Sie lesen täglich über ein Land, von dem die meisten wahrscheinlich gar nicht wussten, wo es liegt. Und Timbuktu stand oder steht wohl eher für ganz weit weg. Bei Donald Duck zum Beispiel, wenn einer in die Wüste geschickt werden sollte, weil man ihn loswerden wollte, dann stand im letzten Cartoonbild ein Wegweiser oder Kofferaufkleber nach Timbuktu. Timbuktu, die mysteriöse und geheimnisvolle Oasenstadt. An der marokkanischen Grenze steht ein berühmter Wegweiser: Tombouctou 52 Tage. Es gibt Postkarten von dem Schild - da heißt es „Start zum Abenteuer“. Ja, es ist ein faszinierender Ort. Ich war oft dort. Und von diesen persönlichen Erfahrungen in Mali möchte ich Ihnen ein wenig erzählen. [...]
"Mali galt als demokratischer Vorzeigestaat, das Musterland Afrikas"
Zuerst ein paar Daten, die Ihnen wahrscheinlich inzwischen geläufig sind: Die Republik Mali ist etwa so groß wie ganz Europa ohne Spanien. Bei etwa 14 Millionen Einwohnern. Ein Binnenland mit 60 Prozent Wüste. Am Südrand der Sahara in der Sahelzone. Am 22. September 1960 machte es sich von französischer Kolonialherrschaft unabhängig. Als erster Staat erkannte Deutschland die Republik Mali an. Deswegen ist das diplomatische KFZ-Zeichen in Mali für Deutschland die Nr. 1, also für die Botschaftsangehörigen. Wenn Sie mit Malier sprechen, die wissen das noch heute und fühlen sich mit Deutschland verbunden. Deutsch wird als 2. Fremdsprache gelehrt, mehr als 100.000 Schüler lernen es.
Bis zur Rebellion im vorigen Jahr galt Mali als demokratischer Vorzeigestaat, das Musterland Afrikas. Der demokratische Hoffnungsträger des Kontinents. Freie Wahlen, mehrere Parteien. Die Achtung der Menschenrechte wurde bescheinigt, es gibt Pressefreiheit, starke Rechte für Frauen. Auch wenn ein Mann vier Frauen heiraten kann. Dies ist in den gebildeten Klassen aber sehr selten und gibt es eher auf dem Land. Unser Fahrer lockte uns gute Trinkgelder heraus mit dem Hinweis, dass er sich eine zweite Frau nehmen wollte. Und die kostete mehrere Sack Erdnüsse. Die erste Frau muss mit der Wahl einverstanden sein. Schon bei meinem ersten Besuch in den 1970er Jahren machte ich einen Besuch bei der Union de femmes du Mali. Eine Vereinigung sehr selbstbewußter und tatkräftiger Frauen, die überall im Land Mutter-Kind-Zentren errichten. Die kamen mir keineswegs unterdrückt vor. Frauen, die Mitglied werden wollen, müssen einen Jahresbeitrag bezahlen. Wenige Cents zwar, aber was nichts kostet, ist nichts wert.
"Von den Franzosen mit dem Lineal auf der Karte erschaffen"
Ich möchte Ihnen von einem Land erzählen, das mir mit seinen freundlichen Menschen ans Herz gewachsen ist. Ein anderes Land als das, von dem Sie täglich hören. Mein Mann und ich hatten die Bekanntschaft des damaligen malischen Botschafters gemacht, einem Geschichtsprofessor von der Pariser Sorbonne. Weihnachten 1973/74 flog ich das erste Mal in die Hauptstadt Bamako. Ziemlich frisch von der Uni, jung verheiratet. Meinem Mann war das Amt des Honorargeneralkonsuls für Norddeutschland angetragen worden und es galt, sich dem Präsidenten und dem Außenminister vorzustellen. Der Präsident war Rotarier, und Sylvester erlebte ich mein erstes rotarisches Bankett. Das ist nun rund vierzig Jahre her. Damals trug noch jeder und jede diese wunderschönen langen weiten Gewänder, Boubous, auch auf der Strasse, im täglichen Leben. Ein Staatengebilde, das die Franzosen mit dem Lineal auf der Karte erschaffen hatten, willkürliche Grenzziehungen quer durch die verschiedenen Volksgruppen. Die Menschen einiger Stämme sind anders als unser geläufiges Bild: groß, schlank, schmale feine Gesichter.
