Hannah Arendt ist von der neuen Bundeshauptstadt in die alte gewandert, genauer: die Ausstellung "Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert" vom Deutschen Historischen Museum in Berlin, wo sie von März bis Oktober 2020 zu sehen war, in die Bundeskunsthalle in Bonn, wo sie seit März des Jahres und noch bis zum 16. Mai besucht werden kann. Die L.I.S.A.Redaktion hat das kurze Zeitfenster, in dem Museen wieder öffnen durften, genutzt, um nach Bonn zu fahren und Hannah Arendt als Ausstellungsobjekt zu erfahren. Die vielen Eindrücke, die wir gesammelt haben, führten uns wiederum zu Fragen, die wir daraufhin der Kuratorin der Ausstellung, Dr. Monika Boll, gestellt haben.
"Wir wollten zunächst einmal diese Lust am politischen Urteilen vermitteln"
L.I.S.A.: Frau Dr. Boll, Sie haben eine Ausstellung kuratiert, die bereits im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu besuchen war und derzeit in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen ist: Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert, so der Titel. Als Sie begannen sich mit der Ausstellung zu beschäftigen, welche Vorüberlegungen leiteten Sie da? Weiß man als Kurator bzw. Kuratorin gleich, worauf man hinaus möchte oder ergibt sich das erst im Verlauf der Beschäftigung mit einem konkreten Sujet? Was wollten Sie vor allem vermitteln?
Dr. Boll: Gleich zu Beginn der Ausstellung in Bonn sieht man einen kurzen Interviewausschnitt, in dem Arendt vom „Wagnis der Öffentlichkeit“ spricht. Das Zitat kann man auch als Motto und Ausgangsidee der Ausstellung bezeichnen. Arendt spricht dort von dem Wagnis, das darin bestehe, sich im Licht der Öffentlichkeit als Person zu exponieren. Sie selber hat dieses Wagnis nie gescheut. Bei all ihren politischen Einlassungen ist immer erfahrbar, dass hier jemand als Person auf eigene Rechnung urteilt. Arendt berief sich auf keine philosophische Schule, kein Programm und keine Tradition. Das macht die Einordnung ihres Denkens bis heute schwierig und zugleich interessant: War sie eine Linke? Eine Liberale? Eine Konservative? Wir wollten zunächst einmal diese Lust am politischen Urteilen vermitteln.
Mit dieser Idee entstanden dann das Konzept und die Bearbeitung der verschiedenen politischen Themen, zu denen Arendt öffentlich Stellung bezogen hat. Bei der genaueren Recherche ergibt es sich dann manchmal, dass sich Punkte schließlich darstellerisch nicht umsetzen lassen, weil sich dazu einfach keine passenden Objekte finden lassen. Andererseits tun sich während der Recherche auch neue Aspekte auf. Auf diese Art kam die amerikanische Debatte um das Theaterstück „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth dazu. Die Kritik an Hochhuth, er entlaste die Nazis mit seinem Angriff auf den Papst, erinnerte Arendt allzu sehr an die Einwände gegen ihr Eichmannbuch. Deshalb beschloss sie, sich in die Debatte einzumischen. Ich fand dann dazu etwa das Gespräch zwischen ihr und dem jungen Hochhuth, das von einem New Yorker Fernsehsender ausgestrahlt worden war.
Historische Film- und Audioaufnahmen sind neben anderen Objekten ein wichtiges Element in der Schau in Bonn. Die ca. 300 Objekte der Ausstellung haben wir in den USA, Israel, Frankreich, Österreich und Deutschland recherchiert. Von den Briefen, Urkunden, Fotografien stammen viele aus dem Hannah Arendt Bluecher Literary Trust in Washington. Von Dr. Edna Brocke, einer Großnichte Arendts, erhielten wir Dinge aus dem persönlichen Besitz. Schmuck, ein elegantes Pelzcape, und ihre Aktentasche mit Monogramm H.A.B, das für Hannah Arendt Blücher steht. Arendt trug in den USA offenbar den Doppelnamen ihres zweiten Ehemanns Heinrich Blücher.
Und ganz viele der zeithistorischen Objekte kommen aus der Sammlung des Deutschen Historischen Museums.
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