Manche werden nun einwenden, dass so ein Name doch nicht so wichtig sei.
Wir möchten darauf antworten: Doch, er ist wichtig. Wie wir als Historiker:innen wissen, formt Sprache Gesellschaft und andersherum. Sie produziert Inklusion und Exklusion, sie macht unsichtbar. Das, was keinen Namen hat, was nicht benannt wird, kann in der Konsequenz nicht ernstgenommen werden, kann bagatellisiert werden. Sprache verfügte historisch wie gegenwärtig über eine enorme transformative Macht. Intersektionale Ungleichheiten schreiben sich aber nicht nur im Sprechen, sondern auch in Kulturen des Arbeitsalltages, des sich Vernetzens, der Privilegiendistribution fort. Deshalb werden Quoten häufig als Bedrohung wahrgenommen, als Abwertung der eigenen Leistung und genau darum werden die Diskussionen ums Gendern gerade so hitzig geführt, weil es um sehr viel mehr geht als 'nur' darum, wie wir sprechen und schreiben. Es geht um Macht, um Privilegien und um die Angst, diese zu verlieren. Und um es einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: wir gendern immer, nur bisher eben mehrheitlich männlich.
Der Zusammenhang von Sprache, (Arbeits-)Kultur und Struktur lässt sich auch an den Zahlen zur Repräsentation von Wissenschaftlerinnen sehr gut ablesen. Eine europäische Umfrage zum Anteil von Frauen in der Forschung aus dem Jahr 2019 zeigt, dass Deutschland mit 28,1 Prozent auf dem vorletzten Platz liegt. Die aktuelle Stellungnahme der Leopoldina zu Frauen in der Wissenschaft weist ergänzend auf die sogenannte leaky pipeline hin. Das enorme Gap zwischen der Anzahl weiblicher Studierender (52%), Doktorandinnen (45%), Habilitantinnen/Postdocs (35%) und schließlich Professorinnen (22%). Genaue Zahlen über andere intersektionale Kriterien haben wir nicht, aber bestehende Forschungen legen nahe, dass der Anteil der Erstakademiker:innen, jener mit Migrationsgeschichte und der Anteil der Care-Arbeitenden ganz besonders gering ist.
Was hat das nun alles mit dem Historiker:innenverband zu tun? Natürlich sollen Gleichstellung und Diversität mehr als nur ein Lippenbekenntnis sein, daher wird eine Umbenennung der Tagung nicht reichen, um strukturell etwas zu verändern. Es ist jedoch ein wichtiges Zeichen dafür, dass der Willen besteht, etwas zu verändern. Wenn Inklusion bereits auf einer rhetorischen Ebene verwehrt wird, wie weit sind wir dann entfernt von tatsächlicher Veränderung?
In der Aushandlung um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sehen wir gegenwärtig wie wichtig es ist, hier gemeinsam eine starke Position zu beziehen. Die derzeit im Raum stehenden politischen Lösungen halten zwar alle mehr oder weniger am Status quo fest, der das Grundübel ist für die Ungleichheitsverhältnisse: Weder die Befristung von qualifizierten Wissenschaftler:innen wird von vielen Akteur:innen grundsätzlich in Frage stellt, noch das feudale System der Lehrstühle abgeschafft. Immerhin werden die Stimmen der vielen wichtigen Initiativen von #IchbinHanna über das „Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft“ bis zu #ProfsfürHanna lauter, die sich für eine systemische Lösung stark machen. Und immerhin scheinen diese Stimmen auch von manchen Politiker:innen gehört zu werden. Doch ist Grund für Optimismus? Wir sind uns da dank der Erfahrungen der Vergangenheit nicht so sicher. Deshalb sei nochmal betont: Wir brauchen Departmentstrukturen und verlässliche, entfristete Karrierewege nach der Promotion. Alles andere ist nur Makulatur in einem System, was keine gute Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bereit hält für die Geschichtswissenschaft - oder jedes andere Fach.
Schauen wir nun auf die inhaltlichen Probleme.
Blicken wir für einen kurzen Moment auf die Struktureinheiten, die sich an den meisten geschichtswissenschaftlichen Instituten finden. Da ist höchstwahrscheinlich eine Alte Geschichte, eine Professur fürs Mittelalter, eine für die Frühe Neuzeit und etwas, was Mittlere- und Neuere Geschichte und Zeitgeschichte heißt. Während die zeitliche Strukturierung der „Normalfall“ ist, werden sich an vielen Instituten „ergänzend“ dazu Lehreinheiten finden, die „Osteuropäische Geschichte“, „Europäische Geschichte“ oder „Außereuropäische Geschichte“ heißen. Hier steht eine sogenannte Area oder Region im Vordergrund, die in ihrer räumlich-zeitlichen Zuordnung an Vagheit kaum zu überbieten ist. Doch nicht nur der Konstruktionscharakter solcher Areas ist, wie die Forschung gezeigt hat, problematisch. Mit der institutionellen Anordnung der epochengebenden „Haupt“-Fächer und den ergänzenden „Orchideen“-Fächer entstand eine Hierarchisierung der Episteme. Fortschritt und Modernität wurde ausgehend von eben jenen „Haupt“-Fächern gedacht, die anderen Fächer dienten lange Zeit lediglich als Vergleichsfolie.
