Die Zukunft des Staates Ukraine ist nach dem Sturz und der Ablösung der Regierung Janukowitsch, der Loslösung der Krim und den aktuellen Ereignissen im Osten des Landes ungewisser denn je. Doch auch die gegenwärtige Situation in der Ukraine ist alles andere als klar. Wie repäsentativ sind die Ereignisse in Kiew beziehungsweise auf dem Unabhängigkeitsplatz für das gesamte Land? Welche Rolle spielen rechtsextremistische Parteien und Gruppierungen in der neuen Regierung? Welche Verantwortung haben der Westen und Russland für die gegenwärtige Krise? Und schließlich: Wie sehen die Perspektiven für eine neue Ukraine aus? Wir haben den Historiker Dr. Dmitrij Belkin gefragt, der in der Ukraine geboren und aufgewachsen ist. Er ist als Ausstellungsmacher und Publizist tätig und zurzeit Referent beim Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk - Jüdische Begabtenförderung in Berlin.
"Faschismus als Referenz spielt in unserer Diskussion eine Schlüsselrolle"
L.I.S.A.: Herr Dr. Belkin, Sie stammen aus der Ukraine, genauer aus der Millionenstadt Dnjepropetrovsk, und haben in Tübingen am Institut für Osteuropäische Geschichte studiert. Wie informieren Sie sich über den Konflikt in der Ukraine?
Dr. Belkin: Facebook, deutsche, russische, ukrainische, amerikanische, israelische, schweizerische Tagespresse - print und online, Telefonate mit Freund_Innen in der Ukraine und Gespräche mit Ukrainer_Innen und Russ_Innen in Deutschland. Diskussionen, durchaus auch kontroverse, mit meiner Frau, die in der Ukraine bestens vernetzt ist und die Ereignisse dort sehr persönlich und sehr engagiert verfolgt. Diesmal nur wenig tv: unser Fernsehgerät ist nach dem Umzug nach Berlin noch nicht wirklich angeschlossen.
L.I.S.A.: Wie erleben Sie die Berichterstattung in Deutschland?
Dr. Belkin: Verliebt in die Idee einer gerechten Volksrevolution: Tahrir Platz und Maidan als eine permanente virtuelle Gegenaussage zur eigenen gesicherten bürgerlichen Existenz. Faschismuszentriert: Ob russische Propaganda, Beschuldigungen der ukrainischen Revolutionäre als Nationalsozialisten oder die Kritik an Putin, dessen Aktivitäten auf der Krim und in Russland angeblich faschistische Wurzeln haben (Minister Wolfgang Schäuble und Historiker Timothy Snyder) -- Faschismus als Referenz spielt in unserer Diskussion eine Schlüsselrolle. Ganz im Stile der 1970er Jahre, die immer noch nicht vorbei zu sein scheinen. Ich denke z.B. an den satirischen Film von R.W. Fassbinder "Satansbraten" (1976), in dem der Hauptheld und seine Frau sich in einem Familienkonflikt gegenseitig beschuldigen: "Du bist'n Faschist!" - "Selber einer". So auch unsere Medien - nur angeblich ernst. Und noch ein Punkt: "Putinversteher" würde ich zum Unwort des Jahres erklären. Man betrachtet das in unseren Medien als ein endgültiges Urteil. Der ziemlich hässliche Begriff deutet aber meistens nur auf Eines hin, nämlich: Auf sehr große Komplexe dem autoritären Präsidenten Russlands gegenüber.
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Noch eine Anmerkungen: "Telefonate mit Freund_Innen in der Ukraine und Gespräche mit Ukrainer_Innen und Russ_Innen in Deutschland" - was für ein schreckliches Deutsch..., sogar regelrecht falsch, mit der Dativunterschlagung z. B.