Mali hat sich seinen Namen gegeben nach seiner großen Zeit, dem westafrikanischen Großreich von Melli, das im 14. Jahrhundert vom Atlantik bis Nigeria reichte. Aufgrund seiner Goldminen ein Imperium reich wie kein anderes und so groß wie das mongolische Reich. Die Goldwährung des mittelalterlichen Europas und Arabiens basierte auf westafrikanischem Gold, selbst die Goldmünzen in England. Es gibt eine zeitgenössische arabische Karte, die einen reichgekleideten Herrscher mit einem dicken Goldklumpen darstellt. Er hält ihn wie einen Reichsapfel unserer Kaiser in der Hand. Aber aus purem Gold. Es ist der legendäre Kaiser von Melli, Mansa Musa. Belegt ist seine sagenhafte Wallfahrt nach Mekka im Jahre 1324. Angeblich hatte er 60.000 Bedienstete bei sich und zwei Tonnen Gold. Nun, die Zahlen mögen übertrieben sein. Belegt ist allerdings, dass er auf seiner Pilgerreise so viel Gold ausgab, dass noch zehn Jahre später der Goldpreis in Kairo seinen alten Stand nicht wieder erreicht hatte.
Noch heute macht Gold 75 Prozent des Exports aus. Ich habe in den Bergwerken vor Jahren einen Film gedreht. In den Minen wird gearbeitet wie vor 500 Jahren. Oberirdisch, barfuß, fast nackt werden da Löcher gegraben - ohne Schutz. In einer der heißesten Regionen der Erde. Mali gehört heute zu den ärmsten Ländern der Welt nach Ausbeutung durch Marokkaner und Franzosen, die es 1880 zu Kolonie machten. Die Lebenserwartung ist 48 Jahre durchschnittlich, jeder zehnte Säugling stirbt.
"Es gab keine Neuinfektionen mehr"
Besonders stark war Polio verbreitet. Ich erinnere mich an die ersten Besuche, an die vielen verkrüppelten Kinder auf den Straßen. Mein Mann als malischer Generalkonsul tat sich mit dem damaligen Dompropst von Ratzeburg zusammen und sie gründeten das Kinderhilfswerk für die Dritte Welt. Als erste Hilfe wurden Krücken und Rollstühle in Deutschland gesammelt und nach Mali transportiert, dann Handwerker ausgebildet, die selber Prothesen herstellen konnten. Doch dann ging es darum, Polio in diesem Land zu besiegen. Es gelang mithilfe der Hamburger Impfanstalt, dessen Leiter damals Professor Ehrengut war. Es muss ja eine bestimmte Menge an Impfeinheiten zu den Impfterminen bei uns vorrätig sein. Da aber die Impfmüdigkeit zugenommen hatte, musste man viele Dosen wegwerfen, da sie nicht ein Jahr bis zum nächsten Impftermin halten.
Und das war die Idee. Ehrengut schrieb alle Kollegen an, sammelte hunderttausende von Impfeinheiten, wir organisierten den Kühltransport. Die Air Mali transportierte alles kostenlos nach Bamako. Dort waren an den Tagen vor unserer Ankunft Lautsprecherwagen durch die Stadt gefahren, die zur Impfung der Kinder in den Mutter-Kind-Zentren aufriefen. Es war unglaublich. Lange vor der Ankunft stürmten die Mütter mit ihren Kleinen die Zentren. Es gibt Fotos, wie sie im Gedränge die Scheiben einschlagen. Die Zuckerstückchen waren bald alle. Wir kniffen dann die Wangen zusammen und tröpfelten die Einheiten ein. Das war eine logistische Leistung Anfang der 1980er Jahre. Schließlich musste festgehalten werden, wer schon eine Impfung hatte, da gab es ein Stück abgestempeltes Papier. Die Impfung wurde nach sechs Wochen wiederholt, dann nach zwei Jahren. Inzwischen war die Aktion aufs Land ausgeweitet worden. Millionen Einheiten wurden insgesamt über die Jahre verteilt. Alle kostenlos. Sie wären sonst in Deutschland vernichtet worden.
