Seit Mitte Dezember bekannt wurde, dass die deutsche Bundesregierung Steuervergünstigungen für landwirtschaftliche Betriebe streichen will, demonstrieren landauf landab Landwirtinnen und Landwirte gegen die beschlossenen Maßnahmen, blockieren Straßen und Autobahnen, auch Häfen und Logistikzentren. Erstmals, so Rolf G. Heinze von der Ruhr-Universität-Bochum, erfuhren die Bauernproteste auch über den Agrarbereich hinaus Solidarität; von politischen Parteien, von anderen Berufsgruppen, sogar Fridays for Future-Aktivisten. Mit dem Soziologen haben wir über einigende Motive, fragmentierte Interessen und die Geschichte des Bauernprotests gesprochen.
"Die Zukunftsangst ist groß"
L.I.S.A.: Die Proteste von Bäuerinnen und Bauern haben in Deutschland zuletzt viele Gemüter erhitzt. Ganz so neu ist die Aufregung allerdings nicht. Die letzte Protestwelle rollte im Herbst 2019 durchs Land, erreichte aber nicht dieselbe mediale Öffentlichkeit wie gerade. Warum erfahren die Proteste derzeit so viel Aufmerksamkeit? Hat sich die Rezeption von Bauernprotesten verändert?
Prof. Heinze: Die aktuellen Bauernproteste haben insofern eine neue Qualität, dass sie alle Sparten der Landwirtschaft einbeziehen und zudem sich weitere Berufsgruppen im ländlichen Raum daran beteiligen (Handwerker, Speditionsunternehmen etc.). Zudem ist die Akzeptanz in der Bevölkerung hoch. Hier zeigt sich eine gesellschaftliche Soldarisierung, die mit der generellen Unzufriedenheit mit der Bundesregierung zusammenhängt. Die bisher in der Historie eher branchenisolierten Bauernproteste in Deutschland erfahren erstmals über den Agrarbereich hinaus gesellschaftliche Solidarität.