Beim Krieg der deutschen Kolonialtruppen gegen Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika (1904-1908) geht man heute in der Forschung überwiegend von einem Genozid aus. So auch der Kultur- und Sozialwissenschaftler Dr. Matthias Häussler in seiner zuletzt erschienenen Dissertationsarbeit. Allerdings legt er dabei weniger den Fokus auf die Folgen des Krieges, sondern vielmehr auf seine Entstehung und vor allem seinen Verlauf. Misserfolge, verletzte Ehrgefühle und mehrere Zufälle seien letztlich entscheidend für die Entfesselung von exzessiver Gewalt gewesen, die aus dem Hererokrieg einen Genozid haben werden lassen. Wir haben Matthias Häussler dazu unsere Fragen gestellt.
"Im Unterschied zu vielen Darstellungen erzähle ich eine Geschichte des Scheiterns"
L.I.S.A.: Herr Dr. Häussler, Sie haben im Rahmen Ihrer Dissertation über die frühere deutsche Kolonie Deutsch-Südwestafrika, heute: Namibia, geforscht. Genauer: Über den sogenannten Hererokrieg von 1904 bis 1907, den Sie als Genozid bezeichnen. Bevor wir auf Details zu sprechen kommen, warum dieses Thema, zu dem schon mehrfach publiziert worden ist? Was machen Sie in Ihrer Studie anders?
Dr. Häussler: In der Einleitung zur „Phänomenologie des Geistes“ schreibt Hegel: „Das Bekannte ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt.“ Als ich begann, mich mit „Deutsch-Südwestafrika“ zu beschäftigen, gewann ich schnell den Eindruck, dass dieses Diktum auch auf dieses Thema und seine Aufarbeitung zutrifft. Als sich die Kriege zum hunderten Mal jährten, entstand eine nicht unbeträchtliche Zahl von Fallstudien. Deren vornehmliches Verdienst lag darin, die extreme Gewalt in dem ehemaligen deutschen „Schutzgebiet“ wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken – erschöpfend behandelt haben sie das Thema allerdings nicht. Im Gegenteil werfen die geläufigen Narrative meines Erachtens oft mehr Fragen auf, als sie beantworten. So fasste ich seinerzeit jedenfalls die nötige Zuversicht, noch einen Beitrag zu dieser Debatte leisten zu können. Und selbst nach Jahren der Forschung zeigt sich mir immer deutlicher, dass noch sehr viel Arbeit vor uns liegt.
Was ich anders mache? Ich habe gewiss nicht das Rad neu erfunden! Im Unterschied zu vielen herkömmlichen Darstellungen erzähle ich allerdings eine Geschichte des Scheiterns und gehe der Frage nach, was ein solches Scheitern im Lichte des unbedingten Überlegenheitsgefühls von Kolonialherren und Exponenten einer militärischen „Victory Culture“, wie sie das Wilhelminische Deutschland zweifellos darstellte, bedeutete und was es in Gang setzte. Heuristisch gehe ich dabei von einem komplexen System aus und versuche zu zeigen, dass die Entwicklung nicht so sehr von einer starken Zentrale, als von einer Vielzahl von Akteursgruppen und ihren Wechselwirkungen bestimmt war. Um es in einfachen Worten zu sagen: Der Zufall spielte eine weit wichtigere Rolle, als manch eine Darstellung glauben macht.
In Parenthese sei angemerkt, dass ich mit weiteren Autoren den Krieg anders datiere. Da die letzten Konzentrationslager erst 1908 geschlossen wurden, und die Konzentrationslager integraler Bestandteil der kriegerischen ‚Pazifizierung‘ Südwestafrikas waren, spricht vieles dafür, das Jahr 1908 als das Ende des Kriegszustandes anzusetzen – wobei das Ende des Kriegszustandes keineswegs mit einem Ende der Gewalt gleichzusetzen ist. Die ‚Selbstpazifizierung‘ der gewalttätigen kolonialen Gesellschaft ist nämlich nicht gelungen.
