Also doch, Herkunft, wie immer, dachte ich und legte los: Komplexe Frage! Zuerst müsse geklärt werden, worauf das Woher ziele. Auf die geografische Lage des Hügels, auf dem der Kreißsaal sich befand? Auf die Landesgrenzen des Staates zum Zeitpunkt der letzten Wehe? Provenienz der Eltern? Gene, Ahnen, Dialekt? Wie man es dreht, Herkunft bleibt doch ein Konstrukt! Eine Art Kostüm, das man ewig tragen soll, nachdem es einem übergestülpt worden ist. Als solches ein Fluch! Oder, mit etwas Glück, ein Vermögen, das keinem Talent sich verdankt, aber Vorteile und Privilegien schafft. | Saša Stanišić, Herkunft (2019)
Rassismus und Geschichtswissenschaft
von Christina Morina und Norbert Frei
Die Halbwertzeit eines zeithistorischen Textes, der auch als Gegenwartsintervention gedacht ist, hängt nicht zuletzt davon ab, wie schnell die Gegenwart gewissermaßen zurückinterveniert. Als die AfD im September 2017 in den Deutschen Bundestag einzog, empfanden wir diesen Moment als eine Zäsur, die sowohl den Kern des Selbstverständnisses unserer Demokratie berührte als auch unser Selbstverständnis als Zeithistorikerinnen und -historiker. Mit Zur rechten Zeit wollten wir deshalb, in gemeinsamer Autorenschaft mit Franka Maubach und Maik Tändler, einen Beitrag leisten zur historisch informierten Auseinandersetzung mit der Rechten, mit Nationalismus und Rassismus seit 1945.[1] Wenige Monate vor Erscheinen unseres Buches hatte die Mitgliederversammlung des Historikerverbandes in Münster, ebenfalls als Reaktion auf das Erstarken des Rechtspopulismus, eine „Resolution zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“ verabschiedet. Seitdem ist viel und zugleich wenig passiert.
Resolution ohne Folgen?
Während die „nach Münster“ instigierte Debatte, ob sich ein Berufsverband (tages-)politisch äußern sollte, inzwischen verebbt zu sein scheint, ist in unserer Disziplin – wie in beträchtlichen Teilen von Politik und Gesellschaft, mittlerweile sogar beim Verfassungsschutz – die Überzeugung gewachsen, dass es einer systematischen Auseinandersetzung mit der Rechten bedarf, wenn unsere Demokratie nicht auf Dauer Schaden nehmen soll. So gründeten sich, der Professionslogik und ihren Routinen folgend, wissenschaftliche Gesprächskreise, Projektgruppen und sogar mehr oder weniger institutionalisierte Forschungsverbünde; von politik- und sozialwissenschaftlicher Seite ist auch eine Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung in Planung.[2] Seit dem Corona-Lockdown allerdings war von dem tiefen Unbehagen, das sich eben noch auf Tagungen und Podien, in Lehrveranstaltungen und universitären Flurgesprächen artikulierte und einen anhaltenden Aktivitätsschub erwarten ließ, nicht mehr so viel zu spüren. Aufmerksamkeit ist auch in der akademischen Welt eine rare Ressource, zumal in Zeiten einer historisch beispiellos zersplitterten Öffentlichkeit.
Doch dann kam das entsetzliche Video vom 25. Mai 2020, und nun könnte es sein, dass wir den Tod von George Floyd in Minneapolis einmal als Wendepunkt beschreiben werden: Als den Beginn einer von den USA ausgehenden, weltweit ausgreifenden Protestbewegung und einer im mehrfachen Sinne „globalen“ Debatte, die in ihrer Ernsthaftigkeit, Vielstimmigkeit und – was sich noch zeigen muss – Persistenz die Hoffnung nährt, sie markiere einen transformativen kulturellen Moment. In einer solchen Situation gilt es, so meinen wir, nicht einfach abzuwarten, sondern zu fragen, was wir, auch und gerade in Deutschland, auch und gerade in der deutschen Geschichtswissenschaft, dafür tun können, dass dieser Moment eine wirklich transformative Wirkung entfaltet.
