Die ersten Mönche, die das Kloster von Keur Moussa 1963 im Senegal gegründet haben, kamen aus dem französischen Kloster Solesmes, das sich durch die Wiederbelebung der Tradition des gregorianischen Gesangs auszeichnete. Im Sinne des II. Vatikanischen Konzils haben die benediktinischen Mönche versucht, die Musik an die afrikanischen Gegebenheiten anzupassen und die afrikanische Stegharfe - die Kora - als liturgisches Instrument eingeführt. Aus dem westafrikanischen Instrument der Griots, das in erster Linie von Männern bestimmter Musikerfamilien erlernt werden konnte, wurde in den Händen der Mönche von Keur Moussa, nach langjährigen Experimenten, ein international gespieltes Instrument, das Männern wie Frauen zu Verfügung steht und heute sowohl für weltliche als auch für liturgische Musik in ganz Westafrika genutzt wird. Aus dem Instrument der Mandinka wurde ein Instrument mit chromatischer Tonleiter, dass in Keur Moussa hergestellt und weltweit verkauft wird.
Es ging uns in diesem Forschungsprojekt darum zu untersuchen, inwiefern die Suche nach Akkulturation an den afrikanischen Kontext dazu beigetragen hat, das Instrument der Kora über die Welt der Klöster hinaus bekannt zu machen und Frauen die Möglichkeit eröffnet hat, sich dieses von Männern gespielte Instrument anzueignen. Inwiefern hat die Eröffnung des Koraspiels für Frauen durch das Kloster Keur Moussa auch dazu beigetragen, weltlichen Frauen dieses Instrument zugänglicher zu machen, oder hat das rezente Auftreten weiblicher Koraspielerinnen im Globalen Norden Einfluss auf die Nonnen in Afrika?
Seit 1972 baut die Kora-Werkstatt in Keur Moussa immer ausgefeiltere Instrumente, die heute mit Gitarrenmechaniken ausgestattet sind. Sie sind unempfindlich gegen Feuchtigkeitsschwankungen und durch Halbtöne präzise und leicht. Im Gegensatz zu traditionellen Koras sind die Instrumente von Keur Moussa schnell zu stimmen und stabiler in der Stimmung. Infolgedessen kaufen auch viele weltliche Musiker und Griots die Koras von Keur Moussa. Das Foto zeigt im Vordergrund eine traditionelle Kora mit Ringen aus Haut, die das Stimmen so schwierig und temperaturabhängig machen. Die Metallvorrichtungen für die Halbtöne, die die Hautringe ersetzen, werden in Frankreich hergestellt und in Keur Moussa montiert. Die Instrumente werden international verschickt. Die Liste der verkauften Koras zeigt, dass mehr Koras in andere afrikanische Länder verkauft wurden als im Senegal und noch mehr wurden nach Europa verkauft. Die Liturgie und die Kora von Keur Moussa haben einen internationalen Ruf erworben und sich weit über das Kloster und den Senegal hinaus verbreitet. Schon 1967 wurden die ersten Kassetten aufgenommen und ab 1980 CDs.
Die Kora ist ursprünglich ein Instrument aus dem senegambischen Gebiet, das in anderen westafrikanischen Ländern nicht in der gleichen Form zu finden ist. Die Übernahme der Kora in die Liturgie in Benin, Burkina Faso oder Togo ist daher nicht eine Form der Akkulturation an die lokale Kultur, sondern eher an eine vermeintliche afrikanische Authentizität. Die Ordensleute bestehen darauf, dass die Kora für sie zum monastischen Instrument par excellence geworden ist.
In diesem Sinne wäre das Instrument durch einen Transfer von der traditionellen Mandinkakultur in die Klosterkultur an die Ordenswelt angeglichen worden, was es ihm ermöglicht, geographische Grenzen mit Hilfe der klösterlichen Netzwerke zu überschreiten. Auf diese Weise wird die Kora auch nach Europa exportiert und in einigen französischen, italienischen, belgischen und ungarischen Klöster in den Gottesdiensten genutzt.
