Der Kurzfilm „Gold des Nordens“ (D 2003) handelt von der Herstellung einer steinzeitlichen Bernsteinperle. Hier zeigt und erklärt der Schleswiger Experimentalarchäologe Harm Paulsen auf verständliche Weise, wie diese Schmuckstücke in der Steinzeit gefertigt wurden. Mit einer Dräue, dem steinzeitlichen Handbohrer, und scharf geschliffenen Steinen formt Paulsen das versteinerte Harz zu einem doppelaxtförmigen Schmuckstück. Aufgefädelt zu einer Kette fanden sich diese daumendicken Artefakte in zahlreichen steinzeitlichen Hünengräbern rund um Schleswig-Holstein, was ihre Funktion als Statussymbol innerhalb der neolithischen Gesellschaft belegen könnte.
Produziert wurde der dreiminütige Kurzfilm von der AG Film der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel für eine Ausstellung des Archäologischen Landesmuseums Schloss Gottorf in der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen. Die Regie führte der Filmwissenschaftler und Direktor des Fördervereins Cinarchea Dr. Kurt Denzer.
Vom Fund zum Film
Die Initialzündung lieferte Denzer (*1939) der spektakuläre Fund des einzigen bis dahin in Deutschland georteten Wracks eines Wikingerschiffs. Das Schiff sank im einstigen Hafenbereich der Siedlung Haithabu. Der Ort an der Schlei zählte vom 9.-11. Jahrhundert zu den zentralen Umschlagsplätzen im Warenverkehr zwischen dem europäischen Festland und den Rohstoffmärkten Nord- und Osteuropas. Als 1974 die schleswig-holsteinische Landesregierung beschloss, hier eine größere Grabung durchzuführen und das Wikingerschiff zu bergen, erhielt der Filmwissenschaftler Denzer fünf Jahre später den Auftrag, die Bergung filmisch zu dokumentieren und einen Film für das geplante Wikinger Museum Haithabu (WMH) herzustellen. Seine Filmcrew rekrutierte der damalige Leiter der Kulturabteilung des Studentenwerks Schleswig-Holsteins aus Mitgliedern der Studentischen Arbeitsgemeinschaften und dokumentierte alle Phasen der umfangreichen Grabungskampagne um Haithabu von Anfang an.
Archäologie und Film
Entstanden sind dabei mehrere Filme, die sowohl für die Vorführung im WMH als auch für den Einsatz in Schulen und Bildungseinrichtungen geeignet sein sollten. Sie zeigen die Lebenswelt der Wikinger und beschäftigen sich dabei mit deren materiellen Hinterlassenschaften. Die Dokumentation der archäologischen Arbeit steht im Zentrum. Dabei lag des Filmemachers Fokus besonders auf der experimentellen Archäologie. Über die originalgetreue Rekonstruktion von Fundstücken versuchen dabei die Forscher, genauere Rückschlüsse auf Bauweise, Aussehen und Funktion von historischen Objekten zu erhalten. Denzers „Die Glocke von Haithabu“ (D 1981/91) ist ein früher filmischer Versuch, einen archäologischen Befund zu verlebendigen und die Arbeitsweise der Archäologen ins Zentrum der Dokumentation zu rücken.
Mit seinen Filmen bot Denzer eine erfrischende Alternative zu den bisherigen Filmen, die sich mit Archäologie beschäftigten. In ihnen glaubte er ein „arrogantes Fehlverhalten“ erkennen zu können. Laut Denzer galt jenen „wissenschaftliches Tun als fade oder uninteressant, zumindest aber als unfilmisch und der Zuschauer als uninteressiert, derartige Dinge kennenzulernen, oder aber schlicht als überfordert.“
Im Zentrum stand die visuelle Inszenierung archäologischer Sachverhalte. Der überbetonte filmische Einsatz von Ton, Bild und Schnitt ließ den Zuschauer nur wenig Information im Gedächtnis behalten.
Von „Die Welt der Wikinger“ (D 1986) über „Das Haithabu-Schiff“ (D 1979 – 1985) bis hin zu „Vom Baum zum Einbaum“ (D 1989) – Denzers Experiment zur Etablierung eines „archäologischen Films“ startete erfolgreich. Alle drei Filme wurden gleich auf mehreren internationalen Dokumentarfilmfestivals mit dem ersten Preis prämiert.
Vom Experiment zur Institution
Grund genug also, für den damals 55-jährigen sein eigenes „Archäologie-Film-Kunst-Festival“, die CINARCHEA, ins Leben zu rufen. 1994 startete das erste Festival des archäologischen Films in Deutschland. In einem Pressetext bezeichnete Kurt Denzer die Synthese von Archäologie und Film als eine „fruchtbare Verbindung“. Weiter hieß es, dass diese Verbindung es auch erlaube, „die Arbeit der Archäologen und deren Ergebnisse anschaulich zu machen. Grabungs- oder Rekonstruktionsarbeiten und die praktischen Versuche der experimentellen Archäologie werden im Film für den interessierten Laien nachvollziehbar.“
Bereits damals wurde an dieser Stelle das große Potential von digitalen und computeranimierten Rekonstruktionen erkannt. So lassen jene „ganze Städte der Antike wiederauferstehen und machen sie für den Zuschauer geradezu begehbar“.