Rassismus als unser Problem
Selbstverständlich bezieht sich dieses „wir“ auf unser Fach im Ganzen genauso wie auf jede(n) Einzelne(n). An dieser Stelle aber meint es vor allem und in erster Linie uns selbst. Denn es geht uns nicht um einen weiteren Appell, die Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus und Rassismus in unserer Gesellschaft entschlossen zu führen. Es geht uns vielmehr darum, für einen fundamentalen Perspektivwechsel zu plädieren, der Auswirkungen auf die eigene Arbeit hat und der sich an unserem erwähnten Buch verdeutlichen lässt: Seit Halle, Erfurt und Hanau, aber eben auch seit Charlottesville, Christchurch, Minneapolis und all den anderen Orten brutaler rechter Gewaltverbrechen und antidemokratischer Mobilisierung, mussten wir erkennen, dass eine unserer zentralen Prämissen die Wirklichkeit nicht genau genug erfasst.
Mit dem Rechtspopulismus, so schrieben wir zur Drucklegung im Dezember 2018, seien Autoritarismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit in die Mitte unserer Gesellschaft vorgedrungen. Aus der Perspektive des politischen Systems mag man den Zugewinn an Stimmen für die AfD nach wie vor in dieser Weise charaktierisieren. Aber eine solche Deutung lässt außer acht, dass nicht nur die Wählerschaft der AfD keineswegs vom Rand der Gesellschaft kommt, sondern dass auch deren Beweggründe in der Mitte unserer Gesellschaft vielfach akzeptiert – und damit auch mobilisierbar – sind. Vorurteile, stereotypes Denken und Rassismus sind in mehr oder weniger hoher Dosierung in jeder modernen Gesellschaft vorhanden. Rassismus als ein „soziales Verhältnis“[3] ist so weit verbreitet und alltäglich, dass man sich zum Beispiel eine „Uni ohne Vorurteil“ zwar wünschen kann, wie es eine Initiative an der Universität Bielefeld tut, dass es aber ehrlicher und realistischer wäre, sich die Einhegung von Vorurteilen auf die Fahnen zu schreiben. Die extreme Rechte spitzt dieses tradierte Denken in Vorurteilen extrem zu, politisiert es und leitet daraus Programmatiken, politische Handlungsmaximen und Gewaltrechtfertigungen ab, die in offenem Gegensatz zum Grundgesetz stehen.
Die Allgegenwart von Rassismus zu konstatieren, bedeutet weder einen Generalverdacht zu erheben noch zu relativieren. Aber es eröffnet vielleicht den Weg zu jener dringend gebotenen Selbstverständigung über die alltäglichen Grundlagen unseres gesellschaftlichen Miteinanders, gerade auch und ganz konkret in unserer akademischen Arbeit. Deutlicher und dezidierter, als das im Allgemeinen bisher der Fall war, geht es darum, die Erfahrungen und das Wissen von Kolleginnen und Kollegen mit ausländischer oder migrantischer Herkunft in Wissenschaft und Gesellschaft hör- und sichtbar zu machen. Das versuchte antisemitische Massaker von Halle und der Massenmord von Hanau an Menschen migrantischer Herkunft, die überwiegend hier geboren sind oder seit Jahrzehnten hier leben und deren Geschichten eng verbunden sind mit der Geschichte der Verwandlung Deutschlands in ein weltoffenes, buntes, diverses und plurales Einwanderungsland, sind und bleiben ein Fanal. Doch die nach einem ersten Erschrecken rasch sich wieder einstellende Achtlosigkeit, die auf die Morde folgte, sprach Bände: Den Karneval mochte man sich durch ein rassistisch motiviertes Verbrechen nicht verderben lassen; in der Tagesschau folgten den Bildern der in Hanau trauernden Angehörigen die Bilder singender Jecken.
