Ich wurde angetrieben von einer global-ruhelosen Neugierde und nach jeder Menge Zufällen Historikerin. Unser Fach, die Geschichtswissenschaft, hat Potenzial, das weit über universitäre Zirkel hinausreicht. Dieses Potenzial gilt es nun freizusetzen, indem wir die Geschichtswissenschaft öffnen – für neue Ansätze und die ganze Gesellschaft.
Zeit für ein Institut der Zukunft
Utopia. Die Zukünfte der Geschichtswissenschaft | Visionen und Positionen von Marie Huber
Unser Fach, die Geschichtswissenschaft, hat Potenzial, das weit über universitäre Zirkel hinausreicht. Dieses Potenzial gilt es nun freizusetzen, indem wir die Geschichtswissenschaft öffnen – für neue Ansätze und die ganze Gesellschaft.
Vor dem Hintergrund der rasanten technologischen Entwicklung haben Historikerinnen und Historiker eine zunehmend wichtige Rolle inne. Unsere Fähigkeit, komplexe Themen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, wird heute dringend gebraucht. Wichtige Begriffe wie "polycrisis" oder "Anthropozän" zeigen, dass historische Analyse nicht nur für die Wissenschaft relevant ist. Sie prägt auch breitere gesellschaftliche und politische Debatten.
Das neue Institut fördert und erweitert die kritisch-reflexiven Fähigkeiten, die in unserer Disziplin verankert sind. Es ist ein Ort, an dem die wachsende Relevanz historischer Perspektiven in vielen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen, gerade im Hinblick auf neue Technologien, ihren Ausdruck findet. Historiker*innen schreiben hier mit an prompts und trainings der Computerprogramme, die längst überall ihre Anwendung finden.
Das Institut wird nach Aufgabenfeldern gedacht, es kennt keine trennenden Schranken zwischen vermeintlich "großen" und "kleinen" Fächern. Neben der Lehre gehören auch Wissensvermittlung und -dialog und andere Bildungsaufgaben zu diesen Aufgabenfeldern, ebenso methodisch-technische Bereiche wie Datenmanagement und -Künstliche Intelligenz. Das Institut hat Stammpersonal für diese Daueraufgaben. Rollen und Verantwortlichkeiten sind im Team verteilt und nicht automatisch in der Führungskraft gebündelt. Es gibt eine flache Hierarchie zwischen allen Arten von Aufgaben und dementsprechend eine Gehalts- und Personalstruktur, die nicht überwiegend an die Aufgaben und die Qualifikation angebunden sind. Leistungsorientierte Bezahlung bleibt als Anreiz, aber die Kriterien sind transparent und effizient und nicht an die generelle berufliche Existenz gekoppelt.
Im Hinblick auf die Organisation von Arbeit nimmt das Institut die Veränderung der Arbeitsumgebung und -bedingungen ernst, die besonders für die jüngere Generationen wichtig ist. Mobiles Arbeiten und flexible Vertrauensarbeitszeit über weite Teile eines Projekts oder für viele Aufgabenbereiche sind fester Bestandteil der Arbeitsorganisation. Selbstreflektion und Weiterentwicklung, um auf neue Entwicklungen reagieren zu können, haben einen großen Stellenwert. Und es gibt verbindliche Verfahren für Feedback von informell bis formell, etwa in Form von Jahresgesprächen oder Schreibgruppen.
Die Zusammenarbeit basiert auf gegenseitiger Unterstützung, die Betreuung hört nicht mit dem Studium oder der Promotion auf. Sie ist vielmehr ein Prozess, der sich an den Bedürfnissen und Potentialen Einzelner orientiert, und den die Teams als eine fürsorgliche und gegenseitig bereichernde Aufgabe begreifen. Alle Mitglieder des Instituts der Zukunft erhalten Freiräume für ihren individuellen, intellektuellen Reife- und Werdungsprozess. Daneben wird einer gründlichen methodischen und technisch-handwerklichen Ausbildung ein hoher Stellenwert eingeräumt. Dazu gehören: systematisches Arbeitsvorgehen im Forschungsprozess, Projektmanagement in längeren Projekten, Schreiben in unterschiedlichen Textgattungen sowie Aufbereiten der Inhalte für unterschiedliche Zielgruppen und Formate und allgemeine Kommunikations- und Auftrittskompetenz.
Unser Fach zeichnet eine große Offenheit für Internationalität und Mobilität aus. Konferenzen, Forschungsaufenthalte, Archivreisen – wir sind ständig unterwegs auf der Suche nach Erkenntnis. Umso wichtiger ist es, dass diese Möglichkeiten allen offenstehen, unabhängig von ihren Lebensumständen. Am Institut der Zukunft ist Mobilität durch besondere finanzielle Unterstützung auch für Menschen, die Einschränkungen durch Sorgearbeit, Krankheit oder Behinderungen haben, eine Selbstverständlichkeit. Nur so können wir die Vielfalt als Grundbedingung einer demokratischen Geschichtswissenschaft wirklich leben – und allen den Weg in eine erfüllende Laufbahn eröffnen. Die Zukunft gehört einer Geschichtswissenschaft ohne Barrieren!
In diesem Sinne muss unser neues Institut als ein Ort der persönlichen und beruflichen Entwicklung angesehen werden, an dem Menschen aller Altersgruppen und aus allen Lebensphasen willkommen sind. Historische Forschung kann lebenslanger Beruf, Berufung oder auch nur ein Wegabschnitt für einzelne sein. Das Institut freut sich über Besucher, ganz egal ob diese alt oder jung sind, kurz oder lange bleiben und pflegt eine ausgeprägte und wertschätzende Empfangs- und Gastgeberkultur. Es ist nicht egal, wohin die Leute danach gehen und wie sie diesen Schritt schaffen, die Teams und ihr Leitungen fühlen sich verantwortlich und sind stolz auf jeden Gast.
Jetzt ist die Zeit für Veränderungen gekommen – es ist Zeit für ein Institut der Zukunft!
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