![schließen](/images/cookie_close.png)
Interview von Harald Neuber mit Peter Hammerschmidt über dessen Forschungsergebnissen im Rahmen seiner schriftlichen Examensarbeit (Universität Mainz)
Klaus Barbie - Fahndungsfoto von 1948.
Interview von Harald Neuber mit Peter Hammerschmidt über dessen Forschungsergebnissen im Rahmen seiner schriftlichen Examensarbeit (Universität Mainz)
Die Urteile, die der Internationale Militärgerichtshof im Herbst 1946 gegen die „Hauptkriegsverbrecher“ des NS-Regimes gefällt hatte, besiegelten – zumindest in den Augen der internationalen Öffentlichkeit – das endgültige Ende der NS-Terrorherrschaft über Europa. „Das Gute hatte das Böse besiegt“ und die Verbrecher hatte man vor Ort ihrer gerechten Strafe zugeführt.
Umso größer war der öffentliche Aufschrei, als zu Beginn der 1980er Jahre bekannt wurde, dass NS-Kriegsverbrecher im Zuge der sich zuspitzenden Ost-West-Konfrontation bereits unmittelbar nach Kriegsende zu (vermeintlichen) Schlüsselfiguren im amerikanischen Kampf gegen den internationalen Kommunismus avancierten und von U.S.-amerikanischen Behörden aktiv vor einer Strafverfolgung geschützt worden waren.
Getreu der Devise „My Enemy’s Enemy is my friend“ rekrutierte der Geheimdienst der U.S.-Armee, das Army Counter Intelligence Corps (CIC), eine Vielzahl von gesuchten Kriegsverbrechern. Dieser Fraternisierungstrend begründete sich in der Absicht des zum damaligen Zeitpunkt vollkommen desorganisierten CIC, von vermeintlichen Kommunismus-Experten des NS-Regimes umfangreiche Informationen über den Feind auf der anderen Seite des sich über Europa niederlassenden „Eisernen Vorhangs“ zu erhalten. Was in der Praxis zur Protektion vieler NS-Verbrecher führte, wurde intern mit der Gefährdung nationaler Sicherheitsinteressen gerechtfertigt.
So gelang es auch Klaus Barbie, dessen Laufbahn während des NS-Regimes retrospektiv als die Laufbahn eines „Schlächters“ in die Geschichtsbücher eingehen sollte, in die Dienste der USA zu treten. War Barbies Name bereits ab Frühjahr 1946 auf Alliierten Fahndungslisten zu finden, erschien er ab April 1947 auf den Gehaltslisten des CIC.
Wirft man einen Blick in Barbies SS-Personalakte, mag es zunächst verwundern, weshalb seiner Person zu Beginn der 1980er Jahre ein solch mediales Interesse zuteilwurde. Laut Akte war der SS-Hauptsturmführer Klaus Barbie in seiner Funktion als Gestapo-Chef in Lyon stationiert, war ausgesprochen ehrgeizig, diszipliniert und fleißig – mit anderen Worten: Barbie war einer von tausenden Opportunisten aus der zweiten Reihe, an deren Händen einmal mehr, einmal weniger Blut klebte. Im Gegensatz zu einer Vielzahl seiner ehemaligen Kameraden, die teilweise in weit einflussreicheren Positionen agierten, machte sich Barbie jedoch zweier Verbrechen schuldig, die noch heute tief im kollektiven Gedächtnis der Franzosen verankert sind:
Die Deportation von 44 Kindern aus dem jüdischen Waisenhaus von Izieu in das Sammellager Drancy (später Transport nach Auschwitz) und die Ermordung des Résistance-Führers und später zum Nationalhelden erhobenen Jean Moulin. Diese Verbrechen begründeten das enorme öffentliche Interesse der Franzosen am Fall Barbie und machten seine Protektion durch U.S.-Behörden vollends zu einem internationalen Eklat. Darüber hinaus offenbarten die sich an Barbies Auslieferung anschließenden Ermittlungen des U.S.-Justizministeriums erstmals, dass Barbie eben kein Einzelfall gewesen war, der von der Protektion amerikanischer Geheimdienstbehörden profitiert hatte - er war, um Dabringhaus, seinen damaligen CIC-Kontrolloffizier zu zitieren, „the tip of the iceberg“, den das CIC nach größer werdendem Druck auf die Hohe Kommission (High Commission for Germany (HICOG)) 1951 die Flucht mit Hilfe der so genannten RAT LINE (=Rattenlinie) aus Europa ermöglichte, und ihm in Bolivien eine neue Identität (Klaus Altmann) verschaffte. Erst den Eheleuten Klarsfeld war es zu Beginn der 1970er-Jahre gelungen, den NS-Verbrecher in Südamerika aufzuspüren. Es sollte ein weiteres Jahrzehnt dauern, bis der demokratische Wandel in Bolivien Barbies Auslieferung ermöglichte.
Wie bereits angedeutet, wurde der vollkommen desorganisierte Geheimdienst der US Army von den globalpolitischen Entwicklungen, die auf einen zukünftigen Ost-West-Konflikt hindeuteten, regelrecht überrollt. Was lag näher, als zum Schutze nationaler Sicherheitsinteressen diejenigen Personen als Informanten anzuwerben, die sich seit Jahren intensiv mit der kommunistischen Bedrohung auseinandergesetzt hatten? Auf Basis dieser utilitaristischen Denkweise fanden viele als Kommunismus-Experten deklarierte NS-Funktionsträger, spätestens ab 1947, ihren Weg auf amerikanische, aber auch auf französische und britische Gehaltslisten.
Barbie, dem der CIC laut Unterlagen eine ausgeprägte antikommunistische Haltung attestierte, schien in den Augen seiner Vorgesetzten für eine Informanten-Rolle geradezu prädestiniert: Hatte er sich als Gestapo-Chef in Frankreich doch offenbar eingehend mit subversiven kommunistischen Elementen „auseinandergesetzt“ und die Résistance in Lyon bis Kriegsende nahezu vollständig zerschlagen. Auch die Berichte von Kurt Merk, einem ehemaligen Kameraden Barbies, der bereits Monate zuvor erfolgreich von CIC angeworben worden war und der nun Barbie an seine Vorgesetzten weiterempfahl, schienen den CIC in seiner Annahme zusätzlich zu bestärken. Dass Barbie zu diesem Zeitpunkt aufgrund seiner Foltermethoden gegen Mitglieder der Résistance und aufgrund der von ihm veranlassten Deportation von Juden in Vernichtungslager als Kriegsverbrecher gesucht wurde, war offenbar ein „Übel“, das man gerne bereit war zu akzeptieren. Zu groß, so betonten auch Barbies CIC-Mitarbeiter in späteren Interviews, waren die Erwartungen in Bezug auf die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse, die man sich von diesem Gestapo-Offizier versprach. Inwiefern Barbie diesen Erwartungen gerecht wurde, ist unklar: Fest steht, dass Barbie im weiteren Verlauf kommunistische und antikommunistische Aktivitäten in der amerikanischen, aber auch in der französischen Zone (mit Hilfe von Subagenten) observierte und die CIC-Führungsetage Barbies Berichten große Aufmerksamkeit entgegenbrachte.
