L.I.S.A.: Was könnte und sollte auf europäischer Ebene geschehen?
Prof. Bade: Das herkömmliche europäische Asylrecht mit dem Dublin-System, nach dem die Erstzugangsländer auch die Asylverfahren abzuwickeln haben, ist in der Praxis weitgehend zusammengebrochen. Das sieht auch die Kanzlerin so. Dieses System hing im Grunde von Beginn an deswegen schief, weil es auf Kosten der Grenzstaaten funktionierte und auf Druck der großen Staaten in der Mitte Europas vereinbart wurde, bevor noch die entsprechenden Voraussetzungen in den Staaten an den Schengen-Grenzen geschaffen waren.
Wir brauchen ein neues europäisches Asylrecht mit festen Aufnahmequoten, das mithilfe einer europäischen Asylagentur verwaltet werden sollte, die nicht als Steuerungsinstrument, sondern als Servicezentrum für die Mitgliedsstaaten funktioniert. Dann könnten sich Flüchtlinge sogar ihr Zielland aussuchen, zum Beispiel über eine Prioritätenliste mit maximal drei Plätzen. Nehmen wir an, sie würden über die zentrale Agentur, die sich mit den genannten Mitgliedsstaaten rückgekoppelt hat, erfahren, dass die Quoten der beiden erstgenannten Länder erschöpft seien und dass nur das dritte genannte Land noch infrage käme. Würde dieses Angebot nicht angenommen oder wäre die Quote dieses Landes ebenfalls schon erschöpft, dann müssten sich die Flüchtlinge damit abfinden, ohne weitere Berücksichtigung ihrer Wünsche in EU-Europa verteilt zu werden. Auch dabei könnten im Rahmen des Möglichen noch humanitäre Belange, zum Beispiel Fragen der Familienzusammenführung, Berücksichtigung finden.
Das alles setzt aber voraus, dass es in Europa annähernd vergleichbare Standards bei den Asylverfahren und bei der Unterbringung von Flüchtlingen gibt. Erst auf dieser Grundlage kann es eine Einigung über Quoten geben, denn es macht ja keinen Sinn, zum Beispiel in der derzeitigen Situation, in der etwa Griechenland und Italien mit der Flüchtlingsaufnahme vollkommen überfordert sind, diesen Ländern über Quoten größere Zahlen von Flüchtlingen zuzuweisen, für deren Aufnahme dort die Voraussetzungen fehlen.
Das Bemühen um eine immer bessere Organisation der Flüchtlingsaufnahme in Europa ändert aber nichts an den Ursachen der Fluchtbewegungen und zäumt das Pferd im Grunde vom Schwanz her auf. Es bringt ja wenig, die defensive Verwaltung der Folgen zu verbessern, wenn die wanderungstreibenden Ursachen immer schubkräftiger werden.
Und Europa kümmert sich, allen politischen Sonntagsreden zum Trotz, fast gar nicht um die Bekämpfung der Fluchtursachen. Es setzt vor allem weiterhin und noch verstärkt auf die Abwehr von Flüchtlingen, die seit 1990 schon mehr als 30.000 und 2014 allein 3.500 Tote im Mittelmeer gekostet hat, nicht zu reden von denen, die auf dem Weg dahin umgekommen sind. Hierzu läuft jetzt, auch auf Druck aus Deutschland hin, die immer schärfere Abriegelung der „Festung Europa“ an und auch weit vor ihren Grenzen:
Das gilt erstens für den hektischen Aufbau der ‘Hot Spots’ genannten Auffanglager mit Registrier- und Verteilerzentren an den europäischen Schengen-Grenzen. Es nützt aber doch nichts, grenznahe Zentren zur europaweiten Verteilung von Flüchtlingen einzurichten, wenn die Länder, in die die Flüchtlinge verteilt werden sollen, dafür noch unzureichend eingerichtet sind oder gar die Aufnahme verweigern.
Es gilt zweitens für die sogenannte Externalisierung der Grenzverteidigung durch den Auf- und Ausbau von „Transitzentren” genannten Auffanglagern mit Asylschleusen in der Nähe der Ausgangsräume von Fluchtwanderungen. Dort sollen in Schnellverfahren Asylsuchende mit möglichen Bleibeperspektiven ausgesondert, sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge auf andere Möglichkeiten der Zuwanderung hingewiesen und die mit Sicherheit meisten anderen irgendwie wieder zurückgeschickt werden sollen. Das wird nicht funktionieren, weil die sich dann wieder den Schleppern anvertrauen werden, deren Bekämpfung im Mittelmeer auch nur ein populistisches Schauspiel ohne reale Chance ist.
Und es gilt drittens sogar für Vereinbarungen mit fluchttreibenden Despotenregimen wie zum Beispiel im Sudan und Eritrea. Sie sollen gegen entsprechende Forderungen und Investitionen, zum Beispiel in ihre Grenzsicherungssysteme, sowie durch Beratung und nötigenfalls auch Training ihrer Sicherheitsorgane dazu gebracht werden, Menschen, die vor ihnen selbst oder durch ihre Territorien fliehen wollen, an ihrer Flucht in Richtung Europa zu hindern. Der tote Flüchtlingshändler Gaddafi lässt grüßen. Er war hier auf furchtbare Weise seiner Zeit voraus.
Reaktionen auf den Beitrag
Kommentar