Da die Herero-Gruppen im nördlichen Zentralnamibia und die Nama- und Oorlam-Gruppen im Süden unabhängig voneinander operierten, ist außerdem von mindestens zwei verschiedenen Kriegen auszugehen.
Reaktionen auf den Beitrag
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Oberhäuptling des Volkes der Herero, Vekuii Rukoro vor 50 Jahren ....
Ach nein, gestern!
So viel dann zum Thema sensibler Umgang mit Sprache. Man stelle sich vor ein deutscher Vertreter hatte den gestrigen Prozessausgang ähnlich kommentiert.
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... Frage: wird das eigentlich von den Herero thematisiert? Genau dieser Satz sollte eigentlich diese ganze Diskussion als absurd entlarven. Es ist schlechterdings nicht möglich die Geschichte der Vergangenheit im Heute "wiedergutzumachen", zumindest nicht wenn die Betroffenen seit langer, langer Zeit unter der Erde liegen. Es ist ein sehr deutsches Konzept, bis zum heutigen Tag einer Erbschuldanahme über x Generationen nachzuhängen.
Aber Deutschland war ja schon immer das Land der Sonderwege und Extreme, oder mit Churchill: Die Deutschen liegen einem entweder zu Füßen oder sie halten einem das Messer an die Kehle.
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- Waren die Gulags, in die die Sowjets ganze Völker verschleppten Völkermord?
- Waren die Sowjetgreuels im Osten Deutschland Völkermord oder die Bombenangriffe der Allierten?
- War Vietnam ein Völkermord?
Wer ernsthaft dieses Vergleiche zieht kann nur zu einem Urteil kommen. Bei aller Grausamkeit muss es Kriterien geben, die "neutral" zutreffend sind. Wenn die Proklamation eines Offiziers, die nicht von der Regierung geteilt wird, der wichtigste Beweis ist, dann sieht es düster aus für die deutsche Historikerzunft.
Eines aber sollten Historiker in der Tat den Populisten überlassen - ein "bluttriefendes Dokument", wie das von Trotha als Kern ihrer Argumentation heranzuziehen. Das ist pure Emotionalisierung und hat mit Wissenschaft wenig zu tun.
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1.) Die Rede Trothas war sicherlich martialisch, aber im Duktus der Zeit auch nichts Besonders. Solle Reden können sie um 1900 wohl in allen Ländern finden. Richtig schreibt er, dass das ständige Erwähnen als "Beweis" für einen Völkermord grotesk ist.
2.) Trotha handelte NICHT im Einvernehmen mit Kaiser und Reichsregierung. Im Gegenteil – Berlin unterband die brutale Kriegsführung des Mannes, der dazu auch noch (berechtigt) in Ungnade fiel. Für einen Völkermord wäre eine offizielle politische Intention aber unabdingbar gewesen. Ansonsten bräuchte man nur einen Soldaten, der seine eigene Agenda hat, um jeden Krieg als Völkermord darzustellen. Das wäre absurd. Ilja Ehrenburg hat ähnliche Texte im WW 2 gegen die Deutschen verfasst.
3.) Ausdrücklich zustimmen kann man bei der These, dass es sich um ein Aufschaukeln im Militärischen handelte. Die Herero hatten den Deutschen herbe Verluste zugefügt und viele deutsche Siedler ermordet. Die war eine Katastrophe für die stolzen Militärs, die daraufhin in dieser unglaublichen Brutalität reagierten. Diese überstieg dann in der Tat jedes Maß.
Nach heutigen Maßstäben ist das Geschehene in seiner Brutalität sicherlich kaum fassbar. Aber ein Historiker sollte sich der historischen Wahrheit verpflichten und die damaligen Bedingungen in sein Urteil einfließen lassen. Das hat der Autor teilweise getan und dafür gebührt ihm Dank. Teilweise ist er aber auch wieder in die Haltung verfallen, das Geschehene mit einer heutigen Wertung zu belegen.