Um ihn herum sind als Zeugen seiner schöpferischen Produktivität zahlreiche Miniaturmodelle seiner Monumentalplastiken versammelt. Es frappiert, mit welchem Selbstbewusstsein sich der Künstler hier selbst ein Denkmal setzt. Beim Betreten des großen Raumes, der von in Bronzereliefs gestalteten Porträts zahlreicher Künstler, Schriftsteller und Kulturträger des 20. Jahrhundert gesäumt ist, läuft der Betrachter direkt auf die Standfigur Putins zu. Der Präsident ist als athletischer Gigant, in statischer Pose mit nackten Füßen und in die Hüften gestemmten Händen dargestellt. Die Plastik ist auf einer mit Signatur und Titel versehenen Bronzeplatte ohne Sockel direkt auf dem Boden des Museums aufgestellt. Durch diese Präsentationsform wird der Betrachter unmittelbar körperlich mit dem bronzenen Koloss konfrontiert. Die Statue in doppelter Lebensgröße lässt in ihrer Statik und Monumentalität deutliche Rekurse auf stalinistische Denkmäler erkennen. Die Figur ist allerdings nicht als offizielles Porträt konzipiert. Stattdessen wird Putin als Judokämpfer dargestellt. Diese Darstellung nimmt das offiziell gepflegte Image von Putin als Judosportler auf, der mit Epitheta wie „Männlichkeit“, „Vitalität“ sowie „geistige und körperliche Stärke“, aber auch „(fernöstliche) Weisheit“30) ausgestattet wird.31) Nach Zurab Ceretelis Pressesekretärin soll es sich bei der Plastik um die Allegorie des jungen, starken Russlands handeln: ein Führer, der das Land zielbewusst ins 21. Jahrhundert führt.32) In dieser Konstruktion werden zwei Imageaspekte aufgegriffen: Der Führer, der mit „starker Hand“ das Land regiert und der junge, sportliche und demokratische Präsident. Die Plastik verweist in zweifacher Weise auf den Körper des Präsidenten. Auf die Person, die als sportlicher Judokämpfer in Szene gesetzt wird und auf die metaphysische Idee des „Amtskörpers“, der Verkörperung von Volk und Herrschaftsterritorium. Die Cereteli-Plastik zeigt den Präsidenten als monumental übersteigerten Superhelden, der vor körperlicher und geistiger Kraft nur so strotzt. Dabei entbehrt sie jeglicher distanzierender Ironie und ihre gigantische Form wirkt deplaziert und kitschig.33) Gelfert beschreibt „Kitsch“ als ein „Missverhältnis zwischen ästhetisch-formaler und ethisch-substantieller Intention“, wobei die formale Intention einen höheren Anspruch stellt, als die inhaltliche einzulösen vermag.34) In diesem Sinne muss die Cereteli-Plastik als Monumentalkitsch bezeichnet werden. Der Anspruch der Putinbronze, „eine unbezweifelte immaterielle Größe durch ein physisches Äquivalent dauerhaft sichtbar zu machen“35) bzw. Großmachtphantasien durch einen Präsidentenriesen zu verkörpern, ruft anachronistische Repräsentationsmuster auf. Auch Ceretelis Pressesekretärin versucht die Monumentalität der Plastik mit dem Argument zu rechtfertigen, dass es in Russland seit Peter dem Großen keinen russischen Führer derartigen Maßstabes mehr gegeben habe.36) In den Werken Ceretelis zeigt sich generell das Erbe einer monumentalen Repräsentationsweise, die Größe in einem konkreten Sinne durch die Wahl von Material und Form zum Ausdruck bringt. Cereteli überhöht in seiner Putinstatue das Präsidentenamt. An die Stelle der demokratischen Legitimation des Amtes rückt der Versuch, Legitimation durch Größe und Heldentum der Persönlichkeit zu stiften.