Zeitgeschichte als gesellschaftliche Wissensgeschichte
Deutlicher und dezidierter als bisher sollten wir in Lehre, Forschung und Öffentlichkeit nicht nur unser „altes“ Wissen über die Entstehung, Verbreitung und Folgen rassistischer Gesellschaftsentwürfe verhandeln, sondern – gerade als Zeithistorikerinnen und Zeithistoriker – das relativ „junge“ Wissen über das menschliche Genom und die erst seit der Jahrtausendwende empirisch erwiesene völlige Haltlosigkeit rassistischer „Theorien“ in historischer Perspektive zu fassen suchen[4]; die Jenaer Erklärung aus dem Jahr 2019 sollte zur Standardlektüre nicht nur in zeit- und wissenschaftshistorischen Seminaren gehören.[5] Gesellschaften lernen, aber sie lernen langsam, und wenn Wahrnehmungen, Diskurse und Praktiken zu entschlüsseln sind, die mit der Ausformung des modernen Wissenschaftsverständnisses über Jahrhunderte hinweg untrennbar verbunden waren – also mit den Voraussetzungen unseres heutigen Wirkens –, dann kann dies nur gelingen, wenn man den intellektuellen und gesellschaftlichen Kraftakt anerkennt, der für diesen Lernprozess aufzubringen ist.
Seit dem Polizeimord an George Floyd ist international in unserem Fach einiges in Bewegung gekommen, von dem wir uns nicht vorstellen können, dass es nicht auch Auswirkungen auf die Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik haben wird. Am 3. Juni dieses Jahres gründete sich im Rahmen der amerikanischen German Studies Association ein Committee for the Initiative on Diversity, Equality, and Inclusion[6], und die britische Royal Historical Society, in der es seit 2017 eine Race, Ethnicity & Equality Working Group gibt, erklärte am selben Tag: „Racial and ethnic inequality is a pressing issue facing the historical discipline.”[7] Die Royal Society hatte bereits 2018 einen bislang singulär gebliebenen Bericht zu Race, Ethnicity & Equality in der britischen Geschichtswissenschaft veröffentlicht, der eine traurige Bilanz mit einer klaren Handlungsperspekive rahmte: „In UK universities, Black and Minority Ethnic (BME) students and staff in History have disproportionately negative experiences of teaching, training and employment. [..] Our recommendations are based on the premise that the best way of tackling systemic racism within academia is to accept that it exists and that we are all responsible for playing a role in securing racial equality.“[8]
Mit den genannten Stellungnahmen im Frühsommer häuften sich via E-Mail und Twitter Appelle an deutsche Kolleginnen und Kollegen, Antirassismus und Dekolonialisierung auch hierzulande als institutionelle Herausforderungen anzuerkennen. Und das zu Recht, denn es geht nicht nur um die Beseitigung bis heute fortwirkender struktureller, d.h. politischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Folgen von Sklaverei und Kolonialismus, sondern um die überall zu gewärtigenden Formen von Rassismus und historisch gewachsener rassistischer Benachteiligung – eben auch in unserer eigenen (akademischen) Welt. Die Ankündigung des VHD, im Herbst 2020 im Rahmen zweier Onlinepanels zu „Rassismus – Krise – Erinnerung“ mit amerikanischen Kolleginnen und Kollegen „über Bildungsausschluss, konkurrierende Erinnerungsnarrative, Staatsgewalt und Protestbewegungen ins Gespräch kommen“ zu wollen, kann nur ein Anfang sein;[9] von dem andernorts längst sichtbaren institutionell-systemischen Perspektivwechsel bleibt eine solche Initiative noch weit entfernt.