Die gegen den Willen seiner Vorgesetzten weiterhin aufrecht erhaltenen Kontakte zu Offizieren der deutschen Abwehr, halfen ihm bei dem Versuch, den amerikanischen Führungsoffizieren den Eindruck zu vermitteln, das Netz des so genannten „Petersen Büro“ (Netzwerk um Merk und Barbie) verfüge über Kontakte von Lissabon über die russische Grenze quer durch Europa. Zusammen mit den Informationen, die mit der Flüchtlingsflut angeschwemmt wurden, gewann Barbies Puzzle über das politische Tagesgeschehen, das er in seinem Büro in der Kaiserpromenade 38 in Memmingen zusammenbastelte und anschließend in seinen Berichten wiedergab, mehr oder weniger glaubwürdige Konturen. Zwar bestätigten Barbies Berichte die vorgefassten Meinungen seiner Auftraggeber, doch verfügten diese, wie einer seiner Vorgesetzten später betonte, über keinerlei nachrichtendienstlichen Wert.
Dass Barbie, spätestens nachdem die Franzosen seine Auslieferung forderten, von den Amerikanern nicht fallengelassen wurde, liegt in dem Umstand begraben, dass Barbie innerhalb weniger Monate einen umfangreichen Einblick in den modus operandi des CIC erhalten hatte – Informationen, die man keinesfalls in Händen der Franzosen wissen wollte, zumal der CIC, wie bereits angedeutet, gegenüber der französische Sureté ein stetig wachsendes Misstrauen entwickelte.
Was Ryan 1983 behauptete und was die internationale Öffentlichkeit offenbar zu akzeptieren bereit war, konnte mittlerweile wiederlegt werden: Meine Recherchen und die des amerikanischen Historikers Christopher Simpson belegen deutlich, dass Barbie, als er im April 1947 angeworben wurde, auf Alliierten Fahndungslisten stand – Listen, über die selbstverständlich auch das CIC verfügte. Desweiteren zeigen die im Rahmen des Prozesses gegen Rene Hardy (einem Kollaborateur der Barbie (wenn auch nicht zweifelsfrei bewiesen) beim Aufspüren Jean Moulins behilflich gewesen war), dass die kommunistische Presse Frankreichs bereits im März 1947, einen Monat vor Barbies Rekrutierung durch den CIC, über dessen Kriegsverbrechen berichtete. Was lag für den Geheimdienst der US-Armee näher, als die kommunistischen Blätter der Franzosen zu studieren, von dessen Geheimdienst man befürchtete, er sei, so die Akten des CIC, mit „kommunistischen Elementen zersetzt“? Eine Reihe weiterer Indizien ließen sich anführen…
Fest steht, dass die von Ryan formulierte Unschuldsvermutung haltlos und widerlegbar ist. Sie bleibt ein verzweifelter Versuch, den enormen außenpolitischen Image-Schaden der USA, den die Barbie-Affäre auf internationalem Parkett mit sich zog, auf ein Minimum zu begrenzen.
Anders als vieler seiner flüchtigen Kameraden, begnügte sich Barbie nicht damit, unter falschem Namen in Südamerika unterzutauchen – im Gegenteil: Nach dem Militärputsch von General Barrientos im Jahre 1964, hatten sich Barbies Beziehungen zu einflussreichen Offizieren der bolivianischen Armee derart verfestigt, dass er selbstbewusst in der Öffentlichkeit auftreten konnte. Neben seinem Einfluss vergrößerte sich parallel sein Reichtum. 1979 erinnerte sich Barbie in dem Gespräch mit General Wolff, dass er zum ersten Mal zum „Kriegsgewinnler“ geworden war: Im Zuge des Vietnamkrieges verkaufte Barbie Unmengen von Chinarinde – dem Rohstoff für das Schmerzmittel Chinin – an das deutsche Chemieunternehmen Böhringer Mannheim.
Die Höhe des finanziellen Profits, den Barbie wirklich aus diesen Geschäften mit Böhringer schlug, ist ungewiss. Dass er „pro Woche Hunderttausende Dollars“ verdient hat, wie er selbst behauptete, ist äußerst unwahrscheinlich. Zweifelsfrei bewiesen ist hingegen die Tatsache, dass die Firma Boehringer einige Tausend Dollar auf ein von Barbie auf den Bahamas eröffnetes Konto gezahlt hatte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die bolivianische Regierung unter Präsident Barrientos zudem längst von Barbies Geheimdienst-Fähigkeiten Gebrauch gemacht und ihn regelmäßig ins Hauptquartier der Armee gebeten, um vor Mitgliedern des militärischen Geheimdienstes „Lehrstunden“ für ihren Kampf gegen die politische Opposition abzuhalten, die sich auf die Themen „Verhörtechniken“, „Folter“ und „Anti-Guerilla-Maßnahmen“ erstreckten. Unter der neuen Regierung war Barbie 1964 zum Militärberater für Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung) geworden. Er erhielt Büros im bolivianischen Innenministerium, in der Abteilung des zivilen Geheimdienstes, und auf dem Flughafen von La Paz.
Zeitgleich zum Tode Ernesto „Che“ Guevaras im Oktober 1967, stieg Barbie in ein zweites geschäftliches Unternehmen ein, das seine Stellung als „prominenter bolivianischer Staatsbürger“ vollends absichern sollte, ihn zugleich aber auch in Formen der organisierten Kriminalität einführte, die ihm bis dahin weder zugänglich noch überhaupt vorstellbar gewesen waren: Nach dem Krieg mit Chile hatte Bolivien 1879 seine Küstenprovinz Antofagasta verloren und war seitdem ohne Zugang zum Pazifik. 1966 verkündete Präsident Barrientos die Gründung eines öffentlichen Spendenfonds, bei dem die Bolivianer aufgefordert wurden, Geld für eine staatliche Reederei- und somit für einen bolivianischen „Zugang zum Meer“ zu spenden.
Gaston Velasco, ein bolivianischer Geschäftsmann, der die Sammlung koordinierte, war offenbar äußerst erfreut, als ihm ein Exildeutscher, der angab, ein gelernter Schiffsingenieur zu sein, seine Hilfe anbot.
Auch dank des NS-Kriegsverbrechers war über Nacht die „Transmaritima Boliviana“ geboren, die zu 51% dem Staat Bolivien und zu 49% privaten Investoren gehörte, darunter auch der zum Geschäftsführer avancierte Klaus Barbie.
