Nach zwei Jahren war es endlich wieder so weit: Eine Konferenz, die vor Ort und in Präsenz stattfinden sollte. Ein Traum für all Diejenigen unter uns, die sich nach 24 Monaten erstmals wieder auf einen Austausch f2f freuten. Zu diesen Menschen gehörte auch ich.
Die #DHd2023 war die insgesamt dritte Tagung, an der ich teilgenommen hatte, jedoch erst die zweite Konferenz ohne Zoom-Kacheln. Es war eine gute Idee von Seiten der Organisator*innen, ergänzend ein digitales Angebot anzubieten. Für alle daheim gebliebenen bleibt dadurch allerdings das typische „Flair“ der Tagung aus. Umso mehr freute ich mich darüber, in genau diesen Genuss zu kommen und war schon ganz gespannt auf das abwechslungsreiche Programm! Damit meine ich nicht nur die Vorträge, Panels und die sich anschließenden Diskussionen, sondern auch die Ereignisse abseits der Tagung wie die Stadtführung, die Weinwanderung oder das Social Event. Eine gute Gelegenheit, um Trier und Belval besser kennenzulernen.
Inmitten eines Industriegebiets lag die Universität Belval, die architektonisch zunächst etwas surreal wirkte, sich auf den zweiten Blick jedoch beinahe künstlerisch und in kubistischen Figurationen zwischen Kesseln, Rohren und Containern sämtlicher Fabriken ihren Weg bahnte. Sieht so aus, als hätte Industrial Design hier seinen Ursprung. Die modernen Räumlichkeiten bildeten dazu den denkbar größten Gegensatz: Ganze Wände fungierten als beschreibbare Whiteboards, Rolltreppen, so lang wie in der Elbphilharmonie führten uns durch das Maison du Savoir. Treppen steigen, wie ich es im Bergischen Land aka Wuppertal täglich tue, war gestern.
Workshop: 3D und 4D-Modellierung mit Blender[1]
Nach nur fünf Stunden Schlaf und einer insgesamt vierstündigen Zugfahrt (ohne Verspätung) kam ich in Belval an. Scheinbar früh genug, denn es war noch genug Zeit und mir bot sich die Gelegenheit, vor Beginn des Workshops im Hotel einzuchecken. Nach der Registrierung auf Stockwerk 3 ging es los. Entschieden habe ich mich für die 3D und 4D-Modellierung mit Blender, eine Open Source Software, die primär zur digitalen 3D-Rekonstruktion und-Modellierung verwendet wird. Ein Programm, das ich bis dato noch nicht kannte, von dem ich mir aber für mein eigenes Projekt einiges erhoffte. In dem zweitägigen Workshop führten Berenike Rensinghoff, Waltraud von Pippich und Manuel Hunziker zunächst in die Grundfunktionen der 3D-Software Blender ein. Ergänzend zu praktischen Hands-on Übungen und aufeinander aufbauenden Modulen für die ersten Schritte in der 3D-Modellierung digitaler Daten, gab es theoriegeleitete Beiträge zur Systematik von 3D- und 4D-Anwendungen. Für Diskussionen und Besprechungen zu Workflows disziplinspezifischer Forschungsfragen war ebenfalls genug Raum.[2] Im projekteigenen GitHub-Repo[3] war alles gut dokumentiert. Wir Teilnehmer*innen konnten sowohl auf die Materialien zurückgreifen, als auch die Erläuterungen zu sämtlichen Funktionen und Features von Blender nachlesen. Angefangen bei einfachen geometrischen Formen und Figurationen, stieg die Lernkurve stetig an. Farbverläufe, Lichtverhältnisse, Kameraeinstellungen bis hin zur vierten Dimension, der Zeit. Nach beiden Workshoptagen hatte ich das Gefühl, noch lange nicht alles ausprobiert und leider auch noch nicht alles komplett verstanden zu haben. Dieses Programm war wirklich mächtig. Aber das macht ja nichts. Meine Einstellung ist, stets offen für Neues zu sein. Dazu gehört meiner Meinung nach auch, sich Dinge selbst anzueignen.
