Der berühmte Soziologe Zygmunt Bauman ist gestern im Alter von 91 Jahren in seiner Wahlheimat Leeds gestorben. Bevor die Nachricht von seinem Tod weltweit bekannt wurde, verbreitete sie sich zunächst auf polnischer Sprache über entsprechende Kanäle. Möglicherweise ein Hinweis darauf, dass Zygmunt Bauman in seiner ursprünglichen Heimat Polen nach wie vor aufmerksam wahrgenommen wurde, dem Land, aus dem er zu Beginn des Zweiten Weltkriegs fliehen musste und in das er nach dem Krieg zurückkehrte, um dort zu promovieren und sich zu habilitieren. Im Zuge der März-Unruhen 1968 emigrierte Bauman nach Israel und wurde Anfang der 1970er Jahre nach Leeds auf eine Professor für Soziologie berufen. Seine Forschungsinteressen galten neben Diskursen der Aufklärung, der Moderne und der Postmoderne insbesondere der Erklärung des Holocausts. Der Sozialpsychologe Prof. Dr. Harald Welzer hatte Ende der 1990er Jahre die Gelegenheit, mit Zygmunt Bauman über die Holocaust-Forschung zu diskutieren. Wir haben ihn um eine erste Reaktion zum Tod von Zygmunt Bauman gebeten.
L.I.S.A.: Zygmunt Bauman ist gestern im Alter von 91 Jahren gestorben. Sie haben den berühmten Soziologen persönlich kennengelernt. Wie erinnern Sie sich an Zygmunt Bauman?
Prof. Welzer: Ein haarsträubend rasanter Autofahrer, Janina gelassen auf dem Beifahrersitz, Gäste zitternd im Fond. Daneben ein sehr freundlicher, sehr kritischer Mann, wartete verlässlich mit einem Gedanken auf, auf den man selbst nicht gekommen wäre.
L.I.S.A.: Welche Bedeutung kommt Bauman für die moderne, oder muss man sagen: postmoderne Soziologie zu? Was ist Ihrer Einschätzung nach sein bedeutendster Beitrag für die Wissenschaft?
Prof. Welzer: Aus meiner Sicht die Herausarbeitung der Bedeutung, die der Holocaust für die Soziologie, für die Theorie der modernen Gesellschaft überhaupt hat. Das hat vor „Modernity and the Holocaust“ niemand so stark gemacht, und es ist auch nicht schulbildend geworden, weil Baumans Überlegungen die Grundvoraussetzung der Soziologie selbst in Frage stellen. Das wird von Soziologen eher nicht geschätzt. Daneben hat er durch seinen assoziativen, teilweise bewusst redundanten Stil einen neuen, fast literarischen Ton in die Soziologie gebracht.
L.I.S.A.: Zygmunt Bauman hatte ein ambivalentes Verhältnis zur Moderne. In seiner Perspektive ist die Aufklärung janusköpfig: denkt man sie konsequent zuende, frisst sie sich selbst auf. Adorno und Horkheimer sprachen von der Dialektik der Aufklärung. Brüder im Geiste?
Prof. Welzer: Ich glaube, dass Bauman im erwähnten Holocaust-Buch noch radikaler war. Theoretisch allerdings weniger konsistent als die Frankfurter Kollegen.
L.I.S.A.: Welche Bedeutung kommt bei Bauman seiner jüdischen Herkunft zu, verbunden mit einem in seiner Generation alles andere als einzigartigem Schicksal. Im Gegenteil. Inwiefern hat sich die eigene Lebensempirie auf sein Denken ausgewirkt?
Prof. Welzer: Naja, er selbst hat immer betont, dass seine Herkunft und insbesondere der Holocaust für ihn nie eine Bedeutung hatte. Erst als seine Frau Janina ihre Lebensgeschichte „Winter in the Morning“ publizierte, sei ihm die Bedeutung des Holocaust klargeworden. Lebensgeschichtlich am wichtigsten im Zusammenhang seiner jüdischen Herkunft war, dass Janina und er Polen 1968 wegen der antisemitischen Welle verlassen mussten. Sonst wäre er vermutlich nie nach England gegangen und hätte sich gewiss auch thematisch anders orientiert.
L.I.S.A.: Baumans letzte Publikation, ein Essay zur aktuellen Migration, schließt nach einer düsteren Analyse der gegenwärtigen politischen Lage in Europa mit einem Appell an Dialog und menschliche Begegnung, die letztlich unausweichlich seien. Wie schätzen Sie das ein?
Prof. Welzer: Ehrlich gesagt hab ich den noch nicht gelesen. Ich sehe die gegenwärtige Lage allerdings auch düster, glaube aber nicht an die Nützlichkeit von Appellen. Ich schau es mir an.
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https://zeithistorische-forschungen.de/sites/default/files/medien/material/2017-1/Bauman_Nachrufe.pdf