Mit dem Tode Guevaras driftete das ohnehin bereits brutalisierte und korrumpierte politische Leben Boliviens immer weiter in anarchistische Verhältnisse: Politiker verschwanden oder wurden ermordet aufgefunden, rechte und linke Militärdiktaturen wechselten sich ab, die Beziehungen zu Washington waren aufs Äußerste angespannt. Ende 1970 kam die linke Regierung unter General Torres an die Macht, die danach strebte, die abhängige und sozialökonomische Lage des Landes Bolivien zu überwinden. Diese politische Ausrichtung lief der von der Nixon-Regierung verfolgten Linie der Unterstützung und Absicherung privater Kapitalinvestitionen durch die USA-Monopole in den Ländern Lateinamerikas grundsätzlich zuwider. Die USA stellten daraufhin ihre Militär- und Wirtschaftshilfe in Frage und bewegten aus dem Hintergrund die einheimische Konterrevolution mit allen Mitteln zum Zuschlagen. Den Kandidaten, den die deutsche Gemeinde in Bolivien für die Rolle des Staatschefs auserkoren hatte, passte dabei hervorragend in das politische Konzept der USA: Der von der US-Armee in Fort Hunt ausgebildete Offizier, Oberst Hugo Banzer Suárez. Bereits im August 1971 gelangte durch einen erfolgreichen Putsch tatsächlich Hugo Banzer, das von der Kommunistischen Partei Boliviens als „Militärfaschismus“ bezeichnete Instrument der nationalen und internationalen Konterrevolution, an die Macht. Um seine Regierung auch militärisch abzusichern, hielten Banzer und seine Militärs stetig Ausschau nach lukrativen Waffengeschäften – und genau an dieser Stelle schritt Barbie ein und stelle sich und die „Transmaritima Boliviana“ in die Dienste der bolivianischen Militärs. Dank eines 1966 ausgestellten Diplomatenpasses, der es Barbie erlaubte, sich als „wichtiger Staatsangestellter“ mit besonderen Reiseprivilegien weltweit im Namen der Reederei und des bolivianischen Staates zu bewegen, bereiste Barbie Ende der sechziger Jahre Peru, Brasilien, Spanien, Portugal, Mexiko, und Argentinien und belieferte südamerikanische Militärdiktaturen mit internationalen, vor allem jedoch europäischen Waffenfabrikaten.
Der Beweis, dass die CIA diese Waffengeschäfte „offiziell“ unterstützte, ist nicht vollends zu erbringen. Ein im Rahmen des Nazi War Crimes and Disclosure Act freigegebenes Memorandum, das das Department of the Army am 18. Februar 1967 an den Director of Central Intelligence richtete, beweist lediglich, dass die CIA über ausführliche Kenntnisse in Bezug auf Barbies Waffengeschäfte verfügte und diese stillschweigend akzeptierte.
Dass Barbie spätestens im August 1971, als Banzer im Präsidentenpalast betonte, sein Regime sei entschlossen den Kommunismus zu zerschlagen, wieder in engem Kontakt mit Behörden des amerikanischen Geheimdienstes stand und diese mit Informationen über gesuchte sowjetische und kubanische Agenten in Südamerika versorgte, steht – trotz der Dementis Ryans – außer Frage: Barbie war nach Banzers blutigem Putsch 1971 unter der neuen Regierung zu einem bezahlten Berater des Innenministeriums und der Gegenspionage der bolivianischen Armee aufgestiegen. „Both institutions“, so hält Cockburn fest, „were thoroughly penetrated and funded by the CIA“.
Dass Barbie auch an Drogengeschäften beteiligt war, streitet der Ryan-Report vehement ab. Ryan zeigt auf, dass weder die „Drug Enforcement Administration“ in Washington, noch deren Dienststelle in La Paz über entsprechende Akten verfüge. Auch Drogengeschäfte, die ohne Kenntnis der US-Behörden über Barbie verliefen, schließt der Untersuchungsbericht des Justizministeriums nach der Befragung einiger von Barbies vermeintlichen Geschäftspartnern aus. Interessanterweise stehen die Erkenntnisse, zu denen die Library of Congress im Jahr 1989 gelangte, im völligen Gegensatz zu diesen Ausführungen Ryans. In der „Country Study Bolivia“ kommen die Autoren zu folgendem Ergebnis:
„The process was disrupted on July 17, 1980, however, by the ruthless military coup of General Luis García Meza. Reportedly financed by cocaine traffickers and supported by European mercenaries recruited by Klaus Barbie, former Gestapo chief in Lyons, the coup began one of the darkest periods in Bolivian history. […]”
Auch der ehemalige bolivianische Innenminister Sanchez Salazar bestätigt, dass Barbie, in Kooperation mit seinen Paramilitärs, die sich selbst den Namen „Verlobte des Todes“ gaben, enge Kontakte mit dem Dogenkönig Roberto Suarez unterhielt.
Die immer größer werdende Gruppe von Neofaschisten, die regelmäßig in der Bierstube „Bavaria“ in Santa Cruz zusammen kam, hatte sich Barbie als Führungsperson auserkoren. Auf Basis eines am 12. Februar 1980 zwischen Gómez und Barbie abgeschlossenen „Treueabkommens“, in welchem sich der Deutsche verpflichtete, paramilitärische Gruppen zu unterstützen und der bolivianischen Armee auf geheimdienstlichem Gebiet bedingungslos zu Diensten zu sein und sich an jeder Art von Abwehroperation zu beteiligen, besuchte er im Frühjahr 1980 die Paramilitärs in Santa Cruz und teilte ihnen mit, dass der Augenblick gekommen sei, eine neue Regierung unter General Garcia Meza, ein enger Freund von Roberto Suarez, zu etablieren.
Ein im Rahmen meiner Recherchen aufgetauchtes Schreiben der amerikanischen Botschaft in Guatemala an das U.S.-Außenministerium vom Oktober 1983 belegt nicht nur das Wissen der CIA über Barbies enormen Einfluss auf bolivianische Geheimdienstkreise, sondern ebenso deren Wissen über die Organisation der paramilitärischen Gruppe mit Hilfe namhafter internationaler Terroristen:
„A paramilitary group organized by former Bolivian President Hugo Banzer […] was working with pier luigi Palliai “in the Klaus Barbie Section” when he went to work for the Guatemalan Government of Gen. Rios Montt in the Government Propaganda and Counterinsurgency Areas.”
Die „Verlobten des Todes” hatten sich rasch unter den rechtsgerichteten Terroristen Europas und Lateinamerikas herumgesprochen. Dazu gehörte auch die in dem oben zitierten Telegramm erwähnten Pierluigi Pagliai, Anführer einer Aktionsgruppe, die schon an dem rechten Putschversuch in Italien im Dezember 1970 beteiligt gewesen war, und Stefano Delle Chiaie, Mitglied der italienischen Terrororganisation Ordine Nuovo.
Das Werk des „Don Klaus“ hatte seinen Höhepunkt erreicht: Als Kopf der Paramilitärs belieferte der dank seiner illegalen Geschäfte zu Reichtum aufgestiegene Klaus Altmann seine Armee mit europäischen Waffen und garantierte, auch dank Billigung der CIA, die Etablierung einer neuen, antikommunistischen Regierung unter Garcia Meza. Innenpolitisch diente dessen Militärjunta den aggressivsten und reaktionärsten Kreisen der proimperialistischen, bolivianischen Großbourgeoisie, die fortgeschrittene Wirtschafts- und Finanzkrise zu lösen, indem sie deren Auswirkungen auf die „Schultern der Werktätigen abwälzte“ und damit die vom Internationalen Währungsfonds auferlegten Richtlinien befolgte. Der neue Präsident und dessen Innenminister Arce Gomez unterstrichen dabei ihre Verbundenheit mit Augusto Pinochet und identifizierten ihr politisches Vorhaben mit dem chilenischen Modell.