Gewiss, die bundesrepublikanische Zeitgeschichtsforschung hat sich seit ihren Anfängen als kritisch-aufklärerische Demokratiewissenschaft mit den rassistischen und antisemitischen Verbrechen des „Dritten Reiches“ befasst, auch wenn die post-nationalsozialistische Gesellschaft der 1950er Jahre lieber von „Rassenwahn“ sprach (um dessen unvertraute Ferne zu behaupten) als von Rassismus. Und ja, nach einer Weile begann man auch gegen die bequeme Einbildung anzuschreiben, dass Antisemitismus, Rassismus und das Bedürfnis nach gesellschaftlichen Ausgrenzung von Minderheiten mit dem Krieg zu Ende gegangen wären. Aber wie lange zum Beispiel hat es gedauert, bis die rassistischen, antikommunistischen, homophoben und minderheitenfeindlichen Ausgrenzungsregeln der von den Besatzungsmächten überhaupt erst angestoßenen Wiedergutmachungspolitik wirkungsvoll kritisiert und dann auch erforscht wurden? Ungeachtet einer florierenden Historiographie zur alten Bundesrepublik, zur DDR und inzwischen auch zum vereinigten Deutschland sind es bis heute kaum zeithistorische Arbeiten, sondern vor allem sozial- und politikwissenschaftliche Analysen und Erhebungen der Demoskopie, die über die Persistenz und Abrufbarkeit fortbestehender autoritärer und rassistischer Dispositionen Auskunft geben. Anders gesagt: Es gibt für die deutsche Geschichtswissenschaft mit Blick auf die Geschichte des Rassismus und Kolonialismus noch eine Menge zu tun – ganz zu schweigen von der zeithistorischen Erforschung des die gesamte Geschichte der Bundesrepublik durchziehenden Rechtsradikalismus und Rechtsterrorismus.
Persönliche, professionelle und institutionelle Konsequenzen
Doch es geht nicht nur um unsere Historiographie. Es geht auch um unsere Praxis als Lehrende, um unser professionelles Umfeld, unsere Lehrveranstaltungen, Tagungen und Forschungsverbünde, in denen Diskriminierungserfahrungen für manche Menschen alltäglich sind, ohne dass dies der Mehrheitgesellschaft – innerhalb und außerhalb der Universität – überhaupt gegenwärtig ist. „Universities, which we claim to be our professional homes, do not exist in societal isolation“, heißt es so simpel wie richtig im Gründungsstatement des Committee for the Initiative on Diversity, Equality, and Inclusion.[10] Öffnete man sich aus dieser Perspektive im Corona-Sommer 2020 für ein Gespräch über Alltagsrassismus an der Universität – wie es der Zufall wollte: in einem Seminar, das sich gerade mit der Frage nach der Entstehung des modernen Rassebegriffs befasst –, dann förderte schon ein kurzer Austausch traurige Wirklichkeiten zu Tage: Hakenkreuz-Schmierereien des Tischnachbarn, übergriffige „Nachfragen“ zum Thema „Zwangsehe“ gegenüber einer frischverheirateten deutschkurdischen Komilitonin, Sorgen um geschlechts- und/oder herkunftsabhängige Bewertungsmaßstäbe in Prüfungssituationen. Und selbst an einer Einrichtung wie der Universität Bielefeld, die ein umfassendes Diversitätskonzept entwickelt und eine der wenigen Studien zu universitären Diskriminierungserfahrungen durchgeführt hat,[11] wissen Studierende und Promovierende nicht, wohin sie sich mit ihren Erfahrungen wenden können und welche konkreten Reglements und Verfahren existieren, um Diskriminierung zu entgegnen. Schon deshalb brauchen wir mehr solcher Gespräche, die – über den relativ geschützten Raum der Universität hinaus – institutionell ermutigt und gefördert werden müssen. Wir brauchen diese Praxis nicht zuletzt auch, weil sie, in gänzlich anderer Weise als das gelungenste Fachseminar, die Augen zu öffnen und für Rassismus zu sensibilisieren vermag.
Ein Perspektivwechsel lebt nicht in erster Linie von der Kontroverse, sondern von der Reflexionsbereitschaft aller Beteiligten. Aber diejenigen von uns, die sich als Teil der Mehrheit sehen, sind besonders gefordert, über ihre Wirkung auf und ihren Umgang mit Kolleginnen und Kollegen, Studierenden und Promovierenden nachzudenken, die sich als Teil einer Minderheit begreifen (müssen): die anderer Herkunft oder Hautfarbe sind und die es oft enorme Überwindung kostet, ihre Positionen geltend zu machen und auf Anerkennung zu dringen – nicht selten um den Preis, Demütigungserfahrungen mit eigenen Worten zu wiederholen und anschließend der „Betroffenheit“ bezichtigt zu werden. Und es geht darum, sich der unterschiedlichen Verteilung von Verwundbarkeiten und Privilegien („vulnerabilities and privileges“) bewusst zu werden, wie es die Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan formuliert.[12] Wir müssen uns, menschlich und institutionell, für die ungleichen Chancen in unserer (akademischen) Gesellschaft interessieren. Und wir müssen dagegen angehen, persönlich und strukturell: mit Taskforces und gezieltem Mentoring, mit empirischen Studien und persönlichen Gesprächen, mit formalen Reglements und berufsständischem Engagement.
