Transparenz und Open Science sind in der Wissenschaftslandschaft vor dem Hintergrund aktueller Debatten um Wissenschaftsskepsis gewichtige Schlagworte – auch und zunehmend in den Geisteswissenschaften. Das Offenlegen und Transparentmachen von Arbeitsprozessen, Methoden und Quellen gibt Einblick, wie geisteswissenschaftliche Tatsachen konstruiert werden. Die Wissenschaftshistorikerin Dr. Verena Lehmbrock hat fünf Arbeitstagebücher veröffentlicht, die sie während ihres Dissertationsvorhabens verfasst hat. Im Interview spricht sie über ihre Beweggründe, über die Vor- und Nachteile des Analogen und darüber, was die Arbeitstagebücher über Scheitern und Inspiration verraten.
"Solche Spuren wären in einem digitalen Dokument weniger greifbar"
L.I.S.A.: Frau Dr. Lehmbrock, Sie sind Wissenschaftshistorikerin an der Universität Erfurt und forschen u.a. zur Geschichte der der Psychologie. In Ihrer Dissertation haben Sie sich zudem mit der Wissensgeschichte der Landwirtschaft beschäftigt. Im Zuge dieser Arbeit haben Sie Tagebuch geführt und insgesamt fünf Bände gefüllt. Vor kurzem haben Sie entschieden, diese öffentlich auf der Plattform Academia.edu zugänglich zu machen. Wie kam es zu der Idee?
Dr. Lehmbrock: Auf die Idee hat mich ein befreundeter Künstler gebracht, der sich im Rahmen von artistic research für Momente des Scheiterns und des ‚Abfalls‘ in schöpferischen Prozessen interessiert. Ich habe mir die fünf Tagebücher noch einmal angesehen und festgestellt, dass sie sich als Quelle für diese Art von Projekten eignen könnten. Außerdem sah ich erstmals auch eine ästhetische Komponente: Manche Seiten sind ziemlich bunt, weil ich mit verschiedenen Farben geschrieben habe, und ich hatte die Marotte, möglichst klein zu schreiben. Schichten des Arbeitens sind zu erkennen, zum Beispiel dass Einträge, die im weiteren Prozess wichtig wurden, mit Markern umrandet und Sternen versehen sind oder dass ich versuchte, einige durch Wasserschäden verlorenen Einträge wiederherzustellen. Solche Spuren wären in einem digitalen Dokument weniger greifbar.