Ryans Versuch, diese vorhandenen, wenn auch eher mittelbaren Beziehungen zwischen Barbie und der CIA zu bestreiten, sind insofern nachvollziehbar, als dass der internationale Aufschrei zu groß gewesen wäre, hätte Ryan eine Beteiligung der CIA an illegalen Drogen-, Waffen- und Devisengeschäften in Südamerika von „offizieller Seite“ bestätigt. Nach dem Scheitern der CIA-gestützten Invasion von Exilkubanern gegen die Regierung Fidel Castros in der kubanischen „Schweinebucht“ am 17. April 1961 und den darauf folgenden Debatten im Weltsicherheitsrat um die Rechtmäßigkeit des Angriffs, war die internationale Öffentlichkeit in Bezug auf eine amerikanische Intervention in Südamerika aufgeschreckt. 1979, also nur drei Jahre vor dem Startschuss zu Ryans Recherchen, markierten der NATO-Doppelbeschluss, der das entstandene Übergewicht sowjetischer Mittelstreckenraketen neutralisieren sollte, und der sowjetische Einmarsch in Afghanistan, das Ende der Entspannungspolitik der 1970er Jahre und eine Verschärfung des Kalten Krieges. Die Aufarbeitung der Barbie-Affäre stand unter dem Eindruck dieser politischen Entwicklung, und so nahm das amerikanische Justizministerium die Biographie Barbies auch zum Anlass, das eigene politische Profil gerade zu rücken und sich von dem Vorwurf der Unterstützung krimineller, antikommunistischer Gruppierungen in Südamerika reinzuwaschen. Dass dadurch die Aufarbeitung der Beziehungen zwischen der CIA und Klaus Barbie während dieser Zeit - die eigentliche Intention des Berichts - in den Hintergrund trat und irreführend widergegeben wurde, nahmen die Verantwortlichen offenbar billigend in Kauf.
Die BND-Akte von Klaus Barbie, die ich im September 2010 erstmals in München/ Pullach einsehen konnte, bestätigt den Verdacht, dass Klaus Barbie unter seinem Pseudonym „Klaus Altmann“ seit Mai 1966 in engem Kontakt mit dem westdeutschen Geheimdienst stand.
Es waren die „einflussreichen privaten und geschäftlichen Beziehungen“ des Herrn Altmann zu bolivianischen Regierungs- und Geheimdienstkreisen, die letztendlich den Ausschlag dafür gaben, den Exildeutschen auf die Gehaltliste des BND zu setzen. Dass es sich bei dem Informanten um einen gesuchten NS-Kriegsverbrecher handelte, war dem BND (zu Beginn der Kontaktaufnahme) offenbar unbewusst:
In seiner Informanten-Kartei wurde über ADLER (Barbies Deckname) festgehalten, dass er während des Zweiten Weltkrieges in einer Panzerdivision an der Normandie gekämpft hätte. Auch die übrigen Angaben über Barbies NS-Laufbahn sind gespickt von Fehlern oder entsprechende Vita-Lücken, die offenbar bewusst nicht weiter verfolgt wurden.
Nichtsdestotrotz hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg bereits 2 Jahre zuvor eine Anfrage an den BND gesandt, in der nach Informationen verlangte, ob Barbie in ihren Diensten stehe. Ein Informant namens „Barbie“ war auf den Gehaltslisten nicht zu finden, doch musste dort ein nicht zu übersehendes Faktum aufgefallen sein: Der in Deutschland wegen Kriegsverbrechen gesuchte Barbie galt als flüchtig, man vermutete ihn, so in den Akten der Staatsanwaltschaften Hamburg und Kassel (und auch in denen des BND) festgehalten, in La Paz/Bolivien. Fest stand auch, dass Barbie zwei Kinder hatte, einen Sohn (Jörg) und eine Tochter (Ute). Ein Blick in die Akte der Südamerika-Informanten hätte 1966 verraten, dass Altmann ebenfalls in La Paz lebte, Deutscher war, einen Sohn hatte, der Jörg hieß (der für den BND ebenfalls, wenn auch nur indirekt, Spionagearbeit leistete) und Vater einer Tochter war, die Ute hieß. Außerdem war Barbie am 25. Oktober 1913 geboren. Und Altmann, der unter falschem Namen (und mit nur minimal abgeänderten Geburtsdaten) in Bolivien eingereist war, feierte seinen „neuen“ Geburtstag am 25.10.1915. Was bleibt, ist die Frage, ob der BND bei seiner Entscheidung, Klaus Altmann zu rekrutieren bewusst über die verfügbaren Anhaltspunkte hinwegsah, oder ob die in der Tat vielversprechenden Beziehungen, die Altmann zum Zeitpunkt seiner „Rekrutierung“ anzubieten hatte, dessen braune Vergangenheit schlichtweg vergessen ließen.
Die Informationen, die Barbie dem BND im Zeitraum zwischen Mai und Dezember 1966 zur Verfügung stellte, sind noch nicht abschließend aufgearbeitet: Die wenigen vorhandenen Berichte aus Bolivien deuten jedoch daraufhin, dass Barbie den westdeutschen Geheimdienst präzise über die politischen Entwicklungen in Bolivien und anderen südamerikanischen Staaten unterrichtete.
Erst als Altmann im Dezember 1966 die Reise nach Deutschland (zu Schulungszwecken) verweigerte, wurde der BND stutzig: Altmann gab zu erkennen, dass seit Kriegsende in Ludwigsburg entsprechende Ermittlungen gegen seine Person laufen würden und er aus diesem Grund nicht in die Bundesrepublik einreisen könne. Aufgrund dieser „erheblichen Sicherheitsgefährdung für den BND“ beschloss die damalige Führungsstelle, seinen Informanten noch im selben Monat abzuschalten – als endgültige Abfindung erhielt Barbie alias Altmann 1000 DM in bar. Die Notbremse war in letzter Sekunde gezogen worden. Für die Amerikaner kam diese „Notbremse“ Jahrzehnte zu spät.