Dann der große Augenblick, als die Statistiken zeigten: es gab keine Neuinfektionen mehr. Es war ein unglaubliches Ereignis. Die Zeitungen waren voll davon. Professor Ehrenguts Konterfei kam auf eine malische Briefmarke, mein Mann bekam einen Orden und der senegalesische Präsident meldete sich mit der Bitte, die Aktionen auch im Senegal durchzuführen. Das gab dann wieder einen Orden...
"Hauptumschlagplatz für den Handel mit Sklaven, Gold und Salz"
Wer heute das arme Mali betrachtet kann sich kaum seine Blütezeit im Mittelalter vorstellen. Die Blütezeit des großen Reiches von Melli war auch die Blütezeit Tombouctous, der alten Karawanenstadt am Niger. Wir sagen und schreiben Timbuktu. Das ist, als wenn wir für Lourdes LURD schreiben. Tom bedeutet Brunnen. Bouktou, eine Frau mit diesem Namen, soll der Sage nach von den Wüstennomaden, den Tuareg, eingesetzt worden sein, den Brunnen zu bewachen, den ersten großen Brunnen nach der Durchquerung der Sahara. Tuareg. Das ist die Mehrzahlform. Einzahl Targi. Weiblich Targia. Ein Berbervolk, das mit der marokkanischen Eroberung Mellis im 16. Jh in die Sahelzone einwanderte.
Tombouctou, der Brunnen der Bouktou, wurde erst im 19. Jahrhundert von Ungläubigen, also Christen, betreten. Bis dahin galt es als die geheimnisvolle, sagenhaft reiche Stadt mitten in der Wüste, deren Straßen mit Gold gepflastert waren. Der zweite Europäer überhaupt, der auch heil wieder zurückkehrte, war der Hamburger Afrikaforscher Heinrich Barth. Am Johanneum machte er Abitur, lernte bei mehreren Afrikareisen afrikanische Dialekte, auch den der Tuareg. Als er am 7. September 1853 Timbuktu erreichte, gab er sich als türkischer Muslim aus. Das Haus in dem er während seines Aufenthaltes wohnte, können Sie heute noch in Timbuktu besichtigen.
Die Oasenstadt für den Transsaharahandel war vom 12. bis zum 16. Jahrhundert das Zentrum islamischer Gelehrsamkeit, Forschung und Religion. Die berühmte Universität beherbergte 15.000 Gelehrte und Studenten aller Fakultäten. Angeblich hatte es 100.000 Einwohner (neuere Forscher sprechen von maximal 50.000) und noch wichtiger: mehr Bücher als Einwohner. Vergleichen Sie das mal mit Hamburg im 12. Jahrhundert...
Es war der Hauptumschlagplatz für den Handel mit Sklaven und Eunuchen für Ägypten und Arabien, mit Gold und heute noch mit Salz aus den Salzminen in Taoudenni 600 Kilometer nördlich von Timbuktu. Die Karawanen bestanden manchmal aus hunderten von Dromedaren. In Timbuktu wurden die Waren dann auf dem Niger verschifft.
Der Sklavenhandel ist einer der Gründe für den Streit zwischen Schwarzen und Tuareg. Die werden Les Blancs genannt. Die Weißen. Die hellhäutigen Herren. Sie waren als Sklavenjäger in den schwarzen Stämmen unterwegs. Nach Kolonisierung und Unabhängigkeit wurden schwarze Verwaltungsbeamte in Timbuktu eingesetzt, die jetzt über die berberischen Nomaden zu bestimmen hatten. Die sogenannten Unfreien, die seit dem Mittelalter als Sklaven ausgebeutet worden waren, waren jetzt Freie. Da war es klar, dass das zu Auseinandersetzungen führen würde.