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„Die Allgegenwart von Rassismus zu konstatieren, bedeutet weder einen Generalverdacht zu erheben noch zu relativieren. Aber es eröffnet vielleicht den Weg zu jener dringend gebotenen Selbstverständigung über die alltäglichen Grundlagen unseres gesellschaftlichen Miteinanders, gerade auch und ganz konkret in unserer akademischen Arbeit.“
Als Studentin der Geschichtswissenschaften an der Universität Bielefeld habe ich mich in den letzten Semestern u.a. mit der Geschichte des Kolonialismus und des Antisemitismus auseinandergesetzt. Aktuelle Feindseligkeiten gegenüber Migranten/Ausländern in Deutschland sind meines Erachtens von Ressentiments und inneren Vorbehalten gegen Minderheiten gespeist, die sich in kolonialen Denkmustern und antisemitischer Ideologie sozial, kulturell, religiös und politisch manifestieren. Und rassistische Mechanismen, die ich aus der Antisemitismusforschung kenne, lassen sich in der Diskriminierung anderer ethnischer und/oder religiöser Minderheiten beobachten. So gibt es neben einem „anti-jüdischen“ Rassismus viele Formen von Rassismus, die sich als „anti-afrikanisch“, „anti-muslimisch“ oder „anti-asiatisch“ bezeichnen lassen.
Obwohl ich hier in Bezug auf Dimension und Verbreitung von Feindseligkeit gegenüber (ethnischen) Minderheiten keineswegs eine Parallele zum genozidalen Antisemitismus des Nationalsozialismus ziehen will, ist die Bedrohung, die vom Alltagsrassismus ausgeht, real. Und analog erinnern die Mechanismen der Abwehr von Rassismusvorwürfen gelegentlich an das Abwehrverhalten derjenigen Deutschen, die sich seit 1945 im Angesicht des Völkermordes an den Juden von Schuld und dem vermeintlich damit verbundenen Leidensdruck befreien wollen:
„Das Unbehagen, als Glied in der Generationenkette an der historischen Verantwortung mitzutragen, beschwert viele, die daraus den Schluss ziehen, da sie keine individuelle Schuld trügen, ginge sie das schlimme Erbe der Nation persönlich nichts an. [...] dafür hoffen viele auf ein Ende der Erinnerung durch die zeitliche Distanz und andere auf Befreiung des Nationalgefühls vom Alptraum des historischen Judenmords durch Vergessen und Verdrängen oder durch Relativieren mit dem Hinweis auf die Sünden anderer.“ (Wolfgang Benz: Was ist Antisemitismus? München 2004, S. 24).
Von Alltagsrassismus betroffene Menschen, die sich über eine Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft beschweren, müssen oft mit einem ähnlichen Mechanismus der Schuldabwehr rechnen wie heute in Deutschland lebende Juden, die gegen den wachsenden Antisemitismus protestieren. Sie treffen in ihrer Kritik nicht selten auf Unverständnis, das mit der Behauptung kombiniert wird, sie seien selbst daran schuld, dass ihr Verhalten Ressentiments hervorrufe. Dieses Muster wird unreflektiert auf Ausländer/Einwanderer/Menschen mit Migrationshintergrund übertragen: Ausländer sollten keinen Rassismus beklagen, sondern sich besser integrieren. Es verbreitet sich zudem auch in der Mehrheitsgesellschaft eine zunehmend geschichtsvergessene Haltung, die den Zusammenhang zwischen Rassismus und Gewalt nicht konsequent genug reflektiert.