Im Zuge des „Ulmer Prozesses“ von 1956, in dessen Verlauf elf ehemalige Aufseher des Konzentrationslager Auschwitz verurteilt worden waren, und der damit verbundenen öffentlichen Diskussion über die Justiz von NS-Tätern, bekam die Verfolgung von Kriegsverbrechern in der Bundesrepublik wieder neuen Schwung: Bereits zwei Jahre später beschlossen die Justizminister der Bundesländer, eine zentrale Ermittlungsbehörde in Ludwigsburg zur Verfolgung von deutschen Kriegsverbrechern einzurichten. Auf den Fahndungslisten der „Zentralstelle“ stand auch Klaus Barbie. Unmittelbar nach Gründung der Ludwigsburger Behörde sandten die Ermittler eine Anfrage an die US-Armee in Deutschland, in der die Deutschen nach dem aktuellen Aufenthaltsort Barbies fragten. Die Antwort lautete kurz und knapp, man habe mit dem Gesuchten seit 1951 jeglichen Kontakt verloren, sein gegenwärtiger Aufenthaltsort sei nicht bekannt.
Interessanterweise tauchte die Kasseler Polizei am 12. April 1961 in der Eichwaldstraße 83 auf, wo eine Verwandte von Barbie folgende Aussagen zu Protokoll gab:
„Ich weiß, dass der Beschuldigte damals beim amerikanischen Geheimdienst irgendwie angestellt und beschäftigt war. […] Ungefähr im Jahre 1949 besuchte Frau Anna Barbie (Barbies Mutter) meine Eltern und mich hier in Kassel. Bei dieser Gelegenheit erzählte die Tante, Klaus Barbie und seine Familie sei von Amerikanern ins Ausland verbracht worden.[…] Ich weiß, dass Klaus Barbie im Jahre 1948 […] in Augsburg im Stadtteil „Stadtbergen“ wohnte.[…] Im Sommer 1957 war die Ehefrau des Beschuldigten […] mit ihren zwei Kindern zu Besuch ohne den Beschuldigten in Trier bei ihren Verwandten (Mutter und Schwiegermutter). […] Dort war Frau Barbie mit ihren Kindern fast ein halbes Jahr zu Besuch. […] Das war etwa im Februar 1958. […] An dem genannten Tag war ich anwesend und erfuhr auch von Frau Barbie selbst, dass sie nach Bolivien zurückfahren wolle. […] Die Ortschaften weiß ich nicht mehr anzugeben, außer in einem Falle. Das war die Stadt La Paz.“
Auch nannte Frau Bouness den Ermittlern der Staatsanwaltschaft Kassel Barbies alias-Namen „Altmann“, doch trotz dieser überaus aufschlussreichen Informationen versickerten die Ermittlungen gegen Barbie im Sand der Bürokratie. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft in Kassel nach einjährigen Ermittlungen bemerkenswerte Ergebnisse zusammentragen können: Die Amerikaner hätten Barbie in einem beschlagnahmten Haus in Augsburg, Stadtteil „Stadtbergen“, beschäftigt; Barbie sei, dank der Hilfe des amerikanischen Geheimdienstes, nach La Paz entkommen – und obwohl den deutschen Behörden solche detaillierte Angaben vorlagen, gerieten die Ermittlungen ins Stocken. Nach monatelangem Stillstand leitete die Kasseler Staatsanwaltschaft die Akte im August 1965 an die Augsburger Kollegen weiter, da Augsburg inzwischen als letzte Adresse Barbies angesehen wurde. Die Augsburger Staatsanwaltschaft entschied wiederum, nachdem am 20. August durch das Amtsgericht in Augsburg ein Haftbefehl gegen Barbie erlassen worden war, dass die deutschen Ermittlungsbemühungen an ihre Grenzen gestoßen seien, da Barbie durch ein Urteil des Ständigen Militärgerichts in Lyon bereits am 25. November 1954 in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war und damit ein Verfahrenshindernis nach Art. 3 II und IIIb des Überleitungsvertrages gegeben sei.
Die unkoordinierte, von Zufälligkeiten geprägte Fahndung und Identifizierung Klaus Barbies bildete nicht die Ausnahme, sondern die Regel bei der Suche nach geflüchteten NS-Verbrechern im Ausland. Es gab in diesen Fällen kein etabliertes Fahndungsverfahren. Die Interpol lehnte eine Zusammenarbeit mit dem Argument ab, es handele sich bei NS-Verbrechen um politisch motivierte Taten. Die deutsche Abteilung der Interpol im Bundeskriminalamt begrüßte diese Verweigerungshaltung, was angesichts der Vergangenheit der zuständigen Personen nicht verwundert. Selbst wenn ein Haftbefehl vorlag, scheuten die Behörden häufig vor einem zeit- und kostenaufwendigen Fahndungs- und Auslieferungsverfahren zurück, das nicht selten außenpolitische Spannungen nach sich zog. Die Zurückhaltung staatlicher und supranationaler Institutionen rief, auch im Fall Barbies, letztendlich nichtstaatliche Akteure auf den Plan, die sich der „Nazi-Jagd“ aus unterschiedlichen Motiven verschrieben. So erinnerten sich die deutschen Behörden erst 1970, anlässlich der Ergebnisse der Eheleute Klarsfeld, wieder an den „Fall Barbie“ und sahen sich aufgrund des zunehmenden öffentlichen Drucks dazu veranlasst, die Ermittlungen gegen Barbie neu aufzurollen, nachdem das Ermittlungsverfahren am 20. März 1967 vorläufig eingestellt worden war.
Dass ein Prozess gegen Klaus Barbie letztendlich doch noch realisiert wurde, war vor allem der öffentlichen Publicity zu verdanken, die die Eheleute Klarsfeld zu Beginn der 1970er Jahre mobilisieren konnten, und die bereits der Anlass für das französische Auslieferungsersuchen durch Pompidou im Jahr 1972 gewesen war. Nachdem die „Nazijäger“ erfahren hatten, dass die Staatsanwaltschaft München unter Vorsitz von Staatsanwalt Rabl am 22. Juni 1971 die Verfolgung des ehemaligen Gestapo-Chefs aus Mangel an Beweisen endgültig „auf Eis“ gelegt hatte, erstellten sie Dossiers über Barbies Verbrechen in Frankreich, die sie an alle internationalen Nachrichtenagenturen und Résistance-Vereinigungen in der Gegend von Lyon sandten.
Beate Klarsfeld, die ihre „Protestwut“ nach eigenen Angaben aus dem generationenübergreifenden „Resistance Spirit“ schöpfte, organisierte Ende September 1971 eine Protestfahrt Lyoner Widerstandsgruppen nach München zur Übergabe eines Memorandums an den zuständigen Staatsanwalt.
