Die langen Vorlaufzeiten von Jan Wellem. Zeitschrift für Kultur und Tradition der Alde Düsseldorfer Bürgergesellschaft von 1920 e.V. (JW) – zweieinhalb Monate zwischen Redaktionsschluss und Erscheinen – sind für aktuelle Beiträge vertrackt, entweder ist es für sichere Berichterstattung viel zu früh oder man kommt zu spät, so auch hier: Wenn sie nicht in die Verlängerung geht, wird die Ausstellung zum 100-jährigen Geburtstag des Jungen Rheinland im Kunstpalast gerade ihre Pforten schließen. Bleibt eine Nachlese, um dem Jubiläum auch im Jan Wellem (JW) Tribut zu zollen; und zwar mit drei Hinweisen.
Von schöner Hoffnung, frommer Provokation und schnöder Konkurrenz
Nachlese zum Jungen Rheinland im Kunstpalast
Da ist zuerst einmal der Titel, mit dem die Ausstellung in Erinnerung bleiben wird: „Zu schön, um wahr zu sein“. Das hat Max Ernst gesagt im Rückblick auf das zeitige Scheitern des Jungen Rheinland und heute unter den berühmtesten Mitgliedern dieser Künstlervereinigung. Bekannt für Hintersinn und Absolvent eines humanistischen Gymnasiums, sagte Ernst das gewiss nicht ohne listige Anspielung auf die hochromantische Gleichsetzung von Wahrheit und Schönheit und deren ehrwürdigen Ursprung in der klassischen Philosophie. Es war wiederum Platon (vgl. JW 4.2018, S. 4), der die ideale Wesenseinheit des Wahren, des Guten und des Schönen behauptet und damit eine fabelhafte, bis heute gebräuchliche Hommage an die Schönheit geliefert hat. Deren Begründung geht so: Wenn wir Schönem begegnen, erinnert sich unsere Seele an die besagte Einheit, die sie im Reich der Ideen erblickte, bevor sie in unseren Körper eingekerkert wurde. Wen also beim Anblick der im Kunstpalast ausgestellten Schönheit(en) die Idee überkam oder überkommt, Gutes zu tun oder gütig zu sein, wenigstens ab und an, war bzw. ist auf rechtem Wege!
Zum Zweiten ist da die Bildikone, mit der die Ausstellung beworben wurde und die uns allen vorschwebt – vor einem halben Jahrhundert hing sie als Poster gefühlt in jeder zweiten Studentenbude (in jeder anderen zweiten hing ein Poster des ebenso ikonischen Portraitfotos von Che Guevara), die Studentenbewegung 1968 hatte Lust an der Provokation, wie 50 Jahre zuvor das Junge Rheinland. Eine Provokation also wurde von Max Ernst geliefert mit seinem Gemälde „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen“ (s. Abb.) – „ganz großes Kino“, so Felix Krämer, der Direktor des Kunstpalastes[1]; recht hat er. Das Gemälde machte Skandal, zuerst 1926 in Paris, danach im selben Jahre noch in Köln. Dort, wo sonst, wurde der Maler auf Betreiben des Erzbischofs exkommuniziert, begleitet und beglaubigt durch ein dreimaliges öffentliches „Pfui“ im Gürzenich, wie sich der Maler erinnert.[2]Die Blasphemie sah man aber nicht etwa in der kraftvoll durchgezogenen Züchtigung – „das Jesuskind“ hat schon rote Flecken am wohlgestalteten Po. Darüber echauffiert man sich erst neuerdings: Gewalt in der Erziehung wurde hierzulande nicht früher als in 2000 verboten (§ 1631 BGB); bis dato war die „maßvolle [!] Züchtigung“ von Kindern erlaubt und rechtskonform. Die Blasphemie sah man seinerzeit vielmehr darin, dass dem himmlischen Knaben bei der außerordentlich irdischen Erziehungsmaßname der Heiligenschein vom Kopf auf die Erde (!) fällt, dort die Signatur des Malers umrundet und sie auf diese Weise heiligt – sehr schön und sehr frech.
Das Gemälde hat aber noch einen weiteren skandalträchtigen Aspekt, der freilich vergessen ist, von ihm war hierorts nicht die Rede. Er enthüllt sich bei genauem Blick auf die „drei Zeugen“, die durch ein Mauerfenster oben im Himmelsblau zu sehen sind. Sie sind als „der Maler selbst“ – Max Ernst also, mit himmelblauem (!) Blick auf den Bildbetrachter starrend – sowie die beiden Schriftsteller André Breton (links) und Paul Éluard (rechts) angegeben und werden oft als Anspielung auf die Heiligen Drei Könige gedeutet; so auch im Kunstpalast. Aber das geht nicht auf – nimmt man Surrealisten, nomen est omen, nur beim Wort, verpasst man etwas. Es können nämlich die „drei Zeugen“ allenfalls Ohrenzeugen, sie können keine Augenzeugen der Szene unten auf der Erde sein, weil sie gar nicht hinsehen: „der Maler selbst“ starrt geradeaus, die beiden anderen sind mit gesenkten Lidern einander zugewandt. Überdies trägt benannter André Breton – er schrieb 1924 das Manifest des Surrealismus, dem sich Ernst und Éluard anschlossen – unverkennbar das Profil von Gala Éluard-Dalí (!); und das gibt der Dreiergruppe eine ganz andere Bedeutung. Hier stehen keine „Zeugen“ im gemeinen Sinne, im Himmelsfenster ist vielmehr die seinerzeit – „Sittenverfall“ – skandalöse Ménage à trois zwischen Max Ernst, Paul Éluard und eben dessen damaliger Frau Gala (später verehelichte Dalí) ausgestellt – eine unheilige Dreifaltigkeit also, eine fabelhaft gemalte gesellschaftliche Provokation. Darauf verstand sich Max Ernst; in Düsseldorf liegt eine Kostprobe Nachlese zum Jungen Rheinland im Kunstpalast seines blasphemisch inspirierten Humors auf dem Bistrotisch, den Bert Gerresheim seiner Statue der „Mutter Ey“ beigestellt hat (vgl. JW 4.2018, S. 4).