John Conelly hat dieses Paradoxon auf den Punkt gebracht: „History is area studies set in time, and those who question whether area studies should exist question whether history should exist.“ Und wieder: Postkoloniale, intersektionale und globalgeschichtliche Ansätze weisen seit den 1970ern/80ern mit wachsendem Nachdruck darauf hin, dass vergangene Entwicklungen ungleichzeitig gleichzeitig in unterschiedlichsten Teilen und Gesellschaften der Welt stattgefunden haben, dass wir ein tieferes Verständnis für die Prozesse vor unserer Haustür erlangen können, wenn wir sie mit Entwicklungen vergleichen, die an anderen Orten und/oder zu anderen Zeiten stattgefunden haben.
Millionen haben Drittmittelgeber:innen wie das BMBF, die DFG, Erasmus Mundus, Thyssen und Co. dafür ausgegeben, damit Forschung und Studiengänge entstehen, die die Geschichte des Nationalcontainer Deutschland dezentrieren, Area-Kompetenzen aufbauen, Verflechtungen offenlegen. Doch diese Bemühungen laufen dann ins Leere, wenn – wie geschehen und immer noch geschieht – an den Grundstrukturen nichts verändert wird. Natürlich könnte die Frühe Neuzeit oder Zeitgeschichte genauso gut Zentralasien oder Lateinamerika anschauen. Das tut sie aber in den seltensten Fällen, weil der Ursprung und das Kernelement der deutschen Geschichtswissenschaft noch immer – nun ja, die deutsche – Nationalgeschichte ist. Deshalb müssen auch alle Studierenden weiter Lateinkenntnisse nachweisen, aber niemand lernt Persisch, Rumänisch, Gälisch oder Igbo. Da unsere Wissenschaft aber quellenbasiert ist, endet unsere Kompetenz da, wo wir Quellen nicht mehr lesen und ihre Bedeutung gesellschaftlich nicht einordnen können.
Dabei geht es uns nicht darum, ein Plädoyer für die Globalgeschichte als Lösung dieses Dilemmas zu schreiben. Doch wollen wir die Frage aufwerfen: Welche Perspektiven eröffnen sich uns, welche Denkhorizonte können wir aufmachen, wenn wir und unsere Studierenden nicht mehr können als Deutsch und – wie in den meisten Fällen – rudimentär Latein, Englisch und Französisch? Das sind die häufigsten Sprachen, die die Studierenden aus der Schule offiziell mitbringen und leider nur in den selteneren Fällen während des Studiums vertiefen oder gar neue Sprachen erlernen. Das Erwerben vielfältiger Area-Kompetenzen sollte unbedingt Bestandteil der geschichtswissenschaftlichen Ausbildung werden, genauso wie vice versa globalgeschichtliche Inhalte und vielfältige Sprachlernangebote in die Lehrpläne der Schulen gehören.
Doch Regionalkompetenzen sind nur das eine, wenn wir uns um ein pluralistischeres, fluideres und dadurch demokratischeres Raumverständnis bemühen wollen. Impulse aus der intersektionalen Geschichte laden uns ein, hegemoniale Machtkonstellationen und soziale Platzanweisungen kontinuierlich zu reflektieren und zu dekonstruieren. Die Logiken, die intersektionales Denken stark machen, lassen sich auf Mikro- und Makrokonstellationen sowie auf Politik-, Wirtschafts-, Struktur- und Diskursgeschichte(n) etc. gleichermaßen anwenden. Hier sei beispielhaft auf die Theorieimpulse von Kimberlé Crenshaw oder Gayatri Chakravorty Spivak und allen verwiesen, die ihre Ansätze weitergedacht haben. Wenn wir uns nicht damit auseinandersetzen, wie Strukturen, Ereignisse von wem wie gemacht und getragen wurden, machen wir auch weiterhin diejenigen unsichtbar, denen keine Stimme „erlaubt“ wurde und wird – seien das jetzt soziale Gruppen in einer Gesellschaft, nationale Fallbeispiele, die außerhalb bestimmter Raumzuschnitte stehen, oder in globalen hegemonialen Machtkonstellationen als irrelevant deklariert werden. Unsere Geschichten bleiben dann unvollständig, unser Verständnis, wie etwas (gemacht) worden ist, beschränkt.
Damit soll nicht gemeint sein, dass die Geschichte des deutschsprachigen Raums aus dem Geschichtsunterricht oder Studium verschwinden soll. Im Gegenteil. Aber gerade der Blick nach Außen und von Außen macht aus uns bessere Forscher:innen. Julia Angster nennt es „Denationalisieren“, Achim Landwehr prosaischer „sich nicht allzu sicher sein“ – wenn wir ernst nehmen wollen, was die sogenannten Bindestrich-Geschichten seit Jahrzehnten fordern und eine plurale, demokratische Geschichtsschreibung erreichen wollen, müssen wir den Mut haben, die eigenen Prägungen und Denklogiken in Frage zu stellen. Dafür braucht es eine Bereitschaft sich über das vordergründig Offensichtliche wundern zu können, es nicht als „normal“ oder „gegeben“ zu antizipieren und mutig neue Wege zu gehen.