Aufgrund des Münchner Protestes von Klarsfeld und der Auschwitz-Überlebenden Benguigui, deren drei Söhne von Barbie deportiert- und in Auschwitz getötet worden waren, und der Aussagen von Raymond Geissmann, dem Direktor der Abteilung Süd der Union Générale des Israelites de France (UGIF), nahm der Münchener Staatsanwalt Manfred Ludolph, der Vorgesetzte Rabls, den Fall am 1. Oktober 1971 wieder auf. Den nötigen Beweis, dass es sich bei dem bolivianischen Staatsbürger Klaus Altmann um den gesuchten NS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie handelte, lieferte eine Untersuchung des Instituts für Anthropologie und Humangenetik der Ludwig Maximilians-Universität München am 20. Dezember 1971. Das Gutachten bestätigte auf Basis einer Bildtafelanalyse, dass es sich bei Altmann tatsächlich um Barbie handelte. Der zuständige Gutachter, Prof. Dr. Dr. Ziegelmayer, hielt in seinem Abschlussbericht fest:
„Unter der Voraussetzung, dass der auf den Bildern a, b und c der Tafel II wiedergegebene Klaus Altmann nicht ein naher Verwandter, etwa ein Bruder, des auf den Bildern 2 und 5 der Tafel I abgebildeten Klaus Barbie ist, ist der Schluss gerechtfertigt, dass mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die beiden Männer identisch sind.“
Um Barbies Identität vollends zu enthüllen, hofften die französischen Ermittler auf ein Bekenntnis der amerikanischen Behörden, die zu diesem Zeitpunkt längst verdächtigt wurden, Barbie die Flucht ermöglicht zu haben. Der französische Botschafter in La Paz hatte bereits am 25. Februar bei der dortigen U.S. Botschaft eine Mitteilung hinterlegt, in der er die Vereinigten Staaten um Mithilfe bei der Identifizierung Altmanns bat. „He believes“, antwortete der amerikanische Botschafter Ernest Siracusa zunächst, „that Barbie was furnished documentation for a new identity as Klaus Altmann by U.S. forces“. Umgehend richtete die französische Botschaft in Washington am 9. März daraufhin eine formelle Note an das amerikanische Außenministerium, in der sie um die entsprechenden Dokumente bat.
Zwar schien sich das unter Druck geratene U.S. Außenministerium seiner „moralischen Verpflichtung“ im Fall Barbie bewusst geworden zu sein, doch mangelte es dem Ministerium an den jeweiligen Unterlagen, um den Beweis führen zu können, dass Klaus Barbie in der Tat von U.S.-Behörden mit der falschen Identität „Klaus Altmann“ ausgestattet worden war. Diese befanden sich nach wie vor in Händen der U.S.-Armee. Als das Pentagon Mitte Mai schließlich die entsprechenden Dokumente auf Druck des Außenministeriums erhalten hatte, zeigte man sich dort, bezeichnenderweise, zu keiner Kooperation bereit. Stattdessen musste sich das State Department, wie die erst im Jahr 2006 freigegebenen Akten belegen, mit der Antwort des Pentagons zufrieden geben, es sei eine Pflicht der nationalen Sicherheit, die Akten auch weiterhin unter Verschluss zu halten.
Am 19. Januar 1972 veröffentlichte die Pariser Zeitung „l’Aurore“ auf der Titelseite die von den Klarsfelds weitergeleitete Meldung, dass Barbie von Bolivien nach Peru ausgewichen sei und nun beabsichtige, in Paraguay, wo auch Bormann und Mengele vermutet worden waren, unterzutauchen. Mit dem Ziel, die südamerikanischen Staaten für die Verfolgung des NS-Verbrechers zu sensibilisieren, bestieg Beate Klarsfeld am 27. Januar ein Flugzeug in Richtung Lima. Ihre Behauptung, dass Klaus Altmann der gesuchte NS-Verbrecher Klaus Barbie war, konnte sie mit insgesamt vier Beweisen untermauern:
Klaus Altmanns Tochter, Ute (Uta-Maria), wurde am 30. Juni 1941 in Kassel geboren. Ute Barbie war zwar in Trier zur Welt gekommen, hatte aber die gleichen Geburtsdaten aufzuweisen. Klaus Altmanns Sohn, Klaus-Jörg, war am 11. Dezember 1946 in „Kasel“, bei Leipzig geboren worden. Mit Hilfe des Ersten Staatsanwaltes von München, Dr. Ludolph, konnte Beate Klarsfeld jedoch den Beweis liefern, dass der angegebene Bezirk „Kasel“ gar nicht existierte. Umso interessanter, dass der Sohn Klaus Barbies, der ebenfalls den Namen Klaus-Jörg trug, am selben Tag wie Klaus-Jörg Altmann geboren war, und zwar in der nordhessischen Stadt Kassel. Desweiteren stimmte der Vornamen von Frau Altmann mit dem Vornamen von Frau Barbie überein. Der Geburtsname war von Willms in Wilhelms nur minimal abgeändert worden. Nicht zuletzt hatte sie das Gutachten von Prof. Dr. Dr. Ziegelmayer bei sich, der auch auf humangenetischer Ebene den Beweis für die Übereinstimmung der Identitäten Altmanns und Barbies nachwies.
Zu einem Treffen mit Altmann kam es jedoch nicht. Ein peruanisches Polizeikommando hatte Barbie bereits die Flucht nach Bolivien ermöglicht. Noch in Lima bestritt Altmann vehement, mit Barbie identisch zu sein: „Ich kenne Klaus Barbie nicht! Ich selbst heiße Klaus Altmann und habe meinen Namen nie geändert!“. Auch den Vorwurf, er sei nach Peru geflüchtet, wies „Altmann“ zurück. Nach seinen Worten hielt er sich in Peru im Auftrag der bolivianischen Schifffahrtsgesellschaft auf, um dort über den Kauf von Schiffen für Bolivien zu verhandeln. Beate Klarsfeld musste sich eingestehen, dass sie in Lima einen Rückschlag erlitten hatte. Noch mit dem nächsten Flugzeug reiste sie nach La Paz und wurde drei Tage nach ihrer Ankunft festgenommen und des Landes verwiesen. Die Reise hatte dennoch ihren Zweck erfüllt: Barbie war zum Thema der internationalen Öffentlichkeit geworden. Und Jean Louis Mandereau, der Botschafter Frankreichs in La Paz, bekam am 1. Februar 1972 die Anweisung aus Paris, die Auslieferung Barbies formell zu beantragen.
Zehn Tage nach ihrem ersten Versuch, Barbie zu treffen, flog Beate Klarsfeld erneut nach Südamerika. Diesmal reiste sie zusammen mit Itta Halaunbrenner, die durch Barbie ihren Mann und ihre vier Kinder verloren hatte. Die „Nazijägerin“ kettete sich vor dem Gebäude der Transmaritima an und protestierte öffentlichkeitswirksam gegen die bolivianische Politik, die den gesuchten Kriegsverbrecher weiterhin vor einer Auslieferung schützte. Ebenso protestierte Klarsfeld gegen die amerikanische Besatzungsmacht in Deutschland, die eine Auslieferung Barbies im Jahr 1950 verweigert hatte. Diese Aktion brachte den Fall Barbie über Nacht endgültig auf die Titelblätter der Weltpresse.
Und doch hatte Barbie keinen Grund zur Sorge: Zum Einen aufgrund der Tatsache, dass zwischen Frankreich und Bolivien kein offizieller Auslieferungsvertrag bestand, desweiteren war Barbie entweder deutscher oder bolivianischer, aber gewiss kein französischer Staatsbürger. Eine Auslieferung an Frankreich schien daher ausgeschlossen. Ein Umstand, der Barbies zunehmende Ängste vor einer Strafverfolgung zusätzlich minderte, war der unverkennbare, persönliche Schutz, der Barbie durch Banzer zuteilwurde; das Interesse der französischen Regierung am „Fall Barbie“ nahm aufgrund dessen wieder ab.
