Der Vortrag setzt sich mit den Auswirkungen der militärischen Camouflage auf die Landschaft, die Landschaftsbetrachtung und den Landschaftsbegriff auseinander. Um 1915 gründeten die am Ersten Weltkrieg beteiligten Armeen eigene Camouflageabteilungen. Die Notwendigkeit zu Tarnungsmaßnahmen entstand aus den veränderten technischen Bedingungen des Ersten Weltkriegs: Kameras und Flugzeuge wurden für die Aufklärungsfliegerei eingesetzt. Im Ersten Weltkrieg wurde die komplette Front von Aufklärungsflugzeugen abgelichtet. Nach dem Prinzip des „mosaic mapping“ wurden die Fotografien in den Heereszentralen zu panoramatischen Darstellungen der Kriegslandschaft aneinander geklebt. Diese neue Überwachungstechnik ließ Sichtbarkeit zur Gefahr werden – Camouflage entwickelte sich als Gegenstrategie dazu.
Der Neologismus „Camouflage“, den die französische Armee prägte und den bald alle anderen Kriegsbeteiligten übernahmen, stand dabei für ein ganzes Arsenal an Tarnungs- und Täuschungsmaßnahmen. Dazu gehörte die Entwicklung verschiedenster Muster, fleckig und in erdigen Farbtönen oder geometrische Formen in kontrastierenden knalligen Farben, die vor allem für das Bemalen von Fahrzeugen, Panzern, Schiffen, Gebäuden und Geschossen verwendet wurden. Die Muster wurden mit dem Ziel konzipiert, die Konturen von Objekten visuell aufzulösen und diese damit flächig erscheinen zu lassen. Zusätzlich dazu wurden unterschiedlichste Attrappen hergestellt, die nicht nach dem Prinzip der visuellen Fragmentierung, sondern nach realistisch illusionistischen Prinzipien funktionierten. Mit falschen Bäumen, in denen sich Soldaten verstecken konnten, auf den Boden aufgemalten Gebäuden oder falschen Panzern wurde die Kriegslandschaft in Szene gesetzt. Vor allem für den Blick der von oben beobachtenden Piloten und die Betrachter der Luftfotografien wurde die Kriegslandschaft manipulierend umgestaltet – wie ein Bühnenbild oder ein Filmset. Diese Kriegslandschaft, die nicht das zeigte, was sie war, hatte ihrerseits eine veränderte Landschaftsbetrachtung und eine Interpretation ihre fotografischen Repräsentation unter veränderten Vorzeichen zur Folge. Durch die manipulierte Landschaft wurde auch die Fotografie, zur Zeit des Ersten Weltkrieges noch weitgehend unhinterfragt das Medium der Wirklichkeit und der Wahrheit, zum Medium der Auseinandersetzung mit einer zweifelhaften und existentiell bedrohlichen Realität der doppelten Böden.
Welches veränderte Bild der Kriegslandschaft entsteht in diesem Zusammenhang aus manipulierender Gestaltung und minutiöser Spurensuche beim „Lesen“ der Fotografien? Dieser Frage will der Vortrag „Maskierte Landschaft – Camouflage und Luftfotografie im Ersten Weltkrieg“ nachgehen.
Hannah Wiemer studierte an der Freien Universität Berlin und an der Istanbul Üniversitesi Theaterwissenschaft und Spanische Philologie. Neben dem Studium arbeitete sie am Theater Ballhaus Naunynstraße als freie Mitarbeiterin in den Bereichen Festivalmanagement, Öffentlichkeitsarbeit, Filmkuration und als Regieassistentin. Seit Januar 2014 ist sie Promotionsstipendiatin am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL). Sie promoviert in Theaterwissenschaft an der FU Berlin unter dem Arbeitstitel „Camouflage – Landschaftslektüren zwischen Theater, Kunst und Krieg“. Der geplante Vortrag gibt einen Einblick in ihre aktuelle Forschung