Videospiele haben in den letzten Jahren dem Spielfilm als umsatzstärkstes Unterhaltungsmedium den Rang abgelaufen. Wie auch bei Spielfilmen bilden Kriegsnarrative ein populäres Genre. Vom oft kritisierten First-Person Shooter bis zum Strategiespiel – die Kriege des 20. Jahrhunderts bilden eine beliebte Kulisse. Auf vielfältigste Weise können Spielerinnen und Spieler diese Kriege virtuell "nachspielen" und zum Teil auch deren Verlauf ändern. Doch wie lassen sich diese Spiele aus historischer Perspektive als Teil der Erinnerungskultur begreifen? Wie werden historische Ereignisse und Kriegsverläufe dort erzählt? Was unterscheidet die interaktiven Spiele von anderen, linearen Geschichtserzählungen? Der Historiker Dr. Steffen Bender hat sich diesen Fragen in seiner Studie genähert. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Der Mediennutzer wird zum Akteur der Erzählung"
L.I.S.A.: Herr Dr. Bender, Sie beschäftigen sich mit der Erinnerung von Kriegen in und durch Videospiele. Was ist das Spezifische an diesem Medium? Wie stark unterscheiden sich Videospiele, in denen man Geschichte aktiv „nachspielen“ kann, von anderen Medien?
Dr. Bender: Um digitale Spiele zu beschreiben, ist zunächst eine sprachliche Differenzierung notwendig, da es im Deutschen nur den Begriff ‚Spiel‘ gibt, der jedoch unterschiedliche Phänomene beschreibt: game und play. Das Spiel als regelhaft definiertes System, in dem bestimmte Handlungsoptionen eröffnet werden, ist das game; das Spiel als Handlung des Mediennutzers, also der Vorgang des Spielens selbst, ist play. Die Handlungsmöglichkeiten zu nutzen, die das game anbietet, und sie im play in unterschiedliche Richtungen entwickeln zu können, ist das zentrale Merkmal von digitalen Spielen. Das play bei der Mediennutzung und das teilweise nichtlineare Erzählen unterscheiden Spiele von anderen Medien.
Geschichte ist linear, ebenso wie die meisten Medien, in denen Geschichte vermittelt wird. Spiele gehen jedoch mit der Erzählung von Geschichte anders um, weil ihr Prinzip darauf beruht, Interaktivität bereitzustellen: Der Mediennutzer wird zum Akteur der sich entwickelnden Erzählung. Wie breit dieses Spektrum an Handlungsoptionen gestreut ist, hängt bei den Spielen maßgeblich von den Genres ab. Es reicht von der relativ geringen narrativen Variationsbreite eines quasi-linearen First-Person-Shooters, in dem Aufgaben in einzelnen Episoden gelöst werden, die jedoch immer wieder auf den vorgegeben Handlungsstrang hinführen, bis hin zu Strategiespielen, die mit einem Schachspiel vergleichbar sind: Das Spielfeld und die Zugmöglichkeiten der Figuren sind genau festgelegt; wie das gameplay allerdings verläuft, wie also das Spiel gespielt wird und welche Narration sich daraus entwickelt, bleibt offen. Bei der medialen Darstellung von Geschichte ist diese Varianz des Erzählens – entweder nur in Details oder ganz grundlegend – sicherlich ein Alleinstellungsmerkmal von Spielen.