Auch die Klarsfelds mussten sich eingestehen, dass die Kampagne an einem „toten Punkt“ angelangt war.
Im Juli 1978 musste Banzer nach erneuten politischen Unruhen und Streiks abtreten und aus Bolivien flüchten, woraufhin das Land in den darauffolgenden zwei Jahren drei Wahlen, drei Staatsstreiche und sechs Präsidenten erlebte. Von der politischen Orientierungslosigkeit profitierte der anhaltende Demokratisierungsprozess, der Ende 1979 erste konkrete Ergebnisse zeigte: Der linksgerichtete Hernán Siles Zuazo war 1979 und 1980 als Sieger aus den Präsidentschaftswahlen hervorgegangen.
Der darauffolgende Putsch des rechten Lagers, an dem nach Darstellungen der bolivianischen Linken Barbie maßgeblich beteiligt gewesen sein soll, und die anhaltenden Repressionen des Militärs, hatten die rechte Opposition zwar wieder an das politische Ruder gebracht, jedoch gelang es den verschiedenen, untereinander konkurrierenden Cliquen innerhalb des Militärs nicht, in der Folgezeit eine stabile Regierung auf den Weg zu bringen. Am 21. Juli 1982 war es schließlich General Guido Vildoso Calderón, der das Amt des Präsidenten übernahm und den Übergang zur Demokratie organisieren sollte, auch wenn ihm, als Vertreter des Militärs, die demokratischen Kräfte zunächst wenig Vertrauen entgegen brachten. Als die internationalen Zeitungen nach seiner Amtsübernahme auch noch davon berichteten, Barbie sei von Vildoso als Erster im Präsidentenpalast empfangen worden, richteten die Gewerkschaften umgehend ein Ersuchen an die neue Regierung, Barbie auszuliefern, da er den Putsch organisiert habe, durch den die Machtübernahme Siles Zuazos verhindert worden war. Siles selbst, der schließlich im Oktober 1982 auf demokratischem Weg zum Präsidenten Boliviens gewählt wurde, beteuerte gegenüber nationalen und internationalen Medien bereits vor seinem Amtsantritt, er verpflichte sich, den NS-Täter auszuliefern. Bolivien, so Siles, sollte nicht länger sein Ansehen in der Welt dadurch beschädigen, dass es als Zufluchtsort für NS-Kriegsverbrecher galt.
Nichtsdestotrotz sollte das Auslieferungsverfahren gegen Barbie gesetzmäßig verlaufen und zunächst vom Obersten bolivianischen Gerichtshof geprüft werden. Das Verfahren begann schließlich im Januar 1983, als der Generalstaatsanwalt den deutschen Auslieferungsantrag vorlegte.
Es stand zunächst außer Frage, dass Barbie nach Deutschland gebracht werden sollte, schließlich war er deutscher Staatsbürger und hatte die bolivianische Nationalität nur aufgrund falscher Personalangaben erhalten. Die Abschiebung in ein Drittland, in diesem Fall Frankreich, gestaltete sich hingegen als äußerst kompliziert.
Zwar wurde der deutsche Botschafter bei der neuen bolivianischen Regierung vorstellig, um die dortigen Bemühungen um Barbies Auslieferung voranzutreiben, doch schien die deutsche Regierung keineswegs an einer Überführung Barbies nach Deutschland interessiert gewesen zu sein.
Zwar beteuerte die deutsche Regierung gegenüber den bolivianischen und französischen Behörden, Deutschland würde nicht über die entsprechende Beweislage verfügen, um eine Verurteilung Barbies in Deutschland garantieren zu können, doch müssten weitere Untersuchungen dem Verdacht nachgehen, inwiefern die Regierung Kohl nach den Enthüllungen der „Filbinger-Affäre“ von 1978 unter Umständen auch darum bemüht gewesen war, durch den „Fall Barbie“ keine „alten Wunden“ aufreißen zu lassen und der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit deutscher Behörden und der Biographien führender CDU-Politiker während der Wahlperiode im Herbst 1983 unter keinen Umständen eine entsprechende Plattform zu bieten.
Die Regierung Frankreichs erwartete stattdessen eine breite Zustimmung der Bevölkerung für ihre Bemühungen, die sich vielleicht auch bei den Gemeindewahlen im März widerspiegeln würde.
Für die Franzosen war Barbie längst zu einer politischen Trumpfkarte avanciert, die sich der im Mai 1981 gewählte Regierungschef Francois Mitterand offenbar gerne etwas kosten ließ: Ein im Rahmen meiner Recherchen zu Tage gefördertes CIA-Memorandum vom Dezember 1983 bestätigt endgültig den Verdacht, dass die französische Regierung, die nach ihrem spektakulären Wahlerfolg vom Mai bereits deutlich an Popularität eingebüßt hatte, mit Vertretern der bolivianischen Regierung zu einem geheimen Tauschabkommen bereit war. Der Umfang dieses Tausches mag indes verblüffen:
„In exchange for Klaus Barbie the French Government secretary agreed to provide Bolivia with a substantial quantity of Arms (up to 50 tons) in multiple shipments. The Bolivian Government assured the French that the Weapons including small arms, machine guns, anti-tank weapons, and ammunition, would be used for „Police narcotics work“.
Dass sich die CIA keine Illusionen über die eigentliche Verwendung dieser enormen Waffenlieferung machte, belegen die darauffolgenden Zeilen:
„The Arms have probably been used to equip a secret Paramilitary Force for President Siles‘ National Revolutionary Movement of the Left (MNRI) Party. [..]“.
Auf der Basis dieses Abkommens, und entgegen aller aufgekommenen Zweifel an einer tatsächlichen Auslieferung Barbies durch die bolivianische Regierung, teilte der Innenminister Boliviens, Mario Roncal, den Botschaftern Frankreichs und Deutschlands am 27. Januar überraschend mit, dass die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes nicht abgewartet werden würde, sondern Barbie umgehend ausgewiesen werden solle.
Am 4. Februar 1983 wurde Barbie vom Gefängnis zum Flughafen Al Alto gebracht und mit einer bolivianischen Maschine nach Cayenne in Französisch-Guyana abgeschoben Die Bundesregierung hatte am 26. Januar, in der Antwort auf die Anfrage der Bolivianer bezüglich einer Auslieferung Barbies nach Deutschland, ihr Auslieferungsbegehren hinter dem Ersuchen der Franzosen zurückgestellt. In Guyana verhafteten schließlich französische Sicherheitskräfte den wegen seiner Kriegsverbrechen gesuchten Barbie und flogen ihn nach Lyon, wo er im Gefängnis Montluc inhaftiert wurde. Der ehemalige Gestapo-Chef war wieder an den Ort seiner Verbrechen zurückgekehrt.