"In Timbuktu gibt es keine goldenen Straßen, sondern nur sandige"
Ich erinnere mich an einen Aufenthalt Ende der 1970er Jahre. Wir waren mit einem Sonderflug mit einer Delegation aus Hamburg gekommen, es ging um eine wirtschaftliche Zusammenarbeit. Mit dem Hamburger Bürgermeister. Ich glaube, das war das erste und letzte Mal, dass in Fühlsbüttel ein Direktflug nach Bamako angezeigt war. In Timbuktu gab es uns zu Ehren ein großes Fest. Ich vergesse das nie: auf dem viereckigen Platz waren zwei Seiten für die Schwarzen, zwei Seiten für die Weißen, die Tuareg, reserviert. Mit ihrem Gesichtsschleier saßen sie bewegungslos, schweigend, stolz auf ihren Dromedaren oder Kamelen. Und musterten uns aus dem schmalen Augenschlitz. Irgendwie unheimlich. Das war ja ein offizieller Anlaß, keine Folklore für Touristen in Marokko. Gegenüber auf den beiden Seiten wurde gesungen, gelacht, getanzt, Männer und Frauen, alle bunt gekleidet, fröhlich. Zwei extrem verschiedene Welten. Anschließend gab es ein Kamelmechouie. Also Kamel vom Spieß. Das war seit zwei Stunden am Spieß gedreht worden. Als man des Kamel verteilte, kam im Inneren ein Schaf zum Vorschein, darin eine Ziege, darin ein großes Huhn, darin eine Taube, darin ein Ei. Das bekam ich dann und sollte es essen (immer noch besser als auf einer Ausgrabung in Syrien, wo der oberste Scheich mir als Ehre das Hammelauge anbot).
Die alte Karawanenstadt liegt heute durch Versandung rund acht Kilometer vom Niger entfernt. Der einstige Kanal ist auch längst versandet. Die Sahara ist in den letzten zwanzig Jahren einhundert Kilometer nach Süden gewandert. In Timbuktu gibt es keine goldenen Straßen, sondern nur sandige. Die Bewohner sind damit beschäftigt, ihre Hauseingänge freizuschaufeln. Der Sand liegt meterhoch. Trotzdem ist der Ort immer noch eindrucksvoll mit seinen Moscheen in traditioneller Lehmbauweise. Immer noch ein starker Ort. Ein Kraftort, sagen die Esoteriker. Die jahrhundertealten Moscheen und die Bibliothek sind Weltkulturerbe. Wie bereits in Afghanistan die Buddhafiguren wurden sie durch Islamisten zerstört. Und die Ahmet Baba Bibliothek mit ihren zigtausend uralten Büchern, zum Teil aus dem 12. Jahrhundert, verbrannten sie bei ihrem Rückzug im Januar. Ein Verbrechen auch an unsere Geschichte. Bilder, die weh tun. Doch es gibt Bericht, dass vor der Eroberung viele alte Schriften versteckt worden seien. Überhaupt soll noch eine riesige Zahl von Manuskripten in Privatbesitz sein, man spricht von 300.000.
Zum Abschluss möchte ich noch von meinem letzten Besuch im Ahmet Baba Zentrum erzählen, zu dem wir unseren damals neunjährigen Sohn mitnahmen. Wir waren vom Gouverneur zu einem offiziellen Besuch in der Ahmet Baba Bibliothek eingeladen worden. Und eines vergesse ich nie: Den beiden Herren, auch meinem neunjährigen Sohn, wurden Stühle angeboten zum Eintragen in das Goldene Buch. Ich musste ein paar Meter dahinter stehen! Aber trotzdem ein faszinierendes Land. Sie sollten es besuchen, wenn es wieder befriedet ist.
Ich hoffe, Ihnen hiermit ein Land etwas anders näher gebracht zu haben als Sie es sonst aus den Nachrichten gewohnt sind...
Reaktionen auf den Beitrag
Kommentar
Die Sklaverei ging von den malischen Bevölkerungsgruppen den Bambara, Songhai, Peul, alles sogenannte "schwarze" afrikanische Volksgruppen aus.
Der Konflikt zwuschen diesen Bevoelkerungsgruppen und den Berbern kommt nicht vom Sklavenhandel, schliesslich war mansa musa der grösste Sklavenhändler, sondern rührt daher, dass im Zeitalter des Kolonialismus die Europäer den Tuareg einredeten Sie seien eine "bessere" Rasse, und letztere haben ihnen das eben gerne geglaubt, denn schliesslich waren ja auch die europ. kolinisatoren hellhäutiger
mfg
A. ussher