfältigen Gefahren geflohen sind und sich auch in Aufnahmeländern in Notlagen befinden. Doch eben diese Vorstellung von Geflüchteten ist von Vulnerabilität und Hilfsbedürftigkeit gekennzeichnet und wird nicht zuletzt von dem humanitären Apparat selbst produziert und reproduziert. Par excellence zeigt sich dies in fotographischen Aufnahmen von Ausgaben von Hilfsgütern, Geflüchteten als leidende Menschen oder lächelnd mit berühmten Persönlichkeiten, die als Rettende in der Not auftreten – Logos der humanitären Organisationen sind auf diesen Fotos stets gut sichtbar. Während die Macht und Ethik solcher Bilder eigens hinterfragt werden kann, dienen die Bilder als Strategien für Organisationen, die Einwerbung benötigter Finanzförderungen zu erleichtern, um humanitäre Leistungen für Geflüchteten überhaupt realisieren zu können.
Geflüchtete und ihre Sicherheit: humanitärer Schutz vs. Handlungen der Geflüchteten
Ein Beitrag von Ulrike Krause
Die Vulnerabilitätsdarstellungen der humanitären Organisationen birgt aber weitere Schwierigkeiten. WissenschaftlerInnen kritisieren seit langem, dass Geflüchtete im humanitären System als passive Opfer, Hilfsbedürftige und EmpfängerInnen vermeintlich wohltätiger Hilfe verstanden werden. In hierarchischen Prozessen entscheiden die Organisationen über Leistungen und Zielgruppen auf Grundlage zugeschriebener Vulnerabilitätskriterien. So steht die vermeintliche ‚Hilfe‘ für ‚Hilfsbedürftige‘ in top-down Verfahren im Vordergrund und verursacht strukturelle Asymmetrien. Kritisch fragt etwa Barbara Harrell-Bond bereits 2002, ob die humanitäre Arbeit mit Geflüchteten human sein kann. Zudem vergleicht Liisa Malkki das Verständnis von Flüchtlingen im humanitären Diskurs mit unmündigen Kleinkindern und Michel Agier erfasst Organisationen als „humanitäre Regierungen“, die Geflüchtete und Hilfsleistungen managen.
Ob in Bildern oder humanitären Schutzstrukturen, geflüchtete Menschen werden also häufig reduziert als humanitäre Objekte, die von Leid und Hilfsbedarfen gezeichnet und auf externe Unterstützung angewiesen zu sein scheinen. Diese Beschreibung ist problematisch und einseitig. Denn die unterschiedlichen sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Interessen, Hintergründe, Wünsche und Hoffnung der Menschen rücken in den Hintergrund. Ihre Flucht wird kaum als Zeichen von Stärke und Kraft, als individuelle Entscheidung gewertet, durch die sie sich selbst in Sicherheit bringen möchten. Und in Aufnahmekontexten überdeckt der Fokus auf humanitäre Leistungen die vielfältigen eigenen Initiativen, die die Menschen schaffen und nutzen, um sich selbst zu schützen und eigenständig zu einem besseren Leben beizutragen.
Eben diese eigenen Initiativen stehen im Mittelpunkt des Forschungsprojekts Globaler Flüchtlingsschutz und lokales Flüchtlingsengagement, das von der Gerda Henkel Stiftung gefördert wird. Das Projekt wird von Ulrike Krause geleitet, gemeinsam mit Hannah Schmidt durchgeführt und von Research Assistants in Uganda und Deutschland unterstützt. Anhand von Fallstudien im Flüchtlingslager Kyaka II und der Hauptstadt Kampala in Uganda untersuchen wir, wie Geflüchtete – in Zusammenhang mit und über humanitäre Prozesse hinaus – Herausforderungen bewältigen und zu ihrer Sicherheit beitragen. In erster Linie haben wir mit Geflüchteten aus der Demokratischen Republik Kongo, aber auch aus Somalia, Burundi, Rwanda und dem Südsudan geforscht.
Zusätzlich zu individuellen Handlungen widmen wir uns im Forschungsprojekt kollektiven Praktiken, die Geflüchtete gemeinsam heranziehen und ausgestalten. Darunter fassen wir Unterstützungspraktiken in losen sozialen Beziehungen wie Nachbarschaften und Freundschaften sowie verfestigte Zweckbeziehung etwa zur wirtschaftlichen Kooperation. Teilweise kommt es aber auch zu institutionalisierten Zusammenschlüssen, in denen Geflüchtete eigene Organisationen gründen, um sich zu helfen. Diese gemeindebasierten Organisationen offenbaren ein besonderes Augenmerk im Projekt.
Mit unserem Fokus knüpfen wir im Forschungsvorhaben an kritischen wissenschaftlichen Stimmen über humanitäre Prozesse sowie aktuellen Debatten über Agency (also Handlungsmacht und -vermögen) und Bewältigungsstrategien von Geflüchteten an. Diese Debatten haben in den letzten Jahren zu einem Perspektivenwechsel beigetragen, durch den nicht mehr vorrangig die humanitären Leistungen, sondern zentral die Art und Weise beleuchtet wird, wie Geflüchtete mit restriktiven Verhältnissen oder Gefahren in Aufnahmesituationen umgehen. Zu den frühen Studien zählt sicher die Arbeit von Gaim Kibreab, in der er bereits 1993 die Abhängigkeit von Geflüchteten zum Flüchtlingsschutz als Mythos hinterfragt und die kreativen Handlungen der Menschen betont. Aktuelle Aufsätze eruieren zudem, wie Jugendliche und Erwachsene konfliktbedingte Flucht bewältigen und mit Gefahren umgehen, wie Geflüchtete humanitäre Machtverhältnisse durch eigene Repräsentationsstrukturen herausfordern und hybride Politikformen schaffen, oder wie sie durch ökonomische Aktivitäten zur lokalen Wirtschaft in Aufnahmeländern beitragen.
Auf Grundlage unserer empirischen Daten aus dem Projekt werden in den folgenden Wochen Beiträge mit Einblicken in Handlungsformen von Geflüchteten erscheinen. Im nächsten Beitrag wird Hannah Schmidt wirtschaftliche Risiken und bewältigende Praktiken von Geflüchteten im Flüchtlingslager Kyaka II untersuchen. Darauffolgend widmet sich Ulrike Krause den Lebensbedingungen und Problemen von Geflüchteten in der Hauptstadt Ugandas, Kampala und benennt individuelle und kollektive Handlungen, die die Menschen zu ihrem Selbstschutz nutzen. Ein weiterer Beitrag von stammt von Isreal Katembo; er ist aus der Demokratischen Republik Kongo geflohen, lebt seit Jahren in Uganda und berichtet von Initiativen zur eigenständigen Unterstützung von und unter Geflüchteten. Im Folgenden gehen Ulrike Krause und Hannah Schmidt auf eigene lokale Organisationen von Geflüchteten ein, die ihrem Schutz und ihrer Unterstützung dienen und daher als relevante humanitäre Akteure im Flüchtlingsschutz verstanden werden sollten.