Aufgrund der seit Ende der 1980er Jahre anhaltenden öffentlichen Diskussion über die Verbindungen amerikanischer Regierungsstellen zu Kriegsverbrechern des NS-Regimes (vgl. die „Waldheim-Affäre“ von 1986), wuchs der politische Druck auf den U.S. Kongress, ein Gesetz zur Offenlegung relevanter Quellenbestände zu verabschieden. Der unter der Regierung Bill Clintons im Jahr 1998 erlassene Nazi War Crimes Disclosure Act, schuf erstmals eine gesetzliche Grundlage zur Freigabe tausender Aktenseiten, die die Kenntnisse von U.S.-Geheimdienststellen um deutsche Kriegsverbrechen oder die Beschäftigung ehemaliger NS-Funktionäre betraf. Im Rahmen dieser Gesetzgebung wurden 8,5 Millionen Akten geöffnet, die von der Nazi War Criminal and Japanese Imperial Government Records Interagency Working Group (IWG), einer eigens zur Bearbeitung dieses Aktenkomplexes geschaffenen Regierungskommission, gesichtet- und für die Öffentlichkeit freigegeben wurden.
Neben dem bereits im Juli 1966 von Lyndon B. Johnson verabschiedeten Freedom of Information Act, zeigt insbesondere die Gesetzgebung unter der Regierung Clintons den Willen der U.S.-Regierung, die Fraternisierungstendenzen zwischen U.S.-Behörden und NS-Kriegsverbrechern aufzuarbeiten- auch wenn, wie der Fall Barbie deutlich belegt, einzelne Quellenbestände immer noch zurückgehalten werden.
Die Aufarbeitung der „braunen“ Vergangenheit von deutschen Behörden, insbesondere die des Auswärtigen Amtes und des Bundesnachrichtendienstes, betrachte ich als längst überfällig – nicht nur als Historiker, sondern auch als Sohn dieses Landes.
Dass meine Anfrage auf Akteneinsicht beim BND im Sommer 2010 zunächst abgewiesen wurde, zeigt einerseits, dass die von AA und BND proklamierte Transparenz offenbar noch weit hinter dem eigens an sich gestellten Anspruch zurücktritt.
Andererseits zeigt die Tatsache, dass meinem Antrag wenige Monate später auf Basis einer von mir vorgebrachten Beschwerde beim Bundeskanzleramt doch noch stattgegeben wurde, ein offensichtliches Umdenken deutscher Behörden, was die wissenschaftliche Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit betrifft.
Die Historikerkommission, die im Oktober 2010 ihre Ergebnisse in Bezug auf die NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amtes präsentierte, sind eine Chance, kein Final.
Sie sind die Chance für eine zukünftige Aufklärungsarbeit, eine Initialzündung für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem entscheidenden Kapitel deutscher Vergangenheit.
Die Basis der in meiner Arbeit verwendeten U.S.-amerikanischen Quellen konzentriert sich auf die im Zuge der Ermittlungen des U.S. Justizministeriums im Jahr 1983 freigegebenen Akten des Counter Intelligence Corps (CIC), des Immigration and Naturalization Service (INS) und des Federal Bureau of Investigation (FBI), die in Form eines 680-Seiten starken Konvoluts dem Ryan-Report angefügt sind.
Dank des Förderstipendiums der Johannes Gutenberg-Universität Mainz war es mir mit Hilfe eines unabhängigen Recherchedienstes möglich, umfangreiche Untersuchungen in den National Archives in Washington D.C. zu tätigen. Auf Basis des bereits erwähnten Nazi War Crimes Disclosure Act konnte die Biographie Barbies anhand bisher unveröffentlichter U.S.-Geheimdienst-Quellen (CIC, FBI, CIA, Department of State etc.) um entscheidende Facetten zu erweitern. Weitere Untersuchungen folgen im Frühjahr 2011.
Der umfangreichste, freigegebene Fundus deutscher Quellen zu Klaus Barbie befindet sich in der an das Bundesarchiv angegliederten Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen (ZSt) zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Neben Auszügen aus Barbies SS-Personalakte lagern dort insbesondere die deutschen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaften in Augsburg, Kassel, Düsseldorf und München, vereinzelte Ermittlungsakten des Auswärtigen Amtes, die übersetzten Verhörprotokolle der Generalstaatsanwaltschaft von Lyon, die übersetzte Anklageschrift des Ständigen Militärgerichts (Lyon) sowie die Ermittlungen des französischen Innenministeriums. Demnach bieten die in Ludwigsburg zugänglichen Akten ein solides Fundament für einen Einblick in die deutsche und französische Ermittlungspraxis bezüglich der begangenen Kriegsverbrechen Klaus Barbies im Zeitraum von 1942-1944.
Eine entscheidende autobiographische Quelle bietet das Bundesarchiv in Koblenz, in dem seit 2007 der „Nachlass Hans Gwinner“ lagert. Gwinner, ein Mitglied der deutschen Kolonie in La Paz, stand zwischen 1971 und 1991 in Briefkontakt mit Barbie. Dank der Öffnung dieses Nachlasses war es dem Autor erstmals möglich, die bisher unveröffentlichten, teilweise sehr intimen Briefe einzusehen.
Zur Erforschung von Barbies Biographie während seines bolivianischen Exils, war es mir gestattet, die im Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main befindliche Kopie des sogenannten „Schwend-Archivs“ einzusehen.
Auf Basis einer von mir vorgebrachten Beschwerde beim Bundeskanzleramt, wurde mir im Herbst diesen Jahres erstmals gestattet, Barbies BND-Akte in München/ Pullach einzusehen.
Auch die bisher gesperrten Akten des Auswärtigen Amtes wurden mir auf diese Weise zugänglich gemacht. Eine umfassende Recherche dieses Aktenkomplexes ist für das Frühjahr 2011 geplant.
Daneben stehen umfangreiche Kontakte zu zahlreichen Zeitzeugen, Historikern und Journalisten im In- und Ausland, die mich bei meinen Forschungen tatkräftig unterstützen und denen abschließend mein ganz besonderer Dank gilt.
Reactions to the article
Comment
würde mich nicht wundern, wenn die Leute vom Spiegel ihre Infos aus dem oben erschienenen (äußerst interessanten und anspruchsvollen) Interview schöpften und einen Beitrag zusammenschusterten.
Bekannt ist ja seit langem, dass zwischen BND und SPIEGEL enge Beziehungen bestehen - hat der SPIEGEL die brisanten Infos vorher durch die Öffentlichkeit gezogen, um einer kritisch-wissenschaftlichen Aufarbeitung von Hammerschmidt vorweg zu greifen? Greifen da mehr Hände ineinander als man meint?
Comment
Ein junger Nachwuchswissenschaftler mit Perspektive, wie mir scheint!
Am interessanten sicher die BND-Recherche! Der aktuelle Artikel im SPIEGEL (13.01.) geht demnach falsch in der Annahme, dass es noch nie jemand geschafft hätte, die BND-Archive einsehen zu dürfen.
Bin äußerst gespannt auf weitere Berichte des jungen Forschers!