Bis heute interessieren sich Forscherinnen und Forscher für die Hexenverfolgung der Frühen Neuzeit, die auch in die Populärkultur längst Eingang gefunden hat. Wenig bekannt ist dennoch die Tatsache, dass die Verfolgung ein Phänomen war, das sich zum Beispiel regional unterschied: Nicht immer ging die Verfolgung der vermeintlichen Hexen und Hexer allein von Obrigkeiten aus und nicht immer folgte auf eine Bezichtigung als Hexe auch ein Prozess. Dr. Sarah Masiak, ehemalige Promotionsstipendiatin der Gerda Henkel Stiftung, hat sich daher aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive konkret mit der Hexenverfolgung im Hochstift Paderborn beschäftigt. Dabei konnte sie unter anderem herausfinden, dass es fast immer dieselben Familien waren, die der Hexerei bezichtigt wurden. Außerdem gehörten die sogenannten "Teufelskinder" keinesfalls der Unterschicht an und ließen sich ebensowenig in eine soziale Randposition drängen. Wir haben die Historikerin um ein Interview zu ihrer Forschung gebeten und sie konkret nach ihren Ergebnissen befragt.
"Auch die Geschichte eines Dorfes"
L.I.S.A.: Frau Dr. Masiak, in Ihrer kürzlich abgeschlossenen Dissertation, die von der Gerda Henkel Stiftung gefördert wurde, beschäftigen Sie sich mit der Hexenverfolgung im Hochstift Paderborn in den Jahren 1601-1703. Inwiefern stellte die Gemeinde Fürstenberg, die Sie in Ihrer Arbeit betrachten, eine Besonderheit der Hexenverfolgung dar?
Dr. Masiak: Bereits ein oberflächlicher Blick auf den lokalen Verfolgungszeitraum lieferte ein erstes Indiz, dass die Gemeinde Fürstenberg nicht in die Reihe altbekannter Forschungsergebnisse einzuordnen ist: Noch zu einem relativ späten Zeitpunkt – die Hexenverfolgungen wurden ab 1660 sukzessiv im Alten Reich abgeschafft – wurden in dieser Kommune Hexenprozesse durchgeführt. Dieses Resultat machte mich neugierig und gab mir einen zusätzlichen Anreiz, dem Phänomen noch tiefer auf den Grund zu gehen. Was mich jedoch völlig davon überzeugte, dass die Fürstenberger Hexenprozessakten Außergewöhnliches bereithielten, war der empirische Befund, dass nahezu alle Opfer miteinander verwandt waren. Mit anderen Worten: Die über hundert dokumentierten Hexenprozesse sind nicht isoliert und losgelöst voneinander zu betrachten; sie erzählen zwar das Schicksal einer einzelnen Person, eröffnen aber gleichzeitig auch eine Familiengeschichte.
Diese Angeklagten waren im Dorf als "Teufelskinder" oder plattdeutsch "Deüffelskinder" verschrien. Ihnen wurde vorgeworfen, von "Hexenart" abzustammen, sozusagen mit "Hexenblut" infiziert zu sein – eine höchst pathologische Sichtweise auf vermeintliche Nachfahren aus einem Hexengeschlecht, die uns heute noch aus dem NS-Regime bekannt ist. Ihre scheinbare Andersartigkeit bildete den Boden für soziale und rechtliche Stigmatisierungen und Marginalisierungen. Der soziale und rechtliche Umgang mit den "Deüffelskindern" bot somit auch die Möglichkeit, die gesellschaftliche Mentalität und Kultur in der Vormoderne zu rekonstruieren. Somit ist meine Dissertation nicht nur als eine Arbeit zum "Hexenthema" zu verstehen, sie beinhaltet auch die Geschichte eines Dorfes.