Der Transfer der Kora kehrt das stereotype Bild von Afrika als Empfänger und Europa als Geber um. Die Klostergemeinschaften in Europa oder Afrika nehmen jedoch die Liturgie von Keur Moussa nicht als Ganzes auf. Unsere Umfragen in Afrika zeigten, dass einige Töne der Psalmen, die Wechselgesänge oder andere Elemente übernommen werden und dass diese Liturgie in erster Linie eine Quelle der Inspiration ist. Das Spiel der Kora wird an gregorianischen Gesang angepasst, wie z.B. im Kloster Jouques bei Aix-en-Provence oder an den dreistimmigen Gesang der Diakonissen von Reuilly. In diesen Gemeinschaften wird die Einführung der Kora manchmal zu einer Probe zwischen verschiedenen Generationen von Schwestern oder Nonnen mit unterschiedlichen Musik- und Liturgieauffassungen. Die Einführung der Kora ist ein Ort des Aushandelns, wo liturgische Vorstellungen über den Rhythmus der Psalmen und gesellschaftliche über den Platz der Generationen und der afrikanischen Neugründungen aufeinander stoßen. Die Kora ist für diese Gemeinschaften ebenfalls Symbol der Solidarität mit Afrika oder eines vermeintlich traditionellen Instrumentes, obwohl es in vielen afrikanischen Ländern in denen es heute gespielt wird nicht heimisch war. Es scheint, dass Frauengemeinschaften in Europa und Afrika die Kora häufiger einführen als ihre männlichen Kollegen. Dagegen gibt es außerhalb des Klosters nur wenige Frauen, die Kora spielen.
Um der Frage nachzugehen, inwiefern der Griff der Frauen nach der Kora auch weitere gesellschaftliche Umbrüche oder zumindest veränderte genderbasierte Rollenverständnisse symbolisiert, müssen wir uns das vormalige männliche Privileg beim Spiel der Kora ansehen. Entgegen weitverbreiteten Behauptungen – z.B. auf Wikipedia – stammt die Kora mit großer Sicherheit nicht aus dem alten Mali, sondern wird von den meisten oralen Traditionen – also von den Griots selbst - mit dem Reich Kaabu in Verbindung gebracht.
Kaabu war zunächst eine Provinz Malis, existierte nach dessen Zerfall dann unabhängig vom 17. bis zum 19. Jahrhundert im Bereich des heutigen Guinea-Bissau, der Casamance und Gambias. Widersprüchliche Versionen der Ursprungserzählungen der Kora sind in der Literatur gut dokumentiert. In einem sind sich die verschiedenen Autoren einig: Frauen spielen keine Kora. Die klassische Aufgabenteilung zwischen Männern, die Instrumente spielten (das Xylophon Balafon, die Stegharfe Kora, die Spießlaute Kontingo, etc.), und Frauen, die hauptsächlich sangen, wurde in Bezug auf die Kora immer wieder mit dem Sprichwort begründet: wenn eine Frau Kora spielt, zerbricht die Kalebasse. Es stellt sich nun die Frage, warum dieses „Tabu“ – so einige unserer Gesprächspartner -, dass Frauen nicht Kora spielen dürften, im letzten Jahrzehnt nun auch öffentlich gebrochen wird?
Wenn man den Fragen nachgeht, ob koraspielende Nonnen als Inspiration für weltliche Koraspielerinnen gedient haben und inwiefern das katholische Konzept der Akkulturation an den afrikanischen Kontext dazu beigetragen hat, sozusagen als Nebeneffekt, Frauen die Möglichkeit zu eröffnen, sich die bisher von Männern gespielte Kora anzueignen, so erkennt man, dass dieses Thema nicht nur unser wissenschaftliches Interesse geweckt hat, sondern dass es auch in anderen Gesellschaftsbereichen aufgegriffen wird. In romantischer Version ist dieses Thema von der senegalesischen Filmemacherin Angèle Diabang verfilmt worden. Sie erzählt wie eine junge muslimische Frau im Kloster Keur Moussa die Kora erlernt, gegen den Willen ihrer Familie, die es ihr als Frau verbietet dieses Instrument zu erlernen und wie sie sich dabei in den koraspielenden Mönch, ihren Lehrer, verliebt.
