Der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York sind nach wie vor Gegenstand von verschiedenen Narrativen - wissenschaftlichen, literarischen und pop-kulturellen aller Art. Letztere begannen gleich nach den Anschlägen, als Kulturkommentatoren versuchten, das unbegreifliche Geschehen in Worte zu fassen und zu rationalisieren, was nicht immer zu gelingen schien und hier und dort für Verstörung oder gar Empörung sorgte. So hatte beispielsweise der Komponist Karlheinz Stockhausen knapp eine Woche nach den Attentaten diese als das "größte Kunstwerk", das es je gegeben habe, bezeichnet. Auch die deutschsprachige Literatur setzte sich schon früh und bis heute mit 9/11 auseinander. Der Germanist und Politikwissenschaftler Dr. Jesko Bender hat sich die literarischen Narrative genau angeschaut und dabei Terror als Diskurs- und Textphänomen untersucht. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Die Frage, wie Terror erzählt werden kann"
L.I.S.A.: Herr Dr. Bender, Sie haben ein Buch mit dem Titel „9/11 erzählen. Terror als Diskurs- und Textphänomen“ geschrieben. Bevor wir ins Detail gehen - was hat Sie zu dieser Studie bewogen? Welche Ausgangsbeobachtungen lagen ihr zugrunde?
Dr. Bender: Ausgangspunkt waren zunächst einmal zwei Beobachtungen, für die man noch nicht einmal in die Tiefe literaturwissenschaftlicher Auseinandersetzungen gehen muss: Zum einen, dass ich es bemerkenswert fand, wie viele deutschsprachige Texte sich an 9/11 abarbeiten, dieses Ereignis also gewissermaßen in einen deutschen Kontext einschreiben. Und zweitens, dass sie dabei allesamt einer eigentlich naheliegenden (vielleicht zu naheliegenden) Versuchung widerstehen: Den Terror von 9/11 mit dem Terror der RAF zu verknüpfen. Die zweite Beobachtung finde ich insofern wichtig, weil sich daran zeigt, dass es den Texten nicht so sehr um eine inhaltliche Auseinandersetzung (im Sinne einer erzählten Geschichte, also dem, was man narratologisch alshistoire bezeichnet), geht, sondern um eine diskursive Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Terrors. Etwas plakativ zusammengefasst: Spannend sind die Texte, weil sie die Frage aufwerfen, wie Terror erzählt werden kann. Und um sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, muss man die vermeintlich inhaltliche Linie zwischen RAF und 9/11 (beides ist ja als Terror gelabelt), gar nicht aufmachen. Es heißt ja im politischen Diskurs immer wieder, Terror sei das Ende der Kommunikation. Dass Terror aber eine unglaubliche Masse an Kommunikation erzeugt, das beweisen nicht zuletzt die literarischen Texte.