Der Vortrag von Prof. Dr. Dorothea Weltecke (HU Berlin) bietet einen Überblick über Motive in der antijüdischen Polemik der lateinischen Kirche und ihre Folgen für die Geschichte der Kirche und der jüdischen Gemeinden. Er zeigt die widersprüchlichen Tendenzen der mittelalterlichen Welt im Zusammenleben und in der Theorie der Beziehungen von Juden und Christen auf. In den Städten der Deutschen Lande existierte bis ins 15. Jahrhundert eine hebräisch-lateinisch-deutsche Kultur, die von Juden und Christen gestaltet wurde. Sie wurde in der Mitte des 15. Jahrhunderts fast überall zerstört, die Erinnerung daran verschwand. Auf der anderen Seite nahm die Gewalt gegen Juden seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert spürbar zu. Dazu werden unterschiedliche historische Erklärungsansätze vorgestellt.
Fest steht, dass die Gewalt und die Polemik sowohl die christlichen als auch die jüdischen Gemeinden und ihre Frömmigkeit geprägt haben. Da sowohl die Exzessivität der Gewalt als auch spezifische Formen wie Pogrome, die mit Ritualmord- oder Hostienschändungs-beschuldigungen legitimiert werden, nur in der lateinischen Kirche vorkommen, ist es nötig, nach den spezifischen Bedingungen ihrer Geschichte zu fragen. Ein allgemeiner Verweis auf "das Christentum" reicht nicht aus, da die lateinische Kirche im Mittelalter nur eine unter vielen ist.