Unsere Umfragen haben gezeigt, dass der Einfluss der Mönche auf die Instrumentenwahl von Frauen oder Mädchen sich bisher auf das katholische Milieu, z.B. Kirchenchöre im Senegal und andere Klöster in Westafrika beschränkt und bislang nur wenige Menschen jenseits der Netzwerke der Klöster und derjenigen der Griots und anderer Musikerinnen und Musiker, die Koras aus Keur Moussa spielen, erreicht. Auf unsere Nachfragen nach Vorbildern für koraspielende Frauen oder Mädchen wurde immer wieder Sona Jobarteh genannt.
Sona Jobarteh ist in Großbritannien aufgewachsen, als Tochter einer Britin und eines gambischen Koraspielers. Ihr Großvater war der international berühmte Koraspieler Amadou Bansang Jobarteh, bei dem sie das Spiel der Kora nach autodidaktischen Anfängen vertieft hatte. Sie hat 2015 die Gambia Academy gegründet. In dieser weiterführenden Schule können Schüler und Schülerinnen unabhängig von ihrer Herkunft aus einer Griot- oder Mandikafamilie das Koraspiel erlernen. Sona Jobarteh spielt selbst – aus Respekt vor der Tradition – nicht auf Hochzeiten, Namensgebungszeremonien (kunglewo) oder ähnlichen Kontexten traditioneller Griotauftritte. Sie habe die, wie sie selbst sagte, „säkulare“ Bühne gewählt, um als Koraspielerin zu reüssieren. Die Liberalisierungen beim Erlernen der Kora müssen in einem breiteren Kontext betrachtet werden, d.h. im Zusammenhang mit gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, die Frauen und Männern aus Nicht-Griot Familien es ermöglichen, Kora zu spielen, ohne in soziale Isolation zu geraten oder auf Ablehnung zu stoßen.
Der Blick unserer Untersuchung war auf die Situation der Frauenklöster gerichtet, weil so viele die Kora und die Liturgie von Keur Moussa aufgenommen haben und auf Koraspielerinnen in der Weltmusikszene, weil diese so selten sind, aber es erscheint offensichtlich, dass der Blick auf ein Geschlecht nicht ausreicht, weil sich notwendigerweise immer die Dynamik der Geschlechterbeziehungen und die Gesellschaft als Ganzes mit verändern. Während die Mönche von Keur Moussa durch die Nutzung der Kora in ihren Gottesdiensten und vor allem durch die Herstellung und den Verkauf der modernen Kora das Instrument weit über ihre Herkunftsgebiet der Mandé-Regionen Westafrikas hinaus verbreitet haben, ist es den Griots, die die Kora als Musiker auf die Bühnen der Welt brachten und sie so popularisierten und schließlich Sona Jobarteh zu verdanken, dass nun auch Frauen als Koraspielerinnen auf den Bühnen zu sehen sind. Nicht nur die klösterlichen Koranetzwerke sind transnational, auch die weltlichen Koraspielernetzwerke erstrecken sich weit über die Grenzen Westafrikas und folgen den Verbindungen der Diaspora. Europäische und nordamerikanische Frauen werden zusehends im Koraspiel unterrichtet – sowohl in der Diaspora als auch in Westafrika. Das Koraspiel in transnationaler Perspektive, sowohl im Kloster als auch in der Welt, zu untersuchen ist ein Bereich, anhand dessen die Dynamik der Geschlechterrollen innerhalb der katholischen Kirche und der World Music beobachtet werden kann. Es scheint, als seien hier allgemeine Veränderungen der Geschlechterverhältnisse in zwei parallellaufenden Domänen der Gesellschaft zu beobachten.
Wir danken der Mariann Steegmann Stiftung für ihre freundliche und großzügige Unterstützung.
Katrin Langewiesche,
Email: langewie@uni-mainz.de
Hauke Dorsch,
Email: dorschh@uni-mainz.de
Isabelle Jonveaux
Email: isabellejonveaux@yahoo.fr