Denzer richtete sein Festival an ein Publikum, dass sowohl die interessierte Öffentlichkeit als auch Fachleute ansprechen sollte. Rund 50 Filme aus elf Ländern wurden im Wettbewerb gezeigt und im Rahmen eines Symposions wissenschaftlich diskutiert. Preise wurden in den Kategorien Großer Preis, Preis der Jury, Spezialpreis für Didaktik, Spezialpreis für Experimentelle Archäologie, Spezialpreis für Grabung und Methoden und Spezialpreis des Publikums vergeben. Liebling der Jury war der Dokumentarfilm „Bunte Götter“ (D 1992) von Ewerhard Engels.
Mehr als 1300 Besucher konnte CINARCHEA im ersten Jahr ihres Bestehens verzeichnen. Darunter waren zahlreiche Archäologen und andere Vertreter interdisziplinärer Forschungsbereiche. Was als Experiment begann, wurde in den kommenden Jahren zur Institution. Die beliebte Veranstaltungsreihe zum archäologischen Film konnte von 1996 – 2008 beinahe 10.000 internationale Besucher nach Kiel locken.
Die letzte CINARCHEA
Heute ist Dr. Kurt Denzer Anfang 70. Sein Festival ging dieses Jahr in die neunte Runde. Zusammen mit dem Institut für Ur- und Frühgeschichte und der Graduiertenschule der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel präsentierte er im April 2010 in der Kieler Kunsthalle erneut seine CINARCHEA, allerdings zum letzten Mal.
Hatte Denzer es sich vor 16 Jahren mit seinem ersten Festival zum Ziel gesetzt, „möglichst viele Facetten eines wissenschaftlichen Fachs im Medium Film zu zeigen und den Horizont durch Seitenblicke auf künstlerische Ausdrucksformen zu erweitern“, erscheint ihm heute ein solches Vorhaben auf dem Feld der gängigen TV-Dokuformate nicht mehr möglich.
So hatte Denzer bereits in der Vorarbeit auf das diesjährige Festival Schwierigkeiten bei der Auswahl der Filme:
„Trotz der Fülle der Einsendungen kam weder die erhoffte Qualität im Einzelwerk noch die erwünschte Abwechslung auf. Die meisten Filme sind weiterhin TV-Produktionen und haben die arte-Länge von 52 Minuten oder das ZDF-Maß von 45 Minuten. Dieses Längendiktat des Fernsehens verbunden mit anderen redaktionellen Vorgaben erzeugt bereits insgesamt einheitliches Aussehen, die uns anfangs als Handicap für eine abwechslungsreiche Programmgestaltung vorgehalten wurde, nun auf Grund eines Einheitslooks der Gestaltung uniformiert wird.“
Bereits in den Symposien 2004 – 2008 wurden Tendenzen zur größeren Emotionalisierung, übertriebenen Digitalisierung und Popularisierung durch Re-Enactmentszenen in Archäologiefilmen der letzten Jahre erkannt und auf deren Gefahren hingewiesen.
Schuld daran sei hauptsächlich das Gestaltungsdiktat der TV-Sender, das beim Zuschauer den Wiedererkennungseffekt gewährleisten soll und dabei jeden Wunsch nach Abwechslung und Innovation im Keim ersticke. Momentan sieht Denzer keine Aussicht auf den weiteren Bestand des Festivals. Dennoch sollen weiterhin in kleinerem Rahmen unter dem Signum CINARCHEA medienkritische Veranstaltungen stattfinden, die „zugleich Auskunft geben können darüber, wie heute wissenschaftlich fundierte, aber populär gehaltene Beiträge Verbreitung finden können.“ Ausführliche Berichte finden sich hierzu in Denzers Publikation „Cinarchea – eine Chronik“ (Kiel 2010).
Wissenschaft und Popularität – ein unmachbarer Spagat?
Laut Kurt Denzer kann die Archäologie mit den bei CINARCHEA gesammelten Erfahrungen „noch auf längere Zeit die gerade in diesem Fach nötige Breitenwirkung im Medium Film entfalten und könnte es schaffen, damit Interesse am wissenschaftlichen Arbeiten zu kultivieren“.
Kurt Denzer kritisiert zu Recht das Uniformitätsdiktat der gängigen TV-Formate, die sich mit Archäologie und Geschichte beschäftigen. Sind alle inhaltlich ähnlich im Verhältnis von Bild- und Textebene, ist deren Inszenierung meist von pathetischer und reißerischer Natur. Oft bleibt dies der von der Senderfarbe gewünschten Dramaturgie geschuldet. Ein Sprecher aus dem Off erzählt die Geschichte, erläutert Zusammenhänge und kommentiert das Gezeigte. Meist stimmt dabei die Bild- mit der Textebene nicht überein, was der Emotionalisierung allerdings keinen Abbruch tut. Mit einer thematisch passenden Identifikationsfigur wird versucht, eine Beziehung zum Zuschauer zu generieren. Das Gezeigte wird personalisiert, der Betrachter soll „Geschichte erleben“.