Es bleibt die Frage nach den Ambitionen, welche der Künstler mit der Plastik hegte. Eigentlich sei es nicht sein Stil, Führer zu malen, so Cereteli in einem Interview in der russischen Zeitung „Moskovskij Komsomolec“37) im September 2002. Doch dann habe er eine Fotografie Putins gesehen, die ihn durch ihre märchenhafte Ausstrahlung inspiriert habe.38) Die Legitimation für die Darstellung des Herrschers bezog Cereteli aus dem Topos des genialen Hofkünstlers:
"Es geht nicht darum, dass man Herrscher nicht malen soll. Velázquez, Tizian und Goya malten Könige [...]. Warum? Weil sie große Künstler waren und große Vorbilder vor sich hatten. Die Könige liebten die Kunst und gute Künstler."39)
Ob Cereteli vorhatte, Präsident Putin die Statue – im Bestreben nach `königlicher Anerkennung` – zu schenken, lässt sich heute kaum noch feststellen, denn das Werk stieß im Kreml auf großes Missfallen. In einem am 28. April 2004 in der russischen Zeitung „Komsomol`sjaja Pravda“ veröffentlichten Artikel wies ein Sprecher des Kremls Zurab Cereteli in seine – rechtlichen – Schranken:
"Solche Bekundungen haben wir von einem derart bekannten und erfolgreichen Künstler nicht erwartet. Wem, wenn nicht ihm, dürfte bekannt sein, dass Präsident Putin solchen Dingen gegenüber äußerst negativ eingestellt ist. Und wir sind davon überzeugt, dass dieses Kunstwerk nirgendwo sonst als im eigenen Hof des Bildhauers ausgestellt werden wird. Zurab Cereteli, der aktiv für die Einhaltung seiner eigenen Autorenrechte kämpft, sollte bekannt sein, dass gemäß §138 des Zivilgesetzbuches der Russischen Föderation `die Nutzung von als Objekte ausschließlicher Rechte geltenden Individualisierungsmitteln Dritten nur mit Genehmigung des Rechtsinhabers erlaubt ist.`"40)
Nachdem Cereteli die Plastik über zwei Jahre `versteckt` gehalten hatte, kam es im April 2004 zu ihrer inszenierten Enthüllung durch die Medien. Cereteli behauptet, Journalisten hätten durch ein Fenster die in seinem Hof stehende Plastik heimlich fotografiert.41) Es ist aber auch nicht unwahrscheinlich, dass der Künstler selbst die Medien zur Preisgabe seiner „Sensation“ zuvor auf diese aufmerksam gemacht hatte. Am 21. April 2004 titelte die „Komsomol`skaja Pravda“ mit der Schlagzeile „VVP wurde zum Denkmal“42) und am selben Tag wurde die Bronzeskulptur in der Hauptnachrichtensendung „Heute“ des russischen Fernsehsenders NTV unter dem Titel „Vladimir Vladimirovič Putin im Judoanzug“ vorgestellt.43) Die darauffolgende oben zitierte Reaktion des Kremls führte dazu, dass der Künstler seine Taktik änderte und behauptete, bei der „allegorischen Skulptur `In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist`“ handele es sich nicht um eine bestimmte Persönlichkeit und es solle kein Bild eines bestimmten Menschen dargestellt werden44). Zuvor hatte er geäußert:
"Alle talentierten Künstler arbeiteten nach dem Gedächtnis, studierten die Natur. Verrocchio, Donatello, Michelangelo – so arbeiteten alle Künstler, denen ich nachfolgen wollte. Sie versuchten, den inneren Charakter des Menschen wiederzugeben, ein Bild zu schaffen, welches das persönliche Wesen einer Person widerspiegelt. [...] Ich gehöre zu den Künstlern, die, wenn ihnen ein Bild bzw. ein Mensch gefällt, diesen in die Sprache der Plastik überführen können. [...] So habe ich 1968 de Gaulle getroffen und daraufhin seine Skulptur geschaffen [...] und ich traf Putin und entschloss mich, sein Bild wiederzugeben."45)
Es ist offensichtlich, dass Cereteli an dieser Stelle aus einer völlig anachronistischen Rückprojektion sein eigenes Schaffen aus der Kunstgeschichte heraus zu legitimieren sucht. In derartigen Aussagen spiegelt sich der Versuch, die Schau der menschlichen Seele im wahrhaften Porträt anzupreisen. Heute hingegen betont der Bildhauer dezidiert, er habe nicht das Bild des Präsidenten gestaltet, sondern eine Allegorie für die sprichwörtliche Behauptung „In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist.“46) Die Zurückweisung durch den Kreml ignorierte er nicht nur, sondern er widersprach ihr geradezu. Auf die Frage, was Putin zu dem Standbild gesagt habe, zögerte er und antwortete, der Präsident habe eine Fotografie der Bronze gesehen und daraufhin Cereteli bestätigt: „Du hättest das gar nicht schlecht machen können!“47)
Warum Putin es duldet oder sogar unterstützt, dass das Hofporträt Nikas Safronovs in zahlreichen Vervielfältigungen in den Büros der Kremladministration die Stelle der ehemaligen Stalinporträts einnimmt, allerdings eine Aufstellung der Präsidentenstatue im öffentlichen Raum offiziell untersagt wurde, hat seinen Grund in der allzu augenscheinlich auf den Stalinkult rekurrierenden Darstellungsweise. Die Ablehnung, auf welche das Standbild von Seiten des Kremls stieß, beruht offensichtlich nicht auf der Ikonographie der Porträtfigur, sondern auf dem Typus der neostalinistisch anmutenden Bronzestatue. Die Errichtung einer monumentalen Putinstatue im öffentlichen Raum würde sofort globale Aufmerksamkeit auslösen und heftige Diskussionen um einen neuen Personenkult entzünden – in einem Land, das sich formal als Demokratie bezeichnet. Gelfert nennt es einen breiten Konsens, dass „Monumentalität in der Demokratie mit Notwendigkeit Kitsch werden muss.“48) Bereits im Stalinismus hatte „Unredlichkeit“ dazu geführt, dass monumentale Werke zu Kitsch geronnen, da in ihnen
"eben nicht die Größe Gottes oder eines von Gott eingesetzten Herrschers aus[gedrückt wurde], sondern die Erhöhung eines Sterblichen entgegen der gepredigten Gleichheitsideologie."49)
Wenn Cereteli vielleicht ursprünglich auch `Größeres` mit seiner Monumentalplastik vorhatte, so hat er doch eines seiner Ziele erreicht:
"Ich schaffe ein Bild des Präsidenten. Wenn dieses glückt, werde ich es im Museum aufstellen, damit verschiedene Generationen die Weisheit beschauen können, welche ich im Bild wiedergeben wollte."50)