Camouflage - Irreführung, Täuschung, Tarnung lauten gängige Übersetzungen, und mit „Camouflage im Kunstbetrieb“ würde man zu allererst Fälschungen assoziieren. In diesem Konferenzbeitrag soll es aber über ein weniger beachtetes Phänomen gehen: Um Hochstapler, die Techniken der Tarnung und Täuschung anwenden, um durch die Annahme einer falschen Identität in Milieus des Kunstmarktes einzudringen.
Erstens soll erörtert werden, ob der glamouröse Typus des „Felix-Krull“-Hochstaplers, wie man ihn aus Zeiten der Weimarer Republik kennt, noch heute relevant ist, oder durch andere Figuren ersetzt wurde. Ist der Hochstapler eine aussterbende Spezies, deren sozioökonomische Entstehungsbedingungen längst verschwunden sind? „Er erscheint als eine Art Zitat, Hochstapeleien sind Performances mit Retrocharakter.“1 Der klassische Hochstapler, wie er beispielsweise in der Weimarer Republik als „Zeittypus par excellance“2 aufgetreten sei, war wichtig gewesen, um die Überholtheit und Absurdität einer autoritären Gesellschaftsordnung zu verdeutlichen, um zu zeigen, dass herkömmliche Identitäten in Auflösung begriffen seien. Heute sind diese Veränderungen längst Geschichte. Dennoch lohnt es sich, die Frage zu untersuchen: Welche Hochstapler- und Betrügertypen (Fälscher ausgenommen) kennt der heutige Kunstbetrieb? Dazu einige Fallbeispiele aus den letzten Jahren.
Zweitens geht es um die Frage, ob der Kunstmarkt - im Vergleich zu anderen Branchen und Märkten - eine besondere Anfälligkeit für Hochstapler aufweist. Der Autor diskutiert die These, dass diese Anfälligkeit gegeben ist und in der Natur des modernen und zeitgenössischen Kunstbetriebes begründet liegt. Denn: Am Kunstmarkt wird heute vor allem mit Sozialprestige gehandelt. Wer heute Kunstverständnis zeigt, der beherrscht eine Art Lingua Franca, über den man schnell Zugang zu interessanten Kreisen auf der ganzen Welt erhält. Mit dem Kunstkauf lässt sich die Zugehörigkeit zu einer exklusiven Gruppe, zu einer Elite des Geldes und des Geschmacks erkaufen. Daher liegt der Fokus in diesem Konferenzbeitrag auf der Nachfrageseite des Kunstmarktes. Statt über fälschende und hochstapelnde Produzenten zu sprechen, sollen mögliche hochstaplerische Motive des Kunstkäufers und -sammlers untersucht werden. Ziel des Hochstaplers war (und es ist) stets, in ein höheres Milieu aufzusteigen, beim sozialen Aufstieg durch Bluff eine Abkürzung zu nehmen. Die oberen Milieus schotten sich allerdings gegen Aufsteiger und Parvenüs ab, etwa durch feine, kaum sichtbare Regeln und Codes, durch Sprache, Stilempfinden, Mode. Daher muss der Hochstapler diese Regeln intuitiv erkennen, er muss sofort antizipieren können, muss „die Regeln beherrschen, ohne sie zu kennen“, wie es der überführte Hochstapler Gert Postel ausdrückte.3 In der Gegenwartskunst trifft der Hochstapler auf ein Umfeld, in dem diese Regeln den massgeblichen Kunst-Milieus fast ebenso unbekannt sind wie dem Newcomer, da sie sich ständig ändern können (und nachvollziehbare Qualitäts- und Kompetenzmaßstäbe nicht mehr vorhanden sind). Sind dies nicht ideale Bedingungen für Hochstapler?
1 Stephan Porombka, „Über die Notwendigkeit, die Hochstapelei auf höchstem Niveau flachzulegen“ in: Wieland Schwanebeck (Hg.), Über Hochstapelei. Perspektiven auf eine kulturelle Praxis, Berlin 2014.
2 Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, Bd. 2, Frankfurt 1983, S. 850.
3 Zitiert nach Sonja Veelen, Hochstapler. Wie sie uns täuschen, Marburg 2012, S. 209.
Dr. phil. Christian Saehrendt, geb. 1968 in Kassel, freiberuflicher Historiker und Kunsthistoriker, publiziert in den Themenfeldern Kunstsoziologie, „Kunst und Politik“ und der neueren Kunstgeschichte. Er schrieb u. a.: „Das kann ich auch! Gebrauchsanweisung für moderne Kunst“ und „Geier am Grabe van Goghs. Hässliche Geschichten aus der Welt der Schönen Künste“ (beide zusammen mit Steen T. Kittl, DuMont Köln, 2013 und 2010, sowie: „Alles Bluff. Wie wir zu Hochstaplern werden, ohne es zu wollen. Oder vielleicht doch?“ (mit Steen T. Kittl), Heyne München 2011.