Vorträge
Eigentlich sind Vorträge, wie ich finde, immer eine gute Gelegenheit um zu schauen: „Was machen die anderen so?“ Mal rauskommen aus der eigenen Themenbubble. In diesem Jahr aber bot sich mir auf der DHd2023 die Möglichkeit, einen Vortrag meiner Kollegin Elisa Cugliana zu hören, den sie am Donnerstag im Slot zu dem übergeordneten Thema „Digitale Editionen“ hielt. Sie ist erst seit kurzem in Wuppertal beschäftigt, gelegentlich teilen wir uns das Büro. Natürlich tauschen wir uns regelmäßig aus. Durch ihren Vortrag Coding editions. Computational approaches to the editing of pre-modern texts konnte ich einen unmittelbaren Eindruck ihrer Arbeit und ihrem Themenschwerpunkt gewinnen. Sie entwickelte automatisierte Normalisierungsstufen via XProc-Pipelines, die u.a. in ihrem Dissertationsprojekt zum Einsatz kamen. Diese Pipelines konnten so angepasst werden, dass sie insgesamt drei Normalisierungsstufen generieren konnten, die wiederum auf alle Textzeugen ihres Corpus‘ angewendet werden konnten. In einem kurzen Ausblick über ein Projekt, welches sich administrativ derzeit noch in der Planungsphase befindet, sprach Elisa über sogenannte Losbücher, die einen markanten Spielcharakter aufweisen. Hier ist Varianz philologisch spannend und strukturell interessant, da die Spielregeln und Losmechanismen variieren können. Eine der zentralen Fragen ist, wie man das in einem Apparat darstellen kann. Nicht nur die Modellierung der Quellen (auf verschiedenen Ebenen) spielt hier eine wesentliche Rolle, sondern auch die Modellierung des Editionsprozesses. Wie Elisa erklärte, wird sich die Präsentation dieser Losbücher zwischen Text- und Spieledition befinden, bzw. dort unterscheiden.
Ein Grundprinzip digitaler Editionsinterfaces ist die Synopse. Editionswissenschaftler*innen, die tagtäglich mit Editionen zu tun haben wissen, welche Herausforderungen die Darstellung synoptischer Apparate bereithalten: Synchronisierung der Spalten, Konzeptionierung der Spalten je nach Editionstyp, Responsivität, Referenzier-/Zitier- und Reproduzierbarkeit, um nur einige Aspekte zu nennen. Der Grundgedanke der Software Synopticon ist, mehrere Grundüberlegungen in einer generischen Lösung zusammenzufassen. Yannick Herbst von der Universität Würzburg zeigte anschaulich, in welchen Projekten[4] Synopticon bereits zum Einsatz kommt und welche technischen Lösungen dafür verwendet wurden. Für das Frontend wird das Framework Vue.js genutzt. Der OpenSeadragon Viewer inklusive IIIF-Cantaloupe Image API soll die Faksimiles bereitstellen. Eine eXist-db Instanz sowie die Komponenten ediarum.DB und ediarum.WEB fungieren als Backend. Laufen tut der gesamte Workflow in einem Docker-Stack. Aufgrund dieser modularisierten und z.T. komplexen technischen Infrastruktur wird Synopticon zunächst von Webentwickler*innen genutzt, die das Programm in das Projekt und damit die Edition implementieren sollen.
Doctoral Consortium – mein erster Vortrag
Auf der DHd2023 war ich nicht „nur“ Teilnehmerin. Im Rahmen des Doctoral Consortiums, ein Format speziell für Nachwuchswissenschaftler*innen, durfte ich erstmals selbst über mein Projekt sprechen. Aufgeregt wie nie, habe ich am Mittwochmorgen nach meiner Kollegin Lena Stahn und vor meiner anderen Kollegin Pia Geißel über den aktuellen Stand meiner Dissertation gesprochen. Die Dynamik der anschließenden Diskussion war nicht nur interessant, sondern auch wichtig und hilfreich. Das Feedback hat mir für den weiteren Verlauf der Arbeit viel gebracht und die Fragestellungen aus dem Publikum sowie dem Zoom-Chat regten mich zum Nachdenken an. Die Anmerkungen, sei es zur Methodik, zur Theorie oder Positionen relevanter Vertreter*innen aus entsprechenden Fachgebieten ließen mich über die eine oder andere Sache reflektieren. Das schönste aber war in den Genuss des Gefühls zu kommen, wenn die ganze Anspannung abfällt. Erst ab diesem Punkt konnte ich die Tagung richtig genießen. Wer kennt’s?
Let’s geht social!
Keine Konferenz ohne Social Event. Das ist das Motto einer jeden Tagung rund um die Digital Humanities im deutschsprachigen Raum. Für die Teilnehmer*innen wurde am Donnerstagabend etwas Tolles vorbereitet: Ein Abendprogramm mit Livemusik, Getränken und Foodtrucks. Der Andrang vor den Wagen war so groß, dass man sich unmittelbar nach Erhalt der Bestellung wieder einreihen konnte bei dem nächsten kulinarischen Angebot. Damit hier ja niemand verhungert! Für mich gab es sehr leckere Fries mit Falafel. Als Nachtisch wollte ich eigentlich Churros, doch die Fritteuse hat leider ihren technischen Geist aufgegeben. Es wurde dann „leider nur“ eine Waffel mit Nutella. Was ja bekanntlich immer reinpasst in den Bauch.