Ein Beispiel dafür lieferte Denzers Festival selbst. Der Gewinner des Festivals 2008 „Kyys, die Schamanin von Jakutien“ von Marc Jampolsky entwirft in starken Bildern und mit atmosphärisch musikalischer Untermalung ein eindrucksvolles Bild der alten Kultur der Jakuten, der heutigen Einwohner von Sibirien und der alltäglichen Arbeit der Archäologen vor Ort. Sei es bei der Rekonstruktion des Lebens der vergangenen Kultur oder bei der Aufarbeitung des Konflikts von Archäologie und lebendiger Zivilisation: Hier steht der Aspekt Mensch im Blickpunkt. Dabei präsentiert sich die arte-Produktion formal im Gewand der modernen Infotainmentprogramme: eine Sprecherin aus dem Off erläutert das Gezeigte, die Forscher kommen zu Wort, geschichtliche Informationen werden eingestreut. Musik und malerische Landschaftsaufnahmen sorgen für Atmosphäre.
Wissenschaftliche Palusibilität gewann Denzers Produktion, indem der Zuschauer dem Forscher über die Schulter, gewissermaßen also auf die Finger schauen konnte. Sparsam wurde mit dem Einsatz von Musik und visuellen Effekten umgegangen. Dabei bot die Experimentalarchäologie ein geeignetes Instrument.
Aber kann eine archäologische Dokumentation, die kulturhistorische Zusammenhänge mit archäologischen Befunden mischt und deshalb stark von einem erklärenden Sprecher abhängt, überhaupt diesen Ansprüchen genügen? Hier sollte doch der Zuschauer genauso an den wissenschaftlich fundierten Charakter der Aussagen des Sprechers glauben, wie an die authentisch verwendeten Mittel des Experimentalarchäologen. Beides ist eine berechtigte Form der Wissensvermittlung und daher durchaus vertretbar. Über den jeweiligen Grad der Wissenschaftlichkeit lässt sich freilich streiten, die Präsentation ist abhängig von den Sehgewohnheiten des Rezipienten.
Was bleibt, ist das Problem der Uniformität und damit die Frage, ob Geschichte bzw. Archäologie in dieser Art und Weise präsentiert werden kann und darf. Vielleicht könnte man die Frage auch anders formulieren: Hängt das Format der aktuellen Fernsehdokumentationen tatsächlich ausschließlich vom Diktat der Programmchefs ab oder handelt es sich bei dieser Art von Wissensvermittlung einfach um jene Form, die bei ihren Adressaten am beliebtesten ist?
Unumstritten dürfte sein, dass in einem modernen Kommunikationszeitalter die meisten fachlich Interessierten zur ersten Information über historische oder archäologische Sachverhalte die unterhaltsame Fernsehdokumentation oder den schnellen Blick ins Internet bevorzugen. Die anschließende Fachlektüre schließt das aber nicht automatisch aus. Hier wird Lust auf Geschichte gemacht, die Notwendigkeit zu Forschen und der Mut zur Wissenschaft werden vor einem großen Publikum kommuniziert. Und das ist eben jene Zielgruppe, die Kurt Denzer bei der Eröffnung seines Filmkunstfestivals als „interessierte Laien“ im Kopf hatte.
CINARCHEA DVD-Edition:
- Die Welt der Wikinger (D 1986, Länge: 38 Min; Auszeichnungen: I. Preis für Archäologie beim 3. Festival International du Film d'Art et d'Archéologie de Bruxelles 1986, Spezialpreis der Jury beim "2ème Festival du Film Archéologie de Paris" 1987)
- Das Haithabu-Schiff (D 1979 – 1985, Länge: 30 Min.; Auszeichnungen: Prix du Meilleur Film du Chantier de Fouille du Festival ICRONOS à Bordeaux 1994
- Der hölzerne Kalender: Dendrochronologie in Haithabu (D 1994, Länge: 34 Min)
- Eine Messmethode und ihre Folgen: drei Filme auf einer DVD (D 1981 – 91, Länge: ca. 60 Min)
- Mit Shangri-La auf Wikinger-Kurs: auf den Spuren des Wikingers Leif Eriksson (D 1987, Länge: 90 Min., Auszeichnungen: Mention d'honneur beim XXIIIe Festival International du Film Maritime et d'Exploration, Toulon/France 1991)
Buch:
K. Denzer, CINARCHEA. Das internationale Film-Kunst-Festival 1992 - 2010.
Eine Chronik (Kiel 2010)
192 S., 250 Abb. sw/col,
Kiel 2010, Verlag Ludwig,
ISBN 978-3-86935-027-1, 19,90 €
weitere Informationen:
http://www.uni-kiel.de/cinarchea/index.htm