In (zeit)-geschichtlicher Perspektive zeigt sich, dass der Rassismus eine Geschichte hat, die noch nicht vergangen ist. In Deutschland macht sich „Deutsch-Sein“ tendenziell immer noch nicht an der deutschen Staatsbürgerschaft (citizenship) fest, sondern an einer spezifisch deutschen kulturellen Identität, die jeder Zuwanderer erst erwerben muss, aber im Grunde niemals erwerben kann. Dazu hat er/sie angeblich das „falsche“ Aussehen, die „falsche“ Religion und das „falsche“ Bewusstsein. Im Grunde zeigt sich hier, dass das Konstrukt des ius sanguis, das lange Zeit deutsche Zugehörigkeitsvorstellungen zugleich reflektiert und geformt hat, noch lange nicht überwunden ist.
Abschließend möchte ich als Deutsche mit jesidischen Wurzeln betonen, dass persönliche Rassismuserfahrungen nicht der Phantasie oder Hypersensibilität eines „falschen“ migrantischen Bewusstseins entspringen. Als Schülerin und Studentin habe ich im hiesigen Bildungssystem ambivalente Erfahrungen gemacht: Einerseits habe ich von schulischen und universitären Lehrpersonen profitiert, die mich vielfach ermutigt und unterstützt haben. Andererseits wurde ich auch von Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet, die mir ein akademisches Potential von vornherein absprachen und meiner Mutter mitteilten, dass ich doch nicht auf das Gymnasium gehöre, sondern bestenfalls auf die Realschule. Mein Deutsch reiche für den erfolgreichen Besuch des Gymnasiums nicht aus. Am Gymnasium musste ich in der Erprobungsstufe gegen die Vorurteile einiger Lehrpersonen kämpfen, die mir trotz meines hohen Engagements im Bereich der sonstigen Mitarbeit konsequent schlechtere Noten gaben als eher passiven „deutschen“ Mitschülerinnen und Mitschülern.
Nun haben sich die Zeiten geändert. Nicht nur ältere deutsche Menschen machen mir auf dem Weg zur Universität Komplimente dafür, dass ich meine Muttersprache so gut beherrsche. Andere äußern ihr Erstaunen darüber, dass ich in so kurzer Zeit „so gut Deutsch gelernt“ habe, als wäre ich eine Einwanderin, die gerade das Flughafengelände verlassen hat. Ich bekenne angesichts solcher Erlebnisse, dass mich auch sicher nett gemeinte Kommentare – etwa über die hohe Integrationsfähigkeit meiner Familie („Deine Mutter spricht und kocht ja wie eine echte Deutsche!“) genauso irritieren wie xenophobe verbale Entgleisungen im Gewand eines widerwilligen Kompliments („Ihr seid wenigstens Schwarzköpfe, die nicht von Stütze leben“). Wirklich enttäuschend, wenn auch nicht überraschend, ist die Erfahrung, dass Klagen über alltagsrassistische Erfahrungen bei nicht-migrantischen Bekannten und Freunden immer wieder zu Abwehrreaktionen führen: Solche Empfindlichkeiten seien doch potentiell wehleidig und/oder beruhten auf einem kulturellen Missverständnis („Das bildest du dir ein, jetzt sei mal nicht überempfindlich“). Doch keineswegs handelt es sich hier um ein rein oder „typisch deutsches“ Phänomen. Während eines einjährigen Auslandsaufenthaltes wurde ich, wenn ich mich als Deutsche vorstellte, nicht selten nach meiner „echten“ Herkunft gefragt: „Where do you really come from? You don‘t look German at all!“ Da gewöhnte ich mir an, Bemerkungen wie diese als Kompliment aufzufassen.
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Da hat die Frau Professor wirklich einen Bock geschossen.
Mit freundlichen Grüßen,
Michael Walter
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Aha, weiter braucht man gar nicht mehr zu lesen. Antikommunistische Ausgrenzungsregeln - weil der Kommunismus mit 60 Millionen Toten und unsäglichem Leid ja so erstrebenswert ist. Frau Morina - fahren sie mal nach Nordkorea.
Es war die Ausgrenzung des Kommunismus, die am Ende die Freiheit gebracht hat.
Sorry, unfassbar hier solch Hanebüches lesen zu müssen.