Damit, drittens, zur Düsseldorfer Provinz des Jungen Rheinland und seiner Sondergruppe Das Ey um deren Ziehmutter, der Kunsthändlerin Johanna Ey. Ein Porträtensemble von Arthur Kaufmann, „Die Zeitgenossen“ (s. Abb.), zeigt sie 1925 als thronende Matrone im Mittelpunkt des von ihr zusammengebrachten und protegierten Kreises.[3]Der war da aber längst zerstritten, das Gemälde selbst bezeugt es: Adolf Uzarski nämlich, Maler und Werbefachmann und mit Arthur Kaufmann sowie dem Schriftsteller Herbert Eulenberg derjenige, der im Revolutionsnovember 2018 zum Zusammenschluss rheinischer Künstler aufgerufen hatte – mit großem Erfolg: im Februar 2019 wurde das Junge Rheinland in Düsseldorf gegründet –, sitzt nicht dabei. Er wollte sich nicht zusammen mit Gert Heinrich Wollheim abbilden lassen, dessen Temperament und dessen politisches Engagement ihm wie anderen auch mächtig gegen den Strich gingen. Zudem neidete man dem begnadeten Selbstdarsteller die Bevorzugung durch „Mutter Ey“.
Wollheim verließ Düsseldorf 1925 gen Berlin, nicht ohne einen bravourösen „Abschied von Düsseldorf“ (1924) hinzulegen: ein mit Boshaftigkeiten gespicktes Gemälde, vordergründig präsentiert von einer Traumprinzessin (s. Abb.), im Mittelpunkt morbider Szene der Maler selbst als großbürgerlich befrackter Dandy, davor, händeringend kniend, eine aus der Kehle blutende, mutmaßlich tödlich getroffene Edelhure, ein Narrenhütchen zwischen den Brüsten (Karneval in Düsseldorf!), linker Hand dazu ein skelettöser Mops-Terrier (ein Bastard also) mit Halskrause (der Hund hat demnach eine OP hinter sich!); das ist eine unfeine Schmähung auf Uzerski, der 1921 einen Roman mit dem Titel: „Möppi – Memoiren eines Hundes“ (nach Titelbild ein Terrier) geschrieben hatte; usw. Man kann das Gemälde im Kunstpalast, dem es gehört, gründlich betrachten, es ist eine ästhetische und eine stadtgeschichtliche Delikatesse.
Zum weiteren Studium kann man den reich bestückten Katalog zur Hand nehmen; er porträtiert zwölf Künstler der Düsseldorfer Provinz des Jungen Rheinland. War die Ausstellung „ein Augenöffner für die Geschichte der Stadt“ (Felix Krämer), so erzählt sie in Teilen auch der Ausstellungskatalog. Umfangreicher belegt diese Geschichte freilich der Katalog der Ausstellung zum Jungen Rheinland in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf 1985; er enthält zahlreiche Dokumente: Texte und Briefe aus der Feder der Künstler selbst, dabei auch einige von Johanna Ey.[4]Diese Ausstellung hieß „Am Anfang: Das Junge Rheinland“. In der Tat: Am Anfang, nach den traumatischen Erfahrungen des Krieges und dem revolutionsschwangeren Untergang des deutschen Kaiserreiches – samt etabliertem Kunstmarkt –, stand das enthusiastische Verlangen von rund 400 Künstlern[5] unterschiedlichster Ausrichtung (dabei um die 100 in Düsseldorf ) nach gemeinsamem Neuanfang, nach freiem Leben und produktiver Gemeinschaft in einem friedlichen Europa – ein Traum. Sein Siechtum begann schon 1921 mit Kontroversen, Boykottaufrufen und Abspaltungen – statt schönem Aufbruch, schnöde Konkurrenz.
Gisela Miller-Kipp
Der Originalbeitrag erschien bei "Jan Wellem. Zeitschrift für Kultur und Tradition der Alde Düsseldorfer Bürgergesellschaft von 1920 e.V."...
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Wir bedanken uns an dieser Stelle ganz herzlich bei der Alde Düsseldorfer Bürgergesellschaft von 1920 e.V. für die freundliche Genehmigung, den Beitrag auch bei L.I.S.A. veröffentlichen zu dürfen.