Die Stadtführung in Trier am Mittwochnachmittag war die persönliche Belohnung für meine starke Performance im Vortrag. Das Wetter war schön und die Sonne kam sogar raus. Doch leider bekam ich im Laufe des Tages Kopfschmerzen. Schade eigentlich. Die Bewegung an der frischen Luft tat dennoch gut. Schließlich saßen wir über den gesamten Tag (wie die vorherigen zwei Tage auch) auf unseren vier Buchstaben. Einige meiner Kolleginnen aus Wuppertal habe ich auf der Stadtführung wiedergetroffen. Wir haben gelernt, dass Köln NICHT die älteste Stadt Deutschlands ist und die Porta Nigra nur deswegen nicht vollständig zerstört wurde, weil sie ursprünglich mal eine Kirche gewesen ist. Wer hätte das gedacht! Napoleon war in dieser Hinsicht also ein Gutmensch. Die zahlreichen Anekdoten des Stadtführers „Hannes aus Flensburg“ ließ die Zeit wie im Flug vergehen. Sehr empfehlenswert!
AG-Treffen der RSE
Die DHd2023 in Trier und Belval war meine erste Konferenz, bei der ich erstmals an einem AG-Treffen teilgenommen habe. Ich entschied mich für die Research Software Engineering (RSE). Im Fokus der Diskussion unter den rund 15 Teilnehmer*innen stand zum einen die Entwicklung der AG und zum anderen ihre Sichtbarkeit innerhalb der DH-Community. Als genuine Geisteswissenschaftlerin entwickelte ich in den letzten Jahren immer mehr das Interesse am Programmieren, Software und digitalen Technologien allgemein. Ich dachte mir, schaue ich doch einfach mal rein. Mein Eindruck: Rolle und Position von Softwareentwickler*innen innerhalb der Digital Humanities sollte gestärkt werden. Es braucht mehr Nachwuchs innerhalb der IT, wovon jedes Projekt sicher profitieren würde. Schließlich sehen sich die DH zwischen den Geisteswissenschaften und der Informatik. Ideal also, wenn es Menschen gäbe, die von beiden Disziplinen Ahnung hätten. Natürlich passiert das nur in einer idealen Welt. Eine Idee, um mehr Nachwuchs in diesem Bereich zu erzielen, wären zum Beispiel Workshops für Geisteswissenschaftler*innen, die technikaffin sind und ein ausgeprägtes Interesse an der automatisierten Verarbeitung und Visualisierung von Daten mittels Software haben.
Von nun an bin ich dabei und habe mir vorgenommen, regelmäßig bei den AG-Treffen dabei zu sein. Dem GitHub-Repo[5] bin ich bereits beigetreten und über die Mailingliste[6] erhalte ich ab jetzt regelmäßig Infos über neue Entwicklungen rund um die AG und ihre Tätigkeit. Auch wenn ich keinen vollständig technischen Hintergrund habe, hoffe ich doch bei einigen Diskussionsrunden oder Aktivitäten Beiträge und Impulse liefern zu können.
Open Humanities, Open Culture: Das Motto der DHd2023
Open Science ist ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Bestandteil einer offenen und transparenten Wissenschaft. Sie beschleunigt und unterstützt den wissenschaftlichen Fortschritt, sobald Forschungsergebnisse schneller verfügbar und einsehbar sind. Darüber hinaus steigert es das Vertrauen in die Forschung selbst und erhöht ihre Effizienz. Ein offenes Wissenschaftssystem bedeutet auch, dass die Qualität der Forschung besser zu bewerten und zu beurteilen ist. Open Science ist also eine wesentliche Komponente innerhalb des wissenschaftlichen Arbeitsprozesses, zugleich aber auch ein brisantes Thema, das nicht nur die digitalen Geisteswissenschaften, sondern alle Disziplinen und Fächer betrifft.
In fast allen Formaten der Konferenz war zu beobachten, dass der Diskurs um eine offene und transparente Wissenschaft eine zunehmende und größere Beachtung in den Digital Humanities finden sollte. Dies beginnt bereits bei der Frage, wo und wie erhalte ich Einsicht in die publizierten Forschungsergebnisse oder in die produzierten Daten? Ganz unabhängig davon, in welcher Form, in welchem Format, Journal oder Repositorium sie vorliegen. Stichwort: Nachnutzbarkeit. Open Science soll auf „aktuelle Diskussionen um die Reproduzierbarkeit von Forschung bei Offenlegung von Daten und Code […]“[7] aufmerksam machen und sensibilisieren. Die DHd-Konferenz am Standort Trier und Luxemburg war ein Ort, an dem sich viele Fragen rund um Chancen aber auch Herausforderungen einer nachvollziehbaren und kommunikativen Wissenschaft drehten. Die Tagung hat meiner Ansicht nach dazu beigetragen und noch einmal mehr dazu angeregt, über die besonderen Bedingungen der Offenheit in den Geisteswissenschaften nachzudenken.
Auf das Motto der nächsten Tagung bin ich schon jetzt sehr gespannt. Passau wird es sein. Eine weitere Stadt, in der ich noch nicht gewesen bin. Gute Gelegenheit also, wieder an einer Stadtführung teilzunehmen.