Im Louvre ist seit Ende März die Ausstellung "De l'Allemagne, 1800-1939. De Friedrich à Beckmann" zu sehen. Der Louvre umschreibt das Ziel der Schau mit folgenden Worten: "This exhibition, comprising over two hundred works, offers a reflection on the main themes that structured German thinking from 1800 to 1939." Ob es den Ausstellungsmachern gelungen ist, dieses Ziel zu erreichen, ist seit Wochen umstritten. Vor allem in den Feuilletons deutscher Zeitungen herrschte bisher Verwunderung bis deutliche Kritik am Konzept und am intendierten oder eben nicht-intendierten Subtext der Schau, der letztlich - so die Kritik - in einem teleologischen Geschichtsbild münde. Wir haben nun den Kunsthistoriker Dr. Christian Joschke zu seiner Meinung gefragt. Er ist Dozent an der Universität Paris Ouest Nanterre La Défense.
"Die Frage nach der 'deutschen' Kunst war immer problematisch"
L.I.S.A.: Herr Dr. Joschke, Sie sind Kunsthistoriker und Dozent an der Universität Paris Ouest Nanterre La Défense. Zuletzt haben Sie in der französischen Tageszeitung einen Artikel über die zurzeit umstrittene Ausstellung „De l’Allemagne, 1800-1939“ im Louvre veröffentlicht. Im Titel fragen Sie, was deutsch an deutscher Kunst ist. Haben Sie im Louvre eine Antwort gefunden?
Dr. Joschke: Der Titel meines Artikels in Le Monde über die Ausstellung im Louvre war tatsächlich eine Anspielung an W. Hofmanns Streitschrift Wie deutsch ist die deutsche Kunst ? (1999). Es wurde aber von der Redaktion geändert (Une exposition douteuse sur l' "art allemand"), und damit wurde der Sinn auf den Verdacht zugespitzt, der Louvre zeige eine nationalistische Sicht der deutschen Kunst. Damit war ich auch völlig einverstanden.
Die Frage nach der "deutschen" Kunst ist zweihundert Jahre alt. Sie ist immer sehr problematisch gewesen und dennoch ist sie immer wieder in der Geschichte aufgetreten. Ich habe mich in meinem Artikel nicht nur auf Werner Hofmann sondern auch auf Hans Belting bezogen, der in einem schlagkräftigen Buch, Die Deutschen und ihre Kunst schon 1993 das Thema einer nationalen Kunstgeschichte aufgreift. Belting geht darin durch die verschiedenen Debatten in der Geschichtsschreibung ein, in denen das "deutsche" in der Kunst gesucht wurde. Er zeigt wie die Kunsthistoriker den Begriff des "Deutschtums" problematisch empfunden haben. Es war für sie immer ein Holzweg gewesen. Deshalb sei es heute unmöglich, die Kunst im nationalen Rahmen zu denken – vor allem sei es höchst verdächtig – nicht nur für ideologische sondern auch für methodische Gründe –, in einem Kunstwerk den deutschen Nationalcharakter zu suchen. Belting öffnet seinen Text am Ende mit großem Optimismus mit einen Plädoyer für eine europäische Kunstgeschichte.
Die Debatte über den Nationalismus in der Geschichte bezieht sich keinesfalls exklusiv auf die Geschichte Deutschlands oder der „deutschen Kunst“. In Frankreich wurde heftig gegen das Projekt eines Hauses der Geschichte Frankreichs (Maison de l’Histoire de France), ein Projekt, das von der früheren Regierung begonnen wurde, argumentiert.
Als ich die Ausstellung des Louvres zum ersten Mal besichtigt habe, ging es mir nicht darum, etwas über die „deutsche Kunst“ zu erfahren. Vielmehr war ich vom Titel begeistert, De l'Allemagne, der auf Germaine de Staël hinweist und damit eine Liebesgeschichte zwischen den Franzosen und den Deutschen möglicherweise einleiten würde. Das Buch von Germaine De Staël ist auch eine Kritik gegen den autoritären Staat Napoleons. All das hat mich überzeugt, diese Ausstellung wäre eine Art freie Dissertatio, in der der französische Blick auf die Kunst in Deutschland inszeniert wird.
Ich wurde aber insofern enttäuscht, als es eher die Konstruktion einer Art Gegenbeispiel zum „französischen Nationalcharakter“, die Konstruktion des Anderen ist. Nicht im Sinne De Staëls, sondern in einem konservativen, neoromantischem Sinne, der sogar die Zwischenkriegszeit prägt, indem der Modernismus der Kunst in Deutschland ausgelassen wird.
